RUNNING. Lillie F. Leitner
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Название: RUNNING

Автор: Lillie F. Leitner

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783738059298

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СКАЧАТЬ hofft er, dass das hier nur ein schrecklicher Traum ist.

      „Ich sag es Mama!“, gellt es hinter den Schleiern seiner Erinnerung. Seine kleine Schwester ist von jeher eine Nervensäge gewesen, mit wenig Intelligenz ausgestattet, dafür mit einem starken Nervensystem und ebensolchem Willen. Ihre Zähigkeit und Unbeirrbarkeit, wenn sie etwas für richtig hielt, verliehen ihr eine Ausdauer, die weit und breit ihresgleichen suchte. Und alle nervte.

      Dieses Elend ist nun – als Traum oder Wirklichkeit – wieder in seiner Nähe aufgetaucht. Und lässt sich nicht ignorieren.

      Später vielleicht nicht, befindet er, jetzt schon. Er begibt sich auf weitere innere Suche. Saubere Laken, Klinik, Michaela, so weit ist er schon. Aber wie ist er hier hergekommen? Was genau ist seine Situation? Er weiß es nicht, sieht nur gähnende Leere.

      Immerhin weiß er, wer er ist. Auch, was er in seinem Leben getan oder nicht getan hat – oder? Das Meiste jedenfalls, so scheint es ihm. Das ist ja schon mal was. Fürs Erste bleibt er bei sich: Er schweigt. Begibt sich anhand seines Atems leise schwebend zurück in die Tiefe. Erst mal.

      Wie zwei Racheengel erscheinen sie an seinem Krankenbett, Seite an Seite. Der eine ärztlich in Weiß, mit durchaus freundlichem Blick, der andere schwesterlich in grau-braun-lodenem Outfit, ihrem ewigen Trachtenlook. Es kommt Karl vor, als sei sie schon als Fünfjährige in derartiger Uniform herumgestiefelt. Passend gestaltet sich ihr Mienenspiel: Energisch entschlossen, mit besserwisserischen Untertönen.

      Karl ist gerade beim Essen. Eine freundliche Schwester hat ihm das Tablett auf den schwenkbaren Teil des Nachttischs platziert. Karl löffelt Eintopf. Gerade führt er den Löffel zum Mund, nun bleibt der Löffel auf halbem Wege in der Luft stehen.

      „Nun, Herr Dr. Arens“, beginnt der ärztliche Racheengel sein Plädoyer, „Sie sind ja wieder erfreulich fit. Alle Gesundheits-Checks ergeben beste Resultate. Alles o.B. – soll heißen: ohne Befund!“, fügt er gönnerhaft hinzu. „Haben Sie denn noch Kopfschmerzen?“

      Karl blickt ihn regungslos an.

      „Ja, die werden vielleicht auch noch ein paar Tagen anhalten. Bleibt eben nicht ohne Folgen, wenn einem jemand mit einer Eisenstange auf den Kopf haut. ... Lassen Sie mal sehen: Ein sattes Schädel-Hirn-Trauma. Das ist schon was! Das macht man nicht mal eben in zwei Tagen ab. Fast hätten wir Ihnen Ihre Haarpracht abrasieren müssen, haha.“

      Unwillkürlich hat Karl den Löffel zurück in den Teller sinken lassen, nun greift er automatisch in seine langen, dunklen, ordentlich gekämmten Haare.

      Der Doc schaut in seine Akte: „Nun – das EEG, Kernspin, Ihre Blutwerte, Blutdruck usw., alles bestens, auch gucken können Sie wie ein Adler, haha. Das sieht doch gut aus! Da schicken wir Sie morgen nach Hause!“

      Karl spürt, wie seine linke Augenbraue in Richtung Scheitel wandert. Wie jetzt – nach Hause. Karl schaut vom Doktor zu seiner Schwester und wieder zurück.

      „Na ja“, beeilt der weiße Engel sich nachzubessern, „sprechen wollen Sