Die Recherche. Werner Siegert
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Название: Die Recherche

Автор: Werner Siegert

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783738069792

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СКАЧАТЬ Recherche betraut hatte, war Lesbentum für mich kein Thema. Jedoch hatte ich auch genug von der Männerwelt. Enttäuschungen, Enttäuschungen, Verletzungen. Am allerliebsten wäre es mir, ich würde zu einem Neutrum mutieren, ohne jeglichen Drive nach hier oder nach dort!“

      „Das, genau das, liebe Bettina, ich darf Sie doch so anreden? – habe ich bisher versucht, konsequent zu leben. Wissen Sie, ich bin eigentlich die lesbischste Lesbe, die man sich vorstellen kann – wie man’s nimmt. Können Sie sich vorstellen, dass ich mit meinen 38 Jahren noch Jungfrau bin?“

      Wieder betrat eine Kundin den Laden. Wieder konnte Bettina für ein paar Minuten ihren Gedanken nachgehen. Mit 38 noch Jungfrau? Diese hübsche, schlanke Frau? Nie von einem Mann verführt? Keine Jugendsünde? Nie auf Klassenfahrt gewesen? Nicht auf Studienreise mit Kommilitonen? Kein Gruppendruck? Was, du hast noch nie? In ihrer Klasse gab es so eine Keusche. Die hatte natürlich den Spitznamen Maria weg. Die lesbischste aller Lesbierinnen? Wieso muss sie dann inserieren? Eine Kontaktanzeige aufgeben? Gerade jetzt tätschelte sie wieder an der Kundin herum, die ganze Beinlänge hinunter. Da kann doch was nicht stimmen?

      Edwina kam zurück.

      „Na, habe ich Ihnen Rätsel aufgegeben? Also Sie müssen wissen, dass ich aus einem sehr verklemmten Elternhaus komme. Alles, was unter dem Bauchnabel angesiedelt ist, war ba! Baba! Schlimmstes Baba! Sündhaft, schmutzig, Todsünde. Deine Hände faulen ab, wenn du dich da anfasst, mehr als unbedingt erforderlich. Und dann: Waschen, waschen, waschen. Mit Kernseife! Und Wurzelbürste! Wenn wir Kinder gebadet wurden, war es eine schmerzhafte Tortur. Pinkeln und so weiter – schlimmste Folge der Erbsünde. Waschen, waschen, waschen – und nicht hinsehen. Nicht in die Kloschüssel gucken. Man wird blind. Oder stirbt – oder was sich ein Kind halt ausdenkt. Aber das Kind Edwina dachte noch weiter: Wenn ich nichts esse, dann kommt auch nicht das Unaussprechliche aus mir raus. Schon mit drei Jahren war ich magersüchtig! Den Erfolg sehen Sie ja heute noch an mir: kein Busen, kein Po. Schlank und rank! Alles Staffage! Na, und welcher Junge hätte sich für ein Mädchen ohne Titten interessiert? Ich wurde gehänselt, was eigentlich heißen müsste: gegretelt.

      Nun wollte ich es aber gerade wissen. Irgendwie wollte ich mich an meinen Eltern rächen, für die Enge, für die Verklemmung, dafür, dass ich nicht wie die anderen Mädchen aufwuchs. Ich ahnte nicht, dass alles nur meinem Gespött dienen sollte. Ein Junge tat so, als sei er wahnsinnig in mich verliebt. Er schrieb mir Briefe. Schob mir Zettel mit eindeutigen Botschaften zu. Schließlich trafen wir uns in einer Gartenlaube, als seine Eltern nicht zu Hause waren. Triumph, Triumph – auch ich Gerippe hätte sein Begehren erweckt. Mir wurde schon ganz anders, als ich unter seinem Bauchnabel den Penis aufragen sah! Unter dem Bauchnabel! Absolut verbotene Zone. Ich biss die Zähne zusammen, hob mein Röckchen. Er zog das Höschen halb herunter, da pullerte er schon los und beschmierte mich die ganzen Beine runter mit seinem Sperma. Ich das Sperma sehen und riechen – und schon begann ich zu kotzen. Es kam noch schlimmer. Der Kurt hatte mich in einen Hinterhalt gelockt: Auf einmal kamen vier, fünf, sechs Jungens hinter dem verschlissenen Sofa vor, oder wo sie sich versteckt hatten. Alle unten nackt, und alle onanierten im Angesicht meiner Blöße. Spermaflocken, wohin ich nur sehen konnte. Ich raste davon, lief und lief und lief. Und seither wird mir eigentlich schon speiübel, wenn ich an Sperma nur denke. Es gibt einen Busch mit gelben Blüten, im Mai, die impertinent nach Sperma riechen. Jetzt wissen Sie, Bettina, weshalb ich Jungfrau bin und es zu bleiben gedenke!“

      „Aber Sie hätten doch hier viele Möglichkeiten, mit einer Frau Beziehungen zu knüpfen?“

      „Oh je, oh je! Die meisten Frauen riechen! Ich bin extrem geruchsempfindlich, sagte ich wohl schon! Frauenschweiß! Frauendüfte! Diese Sensibilität hängt sicher mit meiner Kindheit zusammen. Was war meine erste Menstruation eine Katastrophe. Ich hätte mich von einer Brücke gestürzt, wenn eine in der Nähe gewesen wäre!

      Aber wir wollen es kurz machen, Bettina. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir gut zueinander passen – nicht für Sex natürlich, sondern für die Oper, für Wandern oder, wenn Sie Zeit haben, auch mal für Reisen in die Modezentren. Nach Paris! Auch nach China! Obwohl ....“

      „Obwohl was?“

      „Ach, das muss ich Ihnen noch zeigen. Eigentlich geht das nur nach Ladenschluss. Aber heute ist nicht viel los. Hier, hinter uns, ist sozusagen das Allerheiligste. Sprechstunden nur nach Vereinbarung und Anruf!“

      Edwina sperrte eine Tür auf, schaltete verschiedene Lampen an.

      „Hier finden Sie alle großen Modemarken! Da sind wirklich alle großen Namen vertreten. Das sind Roben, Kleider, Prachtstücke – einmal getragen bei einer Gala, Opernpremiere, Filmfestspielen, Staatsempfang – dann von den Promifrauen abgelegt. Nur nicht noch einmal mit derselben auffälligen Robe irgendwo auftauchen. Also gehen die Stücke auf Reisen. Möglichst weit weg. Sind sie zu extravagant und auffällig, nehmen wir kleine Veränderungen vor. Ohnehin müssen wir oft nachnähen. Die Nähte von manchen Fummeln sind so was von geschludert. Ich habe da eine kleine Chinesin, die ist äußerst kreativ. Die macht mit wenigen Accessoires, mit Applikationen, Schleifchen, Strass eine neue Kreation daraus. Wir haben einen entsprechenden Kreis von Kundinnen, die sich tagsüber hier nie blicken lassen würden. Damit kann ich wirklich Geld verdienen. Dazu verleihen wir edle Handtaschen. Wir kennen die Größen unserer Spezialkundschaft, wir wissen, bei welcher die linke Brust kleiner ist als die rechte. Übrigens recht oft. Wir wissen, wie man einen allzu üppigen Po kaschiert. Sobald neue Ware eintrifft, rufe ich einzelne Damen an. Zuletzt verkaufen wir vieles nach Japan, nach Shanghai, nach Dubai. Die Größen stimmen nicht. Das wissen wir. Aber die wollen die Sachen nur kopieren. Was weiß ich denn?“

      Bettina hatte wieder etwas dazu gelernt, über das sie keinesfalls schreiben dürfte. Und sie fühlte sich noch mehr irritiert, weil sie an einer Stelle plötzlich Schmetterlinge in ihrem Bauch zu spüren glaubte, und wann: Als Edwina die kleine Chinesin erwähnte. Kleine Chinesinnen – wenn sie jemals vorher ein Mädchen begehrt hätte, dann wäre es eine Chinesin gewesen, eine von den schlanken, stupsnäsigen Peking-Chinesinnen.

      Noch war sie von diesem kleinen flattrigen Orgasmus abgelenkt, da kam schon ein neuer Schauer über sie: Edwina küsste sie zum Abschied mit unverhohlener Begierde auf beide Wangen. Beinahe hätte sie vor lauter Benommenheit den Blusenständer umgerannt. Ja, sie hatten sich verabredet. Fest verabredet. Bettina – wer bist du eigentlich? fragte sie sich, als sie wieder in der U-Bahn saß und zu spät erkannte, dass sie längst an ihrer Haltestelle vorbeigefahren war.

      Lukas

      „Bettina, Bettina – du hast deine emotionale Distanz zum Gegenstand deiner Recherche eingebüßt!“

      Schweißgebadet schoss Bettina nachts aus den Träumen. Irgendjemand – davon war sie überzeugt – habe neben ihrem Bett gestanden und ihr diesen Tadel an den Kopf geworfen. Sie habe die emotionale Distanz verloren – eine journalistische Grundtugend! Sie hatte sich sozusagen disqualifiziert; denn sie hatte sich zweimal auf hautnahe Kontakte eingelassen. Ja, sie hatte so etwas wie Freundschaft geschlossen zu Edwina. Mandy glaubte sie, abhaken zu können. Aber Edwina, die würde sie nicht abschütteln können. Nicht abschütteln wollen.

      Und in beiden Fällen, das wurde ihr jetzt klar, als sie über dem Waschbecken viele Hände voll kaltem Wasser über ihr Gesicht schülpte, hatte sie es nicht mit echten Lesben zu tun. Echte Lesben, das hatte sie gerade in einem Magazin gelesen, sind zumindest genmäßig vorprogrammiert. Wenn sie dann noch mit gleichgeschlechtlichen älteren Geschwistern aufwüchsen, erhöhe sich die Disposition zur Homosexualität auf 50 Prozent. Die können dann gar nicht anders.

      Ob das bei Mandy zutraf, wusste sie nicht. Mandy schien ihr eine Enttäuschungs-Lesbe. Und Edwina? Eine Erziehungs-Lesbe! Das musste ja schief gehen! Mit diesen verklemmten Eltern! Also müsse СКАЧАТЬ