Carmen im Kopfhörer. Jochen Sommer
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Название: Carmen im Kopfhörer

Автор: Jochen Sommer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783844259858

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СКАЧАТЬ kleineren Möwen flog er dicht über der Wasseroberfläche, schnappte mit einer beiläufigen Kopfbewegung einen Fisch und stieg bedächtig höher.

      Mit seiner glitzernden Beute im Schnabel überquerte er den Strand von Zandvoort, ohne sich um die vielen Lebewesen dort unten zu kümmern.

      Nicht einmal um Beate, die auf ihrem dunkelblauen Strandtuch saß und gerade beschlossen hatte, ebenso modern zu sein wie die anderen Frauen. Scheinbar selbstverständlich streifte sie die Träger ihres Badeanzugs über die Arme, drehte das Oberteil zu einer stützenden Rolle unter der Brust zusammen und cremte sich ein. Ganz dick trug sie das Sonnenöl auf, um die ungewohnte Freiheit schadlos zu überstehen.

      Barbusig saß sie nun da und befürchtete insgeheim, dass jemand daran Anstoß nehmen könnte. Doch das tat niemand – außer Rainer. Das Badetuch um die schmalen Schultern gelegt stand er plötzlich vor ihr, und Beate spürte die Empörung, die in seinem Blick lag.

      Sehen konnte sie sie allerdings nicht, denn er hatte sich eine dieser verspiegelten Sonnenbrillen gekauft.

      „Wartest du schon lange?“, fragte er, ihren glänzenden Busen ausdrücklich ignorierend.

      „Nicht so sehr lange“, lächelte sie und freute sich, dass ihr Gatte hier am Strand ebenso modern sein musste, wie sie selbst.

      „Außerdem hatte ich keine Langeweile“, sprach sie weiter, „ich genieße es sehr, das Meer und diese ungezwungenen freien Menschen zu betrachten.“

      „Ja“, bestätigte Rainer und sah sich betont gleichgültig um. „Es hat sich nicht viel verändert, seit wir das letzte Mal hier waren“, behauptete er, richtete die Gläser seiner Brille direkt auf Beates zusammengerolltes Oberteil und lächelte wehmütig. „Nur wir, wir haben uns verändert. Du warst damals fünfundzwanzig, nicht wahr?“

      Beate zog ihren Badeanzug beleidigt hoch und stand auf. „Ich gehe ins Wasser“, beendete sie das Gespräch und watete in die flache Nordsee. Sie musste ziemlich weit hinausgehen, bis sie schwimmen konnte. Wenn sie an den Strand zurückblickte, konnte sie Rainer gerade noch erkennen, der mit angezogenen Beinen dahockte und sich interessiert umschaute.

      An seiner Statur allein konnte es nicht liegen, dass er so armselig wirkte, überlegte Beate. Es war vielmehr die offensichtliche Unfreiheit, die seinen Körper erst richtig zur Geltung brachte. Sie umgab ihn wie ein aufdringliches Parfüm. Die kindische Sonnenbrille war das i- Tüpfelchen auf dieser Gestalt am Ufer.

      Beate watete zurück, ließ Rainer weiter gaffen und ging allein zu einem der Strandcafe´s. Auf der hölzernen Terrasse suchte sie sich einen Tisch vorn an der Brüstung und bestellte Campari. Den hatte sie zuletzt in Italien getrunken, vor vielen Jahren. Damals waren sie noch ins Ausland gefahren, später nur noch in die deutschen Mittelgebirge, zu Talsperren, von Tannen umzäunt.

      Dieser Urlaub jetzt in Holland, Beate nippte an ihrem Getränk, war wirklich eine Überraschung gewesen; Rainer hatte ihn sogar ohne ihr Wissen bei seinem Abteilungsleiter beantragt. Solche Überraschungen hatte sie ihm eigentlich nicht mehr zugetraut. Für die Nordsee als Urlaubsziel hatten sie sich entschieden, weil sie, Beate, wieder mal eine hartnäckige Bronchitis plagte.

      Wegen ihrer keuchenden Hustenanfälle hatte Rainer bereits das eheliche Schlafgemach gegen die Couch des Wohnzimmers getauscht.

      Vielleicht, dachte sie beim zweiten Campari, kam Rainer jetzt in ein Alter, in dem wieder Entwicklungen möglich waren.

      Jedenfalls, beschloss sie beim dritten Glas, wollte sie Rainer dabei helfen. Sie waren schließlich verheiratet.

