Im Sommer, wenn niemand bleibt. Andreas Nolte
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Название: Im Sommer, wenn niemand bleibt

Автор: Andreas Nolte

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783844259650

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СКАЧАТЬ ist es ja wie bei einem Erdbeben“, versuchte Felix zu erklären. „Die Tiere flüchten aus der Gegend lange bevor das Beben kommt. Sie haben einen siebten Sinn dafür. Deshalb spüren sie die Katastrophe, bevor sie eingetreten ist.“

      „Ja, aber weswegen sollten die Menschen dann fliehen? Menschen haben keinen Warnsinn für Erdbeben.“

      „Ich meine ja auch nicht Erdbeben.“ Auf Torstens Frage wusste er nicht sofort eine Antwort. Nach einiger Überlegung sprach er seine Befürchtung aus: „Unser Land wird zur Wüste, und manche Menschen merken das früher. Am Ende muss ich ganz alleine hier bleiben.“ Felix kam das selber versponnen vor. Er war froh, dass Torsten nicht lachte. Der fragte: „Kennst du Kassandra?“ Felix schüttelte den Kopf. Darauf erzählte er ihm von der sagenhaften Seherin, die die Trojer vergeblich davor warnte, das hölzerne Pferd in die belagerte Stadt zu holen. „Kassandra selber wurde versklavt und später ermordet.“ Das sind ja keine guten Aussichten– Felix überlegte sich, dass es wohl klüger wäre zu schweigen.

      Insgesamt waren acht Gäste an diesem Abend gekommen. Bis auf Torsten ähnelten sie sich alle in ihrer Aufmachung. Vermutlich würde es niemandem auffallen, wenn der Erdboden einen der Gäste plötzlich verschluckte, denn ihre Gespräche hätten ebenso gut vom Band laufen können. Für Felix war es offensichtlich, dass sich alle anödeten. Sie bemerkten das nur nicht, weil der Computer dafür sorgte, dass die Musik nicht aufhörte zu spielen. Seine Schwester war damit beschäftigt, Carlos einzuspinnen, während sie ein Glas nach dem anderen trank. „Kannst du mal `ne neue Flasche holen“, forderte sie Felix auf und hielt ihm eine leere hin. Sie hatte schon wieder Schwierigkeiten mit dem Sprechen. Mit Carlos musste sie sowieso nicht mehr viel sprechen, sie waren schon beim Knutschen angelangt. Manchmal knabberte sie an einem seiner Ringe herum. Für Felix war es an der Zeit einzugreifen, damit Patrizia nichts Unüberlegtes machte.

      Er nahm die leeren Flaschen mit in die Küche, wo er eine neue öffnete. Ihren Inhalt verteilte er auf drei Flaschen, füllte sie mit Wasser auf, und als die Farbe blasser wurde, nahm er noch etwas Traubensaft. Er hoffte, dass sie alle schon ausreichend getrunken hatten, dass es ihnen nicht auffiel. Tatsächlich stutzte Patrizia nur kurz, als sie an ihrem Glas nippte. „Der ist aber besonders gut“, sagte sie.

      Auch die anderen tranken klaglos den neuen Wein; auf diese Weise sorgte Felix dafür, dass Patrizias Freunde die Warnungen der Lehrer nicht völlig missachteten. Als am Ende der Computer abstürzte, fiel den Gästen schlagartig die Ödnis dieser Party auf. Der erste stand mühsam auf, um sich zu verabschieden, und als hätten die anderen darauf gewartet, folgten sie ihm. Lediglich die siamesischen Zwillinge waren so mit sich beschäftigt, dass sie den Aufbruch nicht gleich bemerkten und sich beeilen mussten.

      Patrizia störte sich nicht sonderlich an dem plötzlichen Ende– im Gegenteil schien sie ganz froh, nun ungestört mit Carlos zu sein. Der war erstaunlich nüchtern geblieben. Er hatte inzwischen nur noch eine Hand, die andere war irgendwo unter dem T-Shirt seiner Schwester verschwunden. Als er Felix bemerkte, wie der ihm bei der Arbeit zusah, sagte er zu Patrizia: „Lass uns in dein Zimmer gehen.“

      Sie kicherte und führte ihn die Treppe hoch. Von oben rief sie Felix zu: „Ach, sei doch so lieb und räum noch ein bißchen auf.“ In diesem Moment spürte Felix, wie die Welt zur Wüste wird. Er wurde so traurig darüber, dass er nicht einschlafen konnte. Zudem ließ sich kaum vermeiden, auf die Geräusche im Nachbarzimmer zu achten: Die Matratze quietschte, leise Worte wurden gewechselt, die er nicht verstand. Natürlich war Felix aufgeklärt worden: In der Schule, vom Internet, von seiner Schwester– Puzzle-Stücke, die er sich zu einem Bild zurechtlegte. Dieses Bild erschien nicht sonderlich verlockend; außerdem ließ es zu viele Fragen offen.

