Название: Der 90. Geburtstag - Eine rabenschwarze Kriminalkomödie
Автор: Jörn Kolder
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754905012
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Nun noch ein kleines Trostpflaster, und das war es dann.
"19 Uhr beginnt unser gemeinsames Abendessen, danach folgt der gesellige Teil. Jeder von euch zahlt bei der Anreise 50 Euro Tagungspauschale ein, aber dafür könnt ihr dann nach Herzenslust schlemmen und trinken. Der Weinkeller steht euch offen, die Bar ebenfalls, das Hallenbad, das kleine Kino. Ihr werdet alle auf eure Kosten kommen, das verspreche ich euch. Am Sonntag treffen wir uns 11 Uhr noch auf einen Kaffee und für das Abschiedsfoto. Danach ist Abreise.
Ich freue mich auf euch, euer Anton."
Seiner Meinung war der Brief einerseits recht eindeutig, aber er ließ auch Raum für verschiedenste Interpretationen offen. Bei den Gästen würden nach Erhalt der Einladung die Räder in den Gehirnen anfangen zu rattern, und er wusste genau, dass niemand darauf kommen würde, was er wirklich bezweckte. Er freute sich schon jetzt auf die verdatterten Visagen, wenn er dann die Bombe platzen ließ.
Erster Anlauf zum E-Auto-Kauf
Frank Krause strich als bekannter Schauspieler recht üppige Gagen ein und ging davon aus, dass ein Großteil der Bevölkerung ihn kennen würde. Dem war allerdings nicht so, denn ein Blick in verschiedenste Statistiken zum rapiden sinkenden Bildungsgrad, zur abnehmenden Beschäftigung, der steigenden Zahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger und der Zuschauerreichweite verschiedener Fernsehsender hätte ihm klarmachen können, dass Deutschland nicht mehr das Land der Dichter und Denker, sondern das Land der nicht mehr ganz Dichten und der Stänkerer geworden war. Jeder regte sich wechselweise über diese oder jene Kleinigkeit auf, und Haltung und Parolen ersetzten Fakten und Wissen. Für Kunst und Kultur interessierten sich nur noch ganz hartgesottene Personen, vor allem alte weiße Männer, und die hatten es seit einiger Zeit ja schon schwer genug. Er ging aber davon aus ein Mann zu sein, der in der Öffentlichkeit aufgrund seiner Bekanntheit unter verschärfter Beobachtung stand. Das hatte auch zu seinem Entschluss geführt, selbst mit aktiv zur Rettung des Planeten beitragen zu wollen. Er fuhr aus Statusgründen bislang einen Porsche 911. Das konnte er dem Klima nicht mehr länger antun. Für den Sportwagen hatte er damals so um die 120.000 Euro hinlegen müssen. Er hatte es schon als sinnlichen Genuss betrachtet, den Wagen so brachial beschleunigen zu lassen und die heiser röchelnde Maschine zu hören. Jetzt konnte er sich mit diesem Relikt ja kaum noch auf die Straße trauen, diese Freitags Hüpfer würden ihm das Fahrzeug ruckzuck demolieren. Er googelte ein bisschen und kam auf Auwi. Die hatten bei der Abgasgeschichte wohl nicht ganz so schlimm wie die von V-R beschissen, aber eben auch keine weiße Weste mehr. Aber irgendwie war bei ihm der Slogan "Vorsatz durch Technik" hängengeblieben, und so fuhr er zu einem Autohaus dieser Marke in der Stadt.
Der prunkvolle Verkaufstempel sagte ihm, dass es diesem Hersteller ja offensichtlich nicht so schlecht gehen konnte. Er strich um die ausgestellten Fahrzeuge herum und bemerkte, dass zwei junge Kerle vor ihren Monitoren hektische Betriebsamkeit simulierten und er vermutlich gerade störte. Na gut, er war zu einer ungünstigen Zeit erschienen, es war 11 Uhr 56. Es könnte gut sein, dass die Jungs gleich Mittagspause hatten. Er wartete noch genau drei Minuten, dann ging er auf einen der Anzugträger zu.
"Ich möchte ein Elektroauto kaufen" sagte er "da bräuchte ich mal n bisschen Beratung. Ich bin nämlich Schauspieler, und technisch nicht so bewandert."
In den Augen des Verkäufers gab es kein Erkennen, wer er war.
