Centratur - zwei Bände in einer Edition. Horst Neisser
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Centratur - zwei Bände in einer Edition - Horst Neisser страница 30

Название: Centratur - zwei Bände in einer Edition

Автор: Horst Neisser

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783741800696

isbn:

СКАЧАТЬ Zweck konnte eine derartige Treppe dienen? Wer waren die Erbauer? Wohin führte sie? Was erwartete sie an ihrem Ende? Gab es überhaupt ein Ende? Würden sie jemals wieder das Tageslicht sehen? Diese Stufen führten unter die Wurzeln der Gebirge, sie führten tiefer, als es sich lebende Wesen vorstellen konnten.

      In endloser Gleichförmigkeit setzten sie Fuß vor Fuß und hielten sich an den Händen, die feucht und glitschig wurden. Immer schwieriger wurde es, den anderen festzuhalten. Die Kleider klebten ihnen am Leib. Schweiß lief ihnen über Gesicht und Arme.

      Akandra sprach es zuerst aus: „Ich glaube, es wird wärmer."

      „Ich habe auch das Gefühl."

      „Was aber, wenn es so heiß wird, dass wir verbrennen?"

      „Das glaube ich nicht. Die Erbauer dieser Treppe mussten schon zu ihrem eigenen Schutz Vorkehrungen gegen die Hitze getroffen haben."

      Bald hielten sie es nicht mehr aus. Sie zogen sich nackt aus und stopften ihre Kleider in Marcs Rucksack.

      „Nun bin ich doch recht froh, dass es dunkel ist“, kicherte das Mädchen.

      „Ich kann es kaum erwarten, den nächsten Ast anzuzünden“, Marc nahm den Scherz auf.

      Lachend stiegen sie weiter, bis die Stufen wiederum endeten. Sie hatten den nächsten Treppenabsatz erreicht. Sogleich suchten sie nach einem Brunnen. Tatsächlich, auch hier fanden sie ein Becken, aus dem köstliches Nass sprudelte. Sie labten sich und fielen bald darauf in einen tiefen Schlaf. Erfrischt und ohne Hast machten sie sich später wieder auf den Weg. Nach einigen Stunden weiteren Abstiegs begannen sie zu frösteln. Sie spürten einen kühlen Wind. Gänsehaut überzog ihre nackten Körper. Sie setzten sich und tasteten nach ihren Kleidern. Es war nicht einfach, sie in der Dunkelheit zu sortieren und überzustreifen.

      „Nun habe ich doch vergessen, eine Fackel anzuzünden“, lachte Marc, als sie wieder angezogen waren.

      „Wenn wir hier je wieder lebend herauskommen, werde ich für dich ganz nackt in der strahlenden Sonne tanzen“, entgegnete sie, und es war Ernst in ihrer Stimme.

      „An dieses Versprechen werde ich dich erinnern. Jetzt habe ich einen guten Grund, mich wieder ans Tageslicht zu wünschen."

      Sie waren beide in besserer Laune, und diese Stimmung hielt auch noch an, als sie den dritten Treppenabsatz erreichten. Hier war der Luftzug, den sie bisher nur schwach gespürt hatten, schon recht stark. Es schien, als ob zwei Türen offen standen. Der Wind wehte schräg über die Treppe.

      „Es muss hier Öffnungen, wenn nicht sogar einen Ausgang geben!" rief Marc.

      Beide liefen sie quer über die Treppe dem Wind entgegen. Akandra war schneller, und der Junge hörte ihre Schritte vor sich. Sie war nicht einzuholen.

      Er rief: „Warte auf mich! Lass mich nicht zurück!"

      Sie blieb stehen und tastete nach seiner Hand. Gemeinsam gingen sie weiter, bis ihre Füße gegen ein Hindernis stießen. Doch wie groß war ihre Enttäuschung, als sie feststellten, dass es eine neue Treppe war. Eine Treppe an der Seite, die nach oben führte. Von dort oben kam der Luftzug. Die ganze Anlage musste zumindest halbrund sein.

       „Was sollen wir nun tun?" fragte Marc. „Weiter nach unten gehen oder hier nach oben steigen? Beides will mir nicht so recht gefallen."

      „Ich glaube, unser Schicksal liegt unten und nicht oben. Die Worte von ROM gehen mir durch den Kopf. 'Ihr setzt euch großen Gefahren aus, aber ihr gewinnt vielleicht Hilfe', hat er gesagt. Im Übrigen, wenn wir jetzt einen Weg nach oben suchen würden, wäre alles, was wir bisher durchgemacht haben, umsonst gewesen."

      „Du hast Recht. Noch sind wir der Rettung des Heimlands keinen Schritt nähergekommen. Wir haben eine Aufgabe, und wir werden zu ihr stehen!"