      Felix schrak hoch. Seine Schwester schrie: „Nein, nein, ja!“ Es verwirrte ihn– Muss ich helfen? Er lauschte. Noch einmal hörte er ihre Stimme: „...Oooh...Lass...“ Es klang, als hätte sie Schmerzen.

      Felix sprang aus dem Bett; nicht länger durfte er zögern, sie zu retten! Ohne anzuklopfen rannte er in ihr Zimmer. Die schwache Beleuchtung reichte aus, um alles zu erkennen: Sie waren nackt, Carlos lag ausgestreckt auf dem Bett, sie hockte auf ihm. Beide starrten erschrocken zu Felix.

      „Verpiss dich!“ schrie Patrizia.

      „Wer?“ fragte Felix, der langsam ahnte, dass er etwas falsch verstanden hatte.

      „Du natürlich, du Hornochse!“

      Er fing an zu stottern: „Ich dachte– Hat er dir nicht wehgetan?– Ich wollte doch nur–“

      „HAU AB, DU PISSER!“ rief Carlos ihm zu. Dabei betonte er jedes Wort einzeln, sodass Felix Angst und Bange wurde.

      „Sprich nicht so mit meinem Bruder, hörst du!“ fuhr sie Carlos an. Daraufhin stieß er sie von sich herunter. „Ach, die Familie!“ rief er und schnappte sich seine Kleidung. Er lief an Felix vorbei aus dem Zimmer. Patrizia unternahm nichts, ihn zurückzuhalten.

      Felix konnte sich vor Scham nicht rühren. Als unten die Haustür ins Schloss fiel, wandte sich Patrizia endlich ihm zu: „Tu mir einen Gefallen, ja?!“

      Donnerstag, 21. Juli

      „Doktor Watson!“ rief Herr Bramsche. Dr.Watson ist Herr Bramsches Katze, ein einäugiger Kater von schlechtem Charakter. Wenn man ihm zu nahe kommt, faucht er und sein Fell sträubt sich. Ursprünglich war das Fell weich gewesen, gelbbraun mit schwarzen Streifen wie bei seinen großen Verwandten im Dschungel. Nach vielen Kämpfen haben die Narben hässliche Flecken hinterlassen, auf denen nichts mehr wächst. Felix wundert sich jedes Mal, dass Herr Bramsche diese Katze so liebt. Wenn das Tier mal wieder von einem Kampf zurück kommt, klagt der Nachbar laut über dessen Zustand. Für diesen Liebesbeweis lässt Dr.Watson nur Herrn Bramsche an sich heran.

      Felix beobachtete vom Fenster aus, wie Herr Bramsche seinen Kater begrüßte. „Ja, mein Lieber, da bist du ja. Komm zu Papa!“ rief er. Er kraulte Dr.Watson unterm Maul, sodass das Tier zufrieden schnurrte, als sei es ein harmloses Kätzchen.

      Wieder war der Morgen heiß. Die Sonne schien milchig hinter der dünnen Wolkenschicht, am Horizont war ein Hauch von Rosa, das vom Sonnenaufgang geblieben war. Felix legte sich wieder hin. Er versuchte, nicht an den peinlichen Moment im Zimmer seiner Schwester zu denken. Vor allem bedrückte ihn der Gedanke, dass er in einigen Jahren selbst Mädchen nackt auf sich würde sitzen lassen müssen. Er überlegte, wie es wäre, für immer liegen zu bleiben– im Bett bin ich sicher, hier gibt es weder Wüsten noch Mädchen. Felix döste vor sich hin, während die Hitze zunahm. Er hörte, wie seine Schwester ihr Zimmer verließ; hörte Herrn Bramsche hämmern, weil es am Haus immer etwas zu tun gibt; hörte ab und zu ein Auto auf der Straße.

      „Hier ist jemand für dich!“ schrie Patrizia zu ihm hoch. Er sprang aus dem Bett und zog sich rasch eine Hose an. Unten im Wohnzimmer stand Uli. Seine Haare leuchteten nicht so intensiv wie in Felix Erinnerung. Er trug eine alte Jeans mit Rissen am Knie und ein ausgeleiertes T-Shirt. Felix gefiel das, er selber darf so etwas nie tragen. Seine Mutter schmeißt Hosen gleich weg, wenn sie Löcher bekommen: WAS SOLLEN DENN DIE NACHBARN DENKEN, WENN UNSER SOHN IN SOLCHEN LUMPEN HERUMLÄUFT?!

      „Ich bring dir den Schlauch.“ Ulis Stimme klang rau.

      „Das ist nett“, sagte Felix, als er die Packung entgegennahm. Der Junge musterte ihn, während Felix passende Worte suchte. „Es ist heiß heute“, sagte er endlich.

      „Na, ist ja nichts Neues“, erwiderte Uli. Kurz schaute er spöttisch zu Felix, danach ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. Felix war froh, dass Patrizia gestern das Porzellan und die kitschigen Bilder weggestellt hatte.

      „Sollen СКАЧАТЬ