      „Freiheit“, sagte sie am nächsten Morgen im Frühstückssaal etwas laut, „die Freiheit ist es, die ich im Urlaub schätze.“

      Betreten schauten andere Ehepaare zu Beate hinüber, und Rainer hob schnell die große Kaffeetasse vors Gesicht, um ausgiebig zu trinken. Appetit hatte er keinen mehr und auch keine Lust, auf dieses Thema einzugehen. Etwas überstürzt verließ er den Saal, setzte die Sonnenbrille auf und ging zum Strand.

      Mit Beates Freiheitsbegriff wollte er sich nicht auseinandersetzen, auch nicht mit seinem eigenen. Nicht in diesem Urlaub, den er ursprünglich für eine ganz andere Reise beantragt hatte.

      Die Luft flimmerte über dem Strand, wälzte sich in der Windstille schwer zwischen den Strandkörben hindurch, und Beate wusste nicht, ob das Geflimmer tatsächlich nur an der Hitze oder auch an den vielen Camparis lag, die sie getrunken hatte. Wie an jedem Nachmittag in diesem Urlaub saß sie auf ihrem gewohnten Platz vorn am Geländer des Cafe´s und langweilte sich. Rainer hatte sich auch nicht entwickelt, dachte sie, höchstens zurück. Pubertär war das, wie er Tag für Tag hinter seiner dämlichen Brille am Strand hockte und Frauen beglotzte.

      Selbstmitleidig hob sie das Campariglas und prostete dem Mädchen auf der anderen Seite des Tisches zu. „Ich weiß zwar nicht, wie es auf holländisch heißt“, lächelte sie unglücklich in das fremde Gesicht, „aber trotzdem: Prost.“

      „Ich weiß es auch nicht“, lachte das Gesicht zurück. „Nicht einmal auf arabisch könnte ich es Ihnen sagen, denn die trinken ja offiziell keinen Alkohol, diese Moslems.“

      Beate staunte: „Wieso arabisch? Sind Sie Araberin?“

      „Nicht ganz“, lachte das Mädchen. „Ich komme ursprünglich aus Hagen und jetzt gerade aus Tunesien.“

      „Waren Sie freiwillig da unten?“, fragte Beate und dachte an die haarsträubenden Berichte, die sie gelegentlich beim Friseur las.

      Das Mädchen blickte sie befremdet an. „Ich habe dort einige Monate gearbeitet, im Hotel, als Kindergärtnerin für die Gästekinder.“

      Beate bestellte Getränke, und das Mädchen begann zu erzählen. Während die Schatten der Strandkörbe länger wurden, sprach es über die afrikanische Wüste, über wilde Berberstämme und sein eigenes ungebundenes Leben. Beate war sehr zufrieden mit diesem Nachmittag; der Kellner auch.

      Rainer schob zur Kontrolle seine Sonnenbrille auf die Stirn, doch die beiden wankenden Gestalten nahten sich weiterhin. Eine davon war unverkennbar Beate.

      „Das ist Anouschka“, stellte Beate die andere vor, „Anouschka aus Afrika.“

      „Tatsächlich?“, wunderte sich Rainer und betrachtete die junge Frau gewissenhaft. Sie war etwas größer als Beate, schlanker und zwei Jahrzehnte jünger. Das wäre er jetzt auch gern, wünschte sich Rainer und bekam Anouschka letzten Satz gerade noch mit: „...und außerdem ist Afrika für mich ein Ort der Selbstfindung.“

      Rainer merkte sich das für alle Fälle und fragte: „Heißen Sie tatsächlich Anouschka?“

      „Nein“, sagte das Mädchen widerstrebend, „tatsächlich heiße ich nur Anna.“

      „Die Mutter Courage bei Brecht hieß auch so“, tröstete Rainer sie. „Wenn man es sich recht überlegt“, schmeichelte er, “ist das gar nicht so abwegig. Zur Selbstfindung nach Afrika zu gehen, dazu gehört schließlich Mut.“

      „Stimmt“, beendete Beate Rainers literarischen Ausflug, „aber heute Abend gehen wir erstmal gemeinsam ins Kino. Casablanca, mit Humphrey Bogart, spielt auch in Afrika.“

      „Den liebe ich“, schwärmte Rainer, „der spielt immer so klassisch den Verlierer.“

      Der Film war nicht synchronisiert, und holländisch СКАЧАТЬ