Название: Die Spur führt nach Altötting...
Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Leo Schwartz
isbn: 9783847654636
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Der Bus stoppte in Reutlingen, er war fast an seinem Ziel angekommen. Trotz der langen Reise und dem Schlafmangel stieg er beschwingt aus, atmete tief die Luft der Stadt mitsamt dem Dreck ein, nahm die betriebsame Hektik um sich herum wahr und fühlte sich sofort zuhause. Er ging auf direktem Weg zum Busbahnhof und stieg nach wenigen Warteminuten in den Bus nach Pfullingen, dem Ziel seiner Reise. Dort lebte seine Familie in einem schönen, alten Einfamilienhaus.
Pfullingen! Endlich! Nur noch wenige Meter und er musste aussteigen. Mario lief durch die vertrauten Straßen und Gassen bis in die Münsinger Straße und hatte nur noch wenige Schritte vor sich. Er rannte beinahe, die Vorfreude auf seine Familie nahm ihm fast die Luft. Dann stand er mit klopfendem Herzen vor der Tür. Er klingelte und wartete – nichts. Er klingelte mehrmals, aber wieder rührte sich nichts. Seltsam. Es war fast achtzehn Uhr und eigentlich war um die Zeit immer jemand zuhause. Seine Familie konnte nicht im Urlaub sein, es war Mai, dazu noch ein Montag. Beide Mädchen waren noch schulpflichtig. War heute ein Feiertag? Nein, ganz sicher nicht. Erst jetzt bemerkte Mario, dass kein Klingelschild angebracht war. Erst jetzt bemerkte er den verwilderten Vorgarten. Ein Zustand, den es bei seinem Onkel Giuseppe niemals gab. Hier stimmte etwas nicht. Aufgewühlt ging er in den Garten. Auch hier das gleiche Bild: Der Rasen war nicht gemäht worden und alles schien sehr ungepflegt. Er blickte durch das Fenster der Garage – die war völlig leer. Auch ein Zustand, den es niemals gab, denn die Garage war immer voll mit Fahrrädern, Mülltonnen und Gartengeräten, sodass Tante Melanie Mühe hatte, mit ihrem Kleinwagen Platz zu finden. Die Fenster des Hauses waren mit Gardinen zugehängt und obwohl er in jedes einzelne Fenster spähte, konnte er nichts erkennen. Wohnte seine Familie nicht mehr hier? Das konnte nicht sein, Giuseppe hätte ihm davon in Kenntnis gesetzt. Ja, die Telefonverbindung war schwierig, aber die Post funktionierte.
Mario war völlig durcheinander. Was war hier los? Er stellte seinen großen Rucksack auf der Terrasse ab und beschloss, sich in der Nachbarschaft durchzufragen. Er klingelte in den Häusern reihum, aber niemand wollte dem Fremden Auskunft geben. Erst im fünften Haus hatte er Glück, im ersten Stock öffnete sich ein Fenster.
„Grüß Gott, mein Name ist Mario Pini. Ich bin auf der Suche nach der Familie Pini in der Nummer 12, wir sind verwandt.“
„Die Familie kannte ich gut, die wohnen hier nicht mehr.“ Die alte Frau war sehr freundlich. Sie bemerkte Marios Gesicht und die Enttäuschung darin.
„Warten Sie junger Mann, ich komme runter.“
Sie öffnete die Tür, sah ihn lange an und lächelte.
„Ja, Sie sind mit Giuseppe verwandt, das sehe ich deutlich, die Ähnlichkeit ist verblüffend. Außerdem habe ich Sie früher ab und zu mit einem Sportwagen hier gesehen. Habe ich Recht?“
„Ja, das stimmt, der mit dem Sportwagen war ich. Giuseppe Pini ist mein Onkel. Habe ich Sie eben richtig verstanden? Die Familie Pini wohnt nicht mehr hier? Seit wann? Das kann nicht sein, das hätten sie mir doch gesagt.“
„Mein Name ist Frieda Votteler. Kommen Sie erst mal rein, Sie sind ja vollkommen außer sich.“
Verstört folgte Mario der freundlichen Frau Votteler und setzte sich an den gemütlichen Küchentisch in der altmodischen Küche. Er sah ihr zu, wie sie Wasser auf den Gasherd stellte und Tee zubereitete.
„So Mario, ich darf doch Mario sagen? Jetzt trinken Sie erst mal einen Schluck Tee. Ich weiß von Melanie und Giuseppe, dass Sie vor drei Jahren ausgewandert sind. Ich habe versucht, Sie über eine Handynummer zu erreichen, die mir Melanie einmal für Notfälle gegeben hatte. Leider habe ich Sie nicht erreicht. Das mit der Familie Pini versteht hier in der Nachbarschaft niemand, ich am allerwenigsten. Überaus liebe und hilfsbereite Menschen. Auch die Mädchen, so hübsch und gescheit, waren überall beliebt. Vor rund vier Monaten sind sie einfach so über Nacht weggezogen, ohne sich zu verabschieden oder irgendjemandem etwas davon zu erzählen. Und wenn ich sage über Nacht, dann meine ich das auch so. Am Abend waren sie noch da und alles war in Ordnung. Am nächsten Morgen waren sie weg, und zwar mit Sack und Pack. Ich habe in der Nacht einen Lkw gehört, habe mir aber nichts dabei gedacht. Keiner weiß, wohin sie sind und vor allem, warum sie weg sind. Wissen Sie, gewisse Nachbarn wachsen einem ja ans Herz und ich vermisse sie sehr. Giuseppe und Melanie gingen mir immer gerne zur Hand und halfen, wo es nur ging, auch bei anderen Nachbarn. Im Gegenzug habe ich auf die Mädchen aufgepasst, als sie noch klein waren oder habe nach dem Rechten gesehen, wenn sie in Urlaub fuhren. In den letzten eineinhalb Jahren hat Melanie hier im neuen Supermarkt gearbeitet und ich habe das eine oder andere Mal für sie gekocht und gebacken, was mir sehr viel Freude bereitet hat. Wir haben oft zusammen gegessen, hier oder drüben. Ich kann behaupten, dass wir befreundet waren, und zwar gut befreundet. Und jetzt sind sie einfach weg und wer weiß, wo sie jetzt sind und wie es ihnen geht.“
Mario hörte fassungslos zu und begriff nur langsam, denn die Informationen sprudelten nur so aus Frau Votteler heraus. Er spürte, dass sie sich große Sorgen machte und die Pinis sehr mochte.
„Sie meinen, meine Familie ist einfach so Hals über Kopf weg? Das kann doch nicht sein, das passt überhaupt nicht. Lassen Sie mich überlegen. Ich habe das letzte Mal Anfang Januar mit ihnen telefoniert, das genaue Datum weiß ich nicht mehr, aber es muss kurz nach Silvester gewesen sein. Wir haben uns gegenseitig alles Gute für das neue Jahr gewünscht, das weiß ich genau, also muss es Anfang Januar gewesen sein. Wann sind sie weggezogen?“
Frau Votteler war aufgestanden und holte aus der Schublade einen dicken Kalender, dessen Seiten mit handschriftlichen Vermerken übersät waren. Sie blätterte zurück bis Januar.
„Hier steht es, es war der 14. Januar, sehen Sie selbst.“
„Wie bitte? Wenn sie vorgehabt hätten, umzuziehen, hätten sie mir doch etwas gesagt. Nein, das kann nicht sein, da stimmt etwas nicht.“
„Das ist genau meine Rede. Ich war sogar schon bei der Polizei. Aber dort sind, entschuldigen Sie den Ausdruck, nur überhebliche Trottel. Die hat das überhaupt nicht interessiert, was ich zu sagen hatte. Sie haben mich ausgelacht und mich als senile Alte hingestellt, die sich in fremde Angelegenheiten einmischt. Ich war von Anfang an der Meinung, dass da irgendetwas nicht stimmt, denn mir hätten sie doch bestimmt etwas erzählt, da können Sie Gift darauf nehmen. Und nachdem Sie nur wenige Tage vorher miteinander telefoniert haben und sie Ihnen ebenfalls nichts erzählt haben, bestärkt mich das in meiner Annahme.“
Mario tat diese Frau sehr gut und er fand sofort eine Verbündete in ihr. Sie hatte vollkommen Recht, das stank zum Himmel. Seine Familie würde niemals so ohne weiteres aus Pfullingen verschwinden. Er wusste, dass sie sich hier sehr wohl fühlten und auch die Mädchen niemals aus dem gewohnten Umfeld herausreißen würden. Und wer um alles in der Welt zieht mit Sack und Pack bei Nacht und Nebel aus? Ihn beschlich ein sehr mulmiges Gefühl und sein Magen krampfte sich zusammen. Die Familie Pini hatte ganz offensichtlich seine Hilfe gebraucht und er war nicht hier gewesen, er war nicht mal erreichbar. Großspurig hatte er vor drei Jahren sein Handy am Flughafen vor seinem Abflug nach Spanien СКАЧАТЬ