Название: Irgendwann krieg ich Dich
Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Leo Schwartz
isbn: 9783742732682
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„Hol deine Jacke Anna, wir hören uns bei den Obdachlosen um.“
Anna Ravelli setzte sich hinters Steuer. Durch den Mordfall, der erst vor wenigen Tagen geschehen war, kannte sie nicht nur den Tatort, sondern auch die einschlägigen Plätze, wo sich die Obdachlosen in Ulm aufhielten.
Leo sah sich am Waldrand um. Hier wurde die Leiche Rauschbergers gefunden. Weit und breit war niemand zu sehen.
„Dort lag die Leiche. Da hinten ist der Waldweg. Wir haben keine Spuren gefunden.“
Leo ging den Tatort mehrmals ab. Wie kam Rauschberger hierher?
„Lass uns fahren,“ sagte er.
„Mach dich darauf gefasst, dass wir nicht mit offenen Armen empfangen werden.“
Tatsächlich waren die Befragungen sehr zäh und äußerst anstrengend, denn nicht alle Obdachlose waren kooperativ und freundlich. Aber Leo hatte eine Engelsgeduld und erfuhr durch seine Art der Befragung weit mehr, als Anna erfahren hatte. Das 52-jährige Opfer Karl Rauschberger wurde hier nur der Lehrer genannt, da er tatsächlich Geschichte- und Englischlehrer war, bevor er durch ein persönliches Schicksal abrutschte und schließlich obdachlos wurde.
„Was damals genau passiert war, das hat er uns nie erzählt. Der Lehrer war kein typischer Obdachloser. Ich gebe zu, dass der Großteil von uns gerne Alkohol trinkt, aber das hat der nie gemacht. Der war ein Studierter, ein ganz schlauer, das hat er aber nie raushängen lassen.“
„Ja das stimmt, der wollte eigentlich nur seine Ruhe haben,“ mischte sich ein weiterer Obdachloser ein, der eben im Begriff war, seine Habseligkeiten zusammenzusuchen und sich wieder auf den Weg zu machen.
„Hatte der Lehrer in letzter Zeit mit jemandem Streit? Gab es Ärger? Hat jemand eine Person beobachtet, die sich auffällig verhalten hat?“
„Nein, nicht das ich wüsste. Der Lehrer war ein friedlicher, ruhiger Mensch.“
„Natürlich gibt es ab und zu mal Ärger wegen des Schlafplatzes oder auch, wenn man beklaut wird. Aber in letzter Zeit war nichts.“
„Wir haben deiner jungen Kollegin schon gesagt, dass das keiner von uns war. Der Lehrer war nicht immer hier, vielleicht hatte er Ärger bei einem anderen Unterschlupf. Frag doch mal drüben in Neu-Ulm am Bahnhof. Dort hat er sich aufgehalten, wenn das Wetter besonders schlecht war.“
Leo bedankte sich und versprach, am frühen Abend einen Kasten Bier vorbeizubringen. Er und Anna suchten noch weitere Plätze in der Nähe auf und erhielten ähnliche Aussagen über den Verstorbenen. Auch hier bekamen sie den Hinweis auf den Bahnhof in Neu-Ulm. Anna war enttäuscht. Ihr gegenüber hatte niemand den Bahnhof Neu-Ulm erwähnt, überhaupt haben sie nur wenig oder überhaupt nicht mit ihr gesprochen.
Auch am Bahnhof in Neu-Ulm wurden sie von den Obdachlosen nicht gerade freundlich empfangen und stießen auf Misstrauen. Keiner wollte etwas mit der Polizei zu tun haben. Hauptsächlich deshalb, weil seit Kurzem verstärkt gegen sie vorgegangen wurde. Offensichtlich eine neue politische Strategie, um sie von hier zu vertreiben, denn Obdachlose machen sich in der Öffentlichkeit nicht gut. Außerdem standen Wahlen an, was die politisch Verantwortlichen immer zu Aktionen veranlasste, die bei den potentiellen Wählern meist gut ankamen. Leo war diese Augenwischerei zuwider.
Leo ließ sich nicht von der unfreundlichen Art der Obdachlosen abschrecken. Er fragte einen nach dem anderen in einer Art und Weise, die das Misstrauen und die Ablehnung etwas milderte. Die Information, dass der Lehrer ermordet wurde, war für alle ein Schock. Der ruhige Mann war sehr beliebt und keiner konnte verstehen, dass diesem friedfertigen und verschlossenen Menschen irgendjemand etwas antun konnte. Aber niemand sagte etwas aus, was für die Ermittlungen wichtig wäre.