      „Tapferer Marc!" sagte sie leise.

      „Liebe, liebe Akandra!" antwortete er.

      Wieder stiegen sie in tiefster Dunkelheit ungezählte Stufen nach unten. Ihre Füße tasteten sich inzwischen automatisch von Tritt zu Tritt. Ihre Muskeln hatten sich an die Bewegung gewöhnt und die schmerzhaften Krämpfe waren ausgeblieben. Zwar hielten sie sich noch immer an den Händen, wie es ihre Gewohnheit geworden war, aber mit lockerem Griff. Es war ihnen, als wären sie schon ihr ganzes Leben diese unheimliche, riesige Treppe hinunter geklettert, und als würden sie, so lange sie lebten, weiterhin Stufe um Stufe steigen. Ihre Gedanken schweiften nach oben zum Licht, an das sie sich nur noch vage erinnerten. Marc dachte darüber nach, wie das Belüftungs- und Kühlsystem dieser Anlage wohl beschaffen sein mochte und bewunderte die Erbauer für ihre technische Leistung. Akandra hingegen versuchte wieder und wieder, den Sinn der Treppe herauszufinden.

      Sie hatten, wer weiß zum wievielten Mal, geschlafen, sich auf vielen Treppenabsätzen gestärkt, sie waren ausgeruht. Flott und leichtfüßig sprangen sie von Tritt zu Tritt. Da geschah es! Marc stolperte, glitt aus und fiel. Er schrie auf. Akandra wollte ihn halten, aber seine Hand rutschte aus der ihren. Bei dem Versuch, den Fallenden noch zu fassen, verlor sie selbst das Gleichgewicht, und so stürzten beide in die unendliche Tiefe. Hart schlugen sie auf die Kanten der steinernen Stufen, suchten krampfhaft nach Halt und rollten weiter. Sie schrien nicht mehr, sie gaben keinen Laut von sich, sie hatten mit dem Leben abgeschlossen.

      Ihr Fall war nur kurz, denn nach wenigen Stufen schlugen sie auf einem neuen Treppenabsatz auf. Ihre Körper schmerzten. Stammelnd riefen sie und waren erleichtert, als sie die Stimme des anderen hörten. Zum Glück waren sie unverletzt geblieben. Ein gebrochenes Bein wäre in dieser Situation das Todesurteil gewesen. Keuchend und stöhnend lagen sie nebeneinander. Das Zittern ihrer Körper ließ langsam nach, und auch ihre Herzen schlugen wieder ruhiger.

      „Das war knapp“, sagte Akandra.

      „Wo bist du?" fragte Marc, und seine Hand tastete zu der ihren.

      Später tranken und wuschen sie sich im Brunnen des Treppenabsatzes. Das seltsame Wasser linderte die Schmerzen der Prellungen.

      Bei ihrem weiteren Abstieg war die Angst wieder ihr Begleiter. Ganz langsam bewegten sie sich und tasteten erst mit dem Fuß nach der nächsten Stufe, bevor sie einen Schritt endgültig wagten. So kamen sie nur mehr langsam voran, doch einen zweiten Absturz hätten sie nicht überlebt.

      In ihr dumpfes Brüten drangen plötzlich Trommeln, so als würden Pauken langsam und pianissimo geschlagen. Sie konnten nicht ausmachen, woher der Schall kam, aber mit jeder Stufe nahmen die Paukenschläge an Stärke und an Geschwindigkeit zu. Schließlich dröhnten sie so laut in ihren Ohren, dass es schmerzte. Und mit einem Mal war da auch eine Stimme. Sie vernahmen sie nicht mit den Ohren, sondern klar und deutlich im Kopf selbst.

      Die Stimme flüsterte: „Kehrt um, ihr könnt nicht weiter. Kehrt um, dies ist ein verbotener Weg! Kehrt um, ihr dürft nicht weiter!"

      Angstvoll raunte Marc: „Was sollen wir tun?"

      „Weitergehen!" Akandra ließ keinen Widerspruch zu und zog ihn mit sich.

      Die Warnung wurde mit den gleichen Worten wiederholt, diesmal jedoch lauter und energischer. Beiden lief kalter Schweiß über den Körper. Ihre Herzen schlugen bis zum Hals. Dennoch setzten sie tapfer einen Fuß vor den anderen. Die Stimme schrie nun in ihrem Kopf, und sie krümmten sich vor Schmerzen. Aber sie quälten sich vorwärts. Und endlich sahen sie einen Lichtschimmer weit unten. Er war noch schwach, wie ein Stern am Nachthimmel, aber er war da.

СКАЧАТЬ