Tom Schiller trug nur den Namen des Dichterfürsten, und hatte noch nie ein Theater von innen gesehen. Wenn er nachmittags aus dem Autohaus abhauen konnte, stieg er zu Hause erst einmal in eine schlabbrige Jogginghose und ein ausgeleiertes T-Shirt um. Dann warf er seinen PC an und zockte erst zum Aufwärmen ein paar Ründchen "Fortnite". Dann wechselte er zu "War Thunder", schoss etliche Panzer oder Flugzeuge zu Klump und kam später noch zu "Cyberpunk", wo er sich tierisch über die Bugs und die Performance aufregte. Den Spieleabend beendete er meist noch mit einer Tour als Kopfgeldjäger in "Red Dead Redemtion 2". Zwischendurch schob er eine Pizza in den Herd und trank mindestens zwei Flaschen Cola. Gegen 23 war er dann ermattet genug, um noch eine Stunde Trash TV zu konsumieren. Am nächsten Tag musste er um 8 Uhr wieder raus, und verfluchte seinen stressigen Job.
"Da kann ich Ihnen sicher helfen" sagte er zu Krause (und dachte sich heimlich, dass die Schauspielerei doch sicher eine brotlose Kunst wäre und er den Typen nach ein paar Preisangaben gleich wieder los sein würde) "aber so ein Hochtechnologie-Fahrzeug ist schon nicht ganz billig. An wieviel denken Sie denn?"
"Das spielt doch jetzt erst mal keine Rolle" regte sich Krause auf "Sie sollen mich beraten. Was weiß ich denn, wie teuer so ne Karre ist."
"Nun ja, unsere Modelle fangen im hohen fünfstelligen Bereich an. Unser Schmuckstück, der Auwi el-thron 55 quakker ist für einen Grundpreis von 81.500 Euro zu haben. Wenn Sie eine vernünftige Ausführung haben möchten, gibt ein Blick in die 40 Seiten umfassende Aufpreisliste eine gewisse Orientierung. Da ist man ruckzuck schnell bei 150.000 und mehr. Dafür hat der Wagen aber auch 664 Newtonmeter."
"Das ist die Länge in Zentimetern?"
"Nein, das Drehmoment."
"Also wie flott er einen Kreis drehen kann?"
"Nein, das Drehmoment. Newtonmeter ist der Betrag des Drehmoments, den eine Kraft von einem Newton bei einem Hebelarm von einem Meter erzeugt" leierte Schiller herunter.
"Und das bedeutet?"
"Wie ich schon sagte, ein Newtonmeter ...."
"Das reicht. Ich bin nicht hierhergekommen, um meine Prüfung in Mathematik zu wiederholen."
"In Physik."
"Wie bitte?"
"Das ist eine physikalische Größe."
"Hörn sie jetzt mal her, Sie Wichtigtuer" wurde Krause laut "ich bin nicht hier, um mir Nachhilfeunterricht abzuholen. Ich will nichts weiter als eine verständliche Erklärung."
Krause war lautes Sprechen aus dem Theater gewohnt.
Ein etwas älterer Anzugträger erschien auf der Szene.
"Kann ich irgendwie helfen" fragte er freundlich "ich bin der Niederlassungsleiter. Mein Name ist Maas, Heino Maas."
"Ja, Sie können helfen" erwiderte Krause "und zwar, indem Sie einem Menschen ohne Doktortitel in Physik erklären, was Newtonmeter bedeutet."
"Nun, ein Newtonmeter ist der Betrag des Drehmoments, den eine Kraft ...."
"Hörrrrren Sie auf, hörrrrren Sie soforrrrrrrt auf damit" antwortete Krause wütend und laut.
Momentan bereitete er sich auf eine Rolle in einem Stück vor, in dem er als Adolf Hitler auftreten sollte. Nach seinem Triumph als Papst Pius der VII. würde man ihm in der Kritik nicht unterstellen können, dass er mit seinem Spiel den Führer eventuell verherrlichen wollte. Man musste ja vorsichtig sein heutzutage, man konnte schnell unter den Verdacht geraten, den "Falschen in die Hände spielen zu wollen". Aber in "Der Stellvertreter" hatte er die ganze Dramatik und Zerrissenheit des Klerus in Bezug auf seine Nähe zum Nationalsozialismus "brillant und nicht plump schuldzuweisend" (wie der "Kleiderspiegel" geschrieben hatte) herausgearbeitet. Sicher, die Kirche hatte schon immer Einiges zu verlieren gehabt, er dachte da an die riesigen Vermögenswerte an Grundbesitz, Immobilien und so weiter. Dass man sich den jeweils Regierenden andienen musste, lag damit auf der Hand. Heute segelten die Popen sprichwörtlich auf dem Mittelmeer mit dem Zeitgeist mit, und deklarierten diese Aktionen als Nächstenliebe (in Wahrheit sorgten sie СКАЧАТЬ