Leo und Hans verabschiedeten sich von den Obdachlosen, die froh waren, endlich wieder ihre Ruhe zu haben.
„Woher kommt dieser Karl Rauschberger? Irgendwo muss er doch früher gelebt haben? Ich kenne niemanden, der keine Spuren hinterlässt. Wer weiß, was damals vorgefallen ist und Rauschberger veranlasst hatte, auf der Straße zu leben. Vielleicht gibt es eine Person aus dem früheren Leben, die ihn aufgespürt und noch eine Rechnung mit ihm offen hatte?“
„Ich habe alles versucht, aber über diesen Rauschberger ist absolut nichts rauszufinden. Sein Name stand auf einem Foto, das er in seiner Brieftasche bei sich trug, keine Adresse oder sonst irgendwelche Hinweise. Wir sind uns nicht mal sicher, ob das überhaupt sein richtiger Name ist. Natürlich habe ich eine Personenabfrage gestartet und habe auch bei Schulen nachgefragt, ob ein Lehrer mit einem solchen Namen bei ihnen beschäftigt war. Diese Anfragen habe ich bundesweit weitergegeben.“
„Vielleicht wurde er als Vermisst gemeldet.“
„Negativ. Keine Person, die auch nur annähernd unserem Opfer ähnelt.“
„Dann weiß ich auch nicht weiter.“
Sie fuhren zurück in ihr Büro und dort wartete bereits Stefan Feldmann ungeduldig auf die beiden.
„Endlich. Ich warte hier schon eine Ewigkeit auf euch. Wir haben etwas gefunden, dass euch bestimmt interessiert. Zunächst einmal haben wir Einbruchspuren am Toilettenfenster der Pathologie gefunden. Leider keine Fingerspuren oder irgendetwas Verwertbares. Sicher ist, dass dort gestern Abend eingebrochen wurde, und zwar nach 17.00 Uhr. Die Putzkolonne war um diese Uhrzeit vor Ort und da war das Toilettenfenster definitiv geschlossen. Mehrere Mitarbeiter haben uns das unabhängig voneinander bestätigt. Und nun komme ich zu einem Knaller. Wir haben saubere Fingerabdrücke an dem Hirschfänger sichergestellt und konnten diese bereits zuordnen. Die gehören einem gewissen Simon Maurer. Bitte schön, hier ist der Bericht.“
„Machst du Witze?“ Leo war völlig verblüfft, damit hatte er nicht gerechnet. Das wäre ja fast zu schön, um wahr zu sein.
Stefan gab seiner Freundin Anna einen flüchtigen Kuss auf die Wange, was sie hier im Büro überhaupt nicht mochte. Sie hielt Privates und Berufliches streng auseinander, was aber unter den Umständen äußerst schwer war. Der 35-jährige Stefan Feldmann war schnell verschwunden. Leo war neidisch über die volle, pechschwarze Lockenpracht des Kollegen, während sein kurzes Haar nicht nur sehr grau war, sondern auch immer dünner wurde. Trotz seiner 49 Jahre und den 1,90 Meter war Leo Schwartz eher unscheinbar und fiel hauptsächlich wegen seiner immer gleichen Kleidung auf: Jeans, braune Lederjacke, die er schon viele Jahre zu fast allen Jahreszeiten und Gelegenheiten trug. Die Cowboystiefel hatte er vor Jahren in Amerika gekauft und er war sehr stolz auf sie. Aber vor allem liebte er seine T-Shirts, auf denen Rockbands abgedruckt waren, die außer ihm niemand zu kennen schien. Welche Banausen! Das waren Kult-Rockbands, die in der Szene einen großen Namen hatten.
Leo war seit einigen Jahren geschieden und hatte sich vor drei Jahren von Karlsruhe hierher nach Ulm versetzen lassen, um seiner geschiedenen Frau mit ihrem neuen Partner nicht über den Weg laufen zu müssen. Es hätte bei einer unschönen Begegnung nicht viel gefehlt, und er hätte diesem arroganten Schnösel mit seinem vielen Geld fast eine reingehauen. Das musste er verhindern und deshalb wählte er die Flucht, wobei ihm die freie Stelle in Ulm sehr gelegen kam. Anfangs fühlte er sich todunglücklich in Ulm. Je mehr Zeit verstrich, desto weniger dachte er an seine Heimat Karlsruhe und an seine Exfrau. Die Trennung von ihr hatte ihm fast СКАЧАТЬ