Название: JACOB
Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Leo Schwartz
isbn: 9783738062045
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„Ich muss zugeben, dass das Märchen nicht nur lehrreich, sondern auch sehr amüsant ist,“ sagte Krohmer überrascht, der sich aber trotzdem nicht mit Märchen anfreunden konnte. „Könnte mit dem Märchen auch ein Tierheim, ein Gnadenhof oder etwas Ähnliches gemeint sein?“
„Könnte sein. Warum nicht?“
„In unserem Zuständigkeitsbereich haben wir fünf Tierheime und zwei Gnadenhöfe,“ sagte Werner, der die Informationen hierüber im Internet fand. Werner hatte immer ein Tablet bei sich, ohne dies schien er nicht lebensfähig. „Ein Gnadenhof ist bei Winhöring, der andere ist in Landshut.“ Er notierte die beiden Adressen.
„Teilen Sie sich auf und nehmen Sie sich zuerst die Gnadenhöfe vor. Danach sind die Tierheime dran.“
„Was ist mit den Freunden? Sollten wir uns die nicht zuerst vornehmen?“ Tatjana befand, dass das mit den Gnadenhöfen und Tierheimen in eine völlig falsche Richtung führte und sie dadurch nur unnötig Zeit vertrödelten. Aber Krohmer war nun mal der Chef.
„Die Freunde können noch warten, der Hinweis geht vor. Bevor Sie aufbrechen, möchte ich noch über diese Zahlen sprechen. Was haben sie zu bedeuten?“ Krohmer war erschrocken, dass auch auf dem neuen Zettel abermals Zahlen notiert wurden. Und wieder handelte es sich um eine 7-stellige Zahl.
Auch die anderen hatten sich bereits Gedanken darüber gemacht und konnten sich keinen Reim darauf machen. Tatjana hatte sich mit Fuchs darüber unterhalten, der ebenfalls nichts damit anfangen konnte. Er versprach ihr, sich darum zu kümmern.
Krohmer blieb nichts anderes übrig, als das Ehepaar Winzl zu informieren, er hatte sein Wort gegeben. Das würde nicht leicht werden, denn er hatte nichts als den neuen Hinweis, von dem er noch nicht einmal wusste, ob sie damit richtig lagen. Aber das würde sich in Kürze herausstellen. Zuerst wollte er Alfred Winzl anrufen, entscheid dann aber spontan, das Ehepaar Winzl zuhause aufzusuchen, da er in der Gegend noch einen Termin hatte, den er sehr gut damit verbinden konnte.
Krohmer hatte seinen Besuch nicht angemeldet und musste lange klingeln, bis Frau Winzl öffnete. Er war sich sicher, dass jemand zuhause war, denn im oberen Stock hatte sich die Gardine bewegt.
„Herr Krohmer? Entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten, ich hatte mich hingelegt. Ich habe Iris nach Hause geschickt, mein Mann ist auch weg. Ich bin hier allein...“
„Verständlich,“ sagte Krohmer freundlich, obwohl ihm die Nervosität der Frau sehr merkwürdig vorkam. Frau Winzl machte keine Anstalten, ihn ins Haus zu bitten, was ihn zusätzlich irritierte. Er informierte Frau Winzl an der Haustür über die wenigen Worte des Schreibens, das seine Leute am Wasserturm in Graming gefunden haben. Auch Frau Winzl sagten die Worte nichts. Sie kannte zwar das Märchen vom alten Sultan, verstand aber den Zusammenhang mit ihrem entführten Sohn nicht. Lotte Winzl war sehr unkonzentriert und zupfte ständig an ihrem eleganten Bademantel. Krohmer spürte, dass sie nicht mit ihm sprechen wollte, und entschied, wieder zu gehen.
„Wo finde ich Ihren Mann?“
„Wo soll er schon sein? In der Firma natürlich!“, sagte sie schroff. Sie war erleichtert, als sie die Haustür hinter ihm endlich schließen konnte. Zur Sicherheit legte sie die Kette vor.
„Ist er weg?“, fragte der junge Mann, der nackt die Treppen herabstieg.
„Ja.“
„Etwas Wichtiges?“
Sie wollte ihm nicht antworten. Warum sollte sie ihn damit belasten?
Krohmer stieg in seinen Wagen und notierte sich das Kennzeichen des Motorrollers, der hinter dem Gebüsch parkte. Es war offensichtlich, dass der Roller versteckt wurde, ihm aber wegen der auffälligen Farbe nicht entging. Frau Winzl war nie und nimmer allein im Haus.
Alfred Winzl las wieder und wieder den Zettel, dem Krohmer ihm übergeben hatte. Der Firmenchef schien um Jahre gealtert.
„Märchen haben mich noch nie interessiert, dafür hatte ich auch keine Zeit. Können Sie sich vorstellen, wieviel Zeit und Kraft man in eine Firma stecken muss, die man aus dem Nichts aufbaut? Da darf man keine Hobbys haben und sich nicht vergnügen, da muss man Kräfte sammeln und das Augenmerk nur auf die Firma legen. Märchen! Wer hat denn so einen Faible dafür, dass er Spuren legt, nachdem er meinen Sohn entführt hat?“
„Das frage ich Sie, Herr Winzl.“
„Ich kenne niemanden, der sich mit Märchen beschäftigt, dazu bin ich in der falschen Branche. Ich handle mit Schrott und Eisenwaren, und das inzwischen weltweit.“
„Das ist sehr beachtlich. Kommen wir auf die Märchen zurück. Sie gehen von einem Mann als Täter aus?“
„Wenn es um die Entführung geht: Ja. Aber die Märchen sind doch eher etwas für Frauen. Vielleicht ein Pärchen?“
„Mag sein. Haben Sie sich nochmals Gedanken darüber gemacht, wer Jacob entführt haben könnte?“
„Ich denke an nichts anderes, aber mir fällt niemand ein.“
Krohmer überlegte einen Moment, ob er Winzl auf ein eventuelles Verhältnis seiner Frau ansprechen sollte, entschied sich aber dagegen. Die beiden mussten mit dem Verschwinden ihres Sohnes klarkommen, dazu brauchten sie nicht auch noch einen Ehestreit.
Als Krohmer gegangen war, gingen ihm tausend Gedanken durch den Kopf. Es ging ihm schlecht, und er fühlte sich außerstande zu arbeiten, was bis dato noch niemals passiert war. Er gab Anweisung, keine Telefonate durchzustellen und ihn nicht zu stören. Wo war sein Sohn? Wer hatte ihn entführt? Er überlegte lange und war sich sicher: Es ging nicht um Jacob, es ging um seine Frau, auch wenn er den Schwachsinn mit dem Märchen nicht verstand. Die alte, längst vergessene Geschichte war mit einem Schlag wieder da. Seinem Sohn konnte er im Moment nicht helfen, darum kümmerte sich die Polizei. Aber er konnte seine Frau beschützen. Zuerst brauchte er Gewissheit, ob es auch so war, wie er vermutete.
Er stand auf und drehte den Schlüssel im Schloss seiner Bürotür, er konnte keine Zeugen brauchen. Mit zitternden Händen wählte er die tschechische Telefonnummer, die er auswendig konnte.
„Hier Winzl. Diesmal geht es nicht um Medikamente. Ich brauche in einem speziellen Fall Ihre Hilfe.“
„Um was geht es?“
„Um Matej Horak. Der Mann ist Ihnen ein Begriff?“
„Natürlich.“
„Es sieht so aus, als wäre er in Deutschland aufgetaucht. Ich brauche Informationen.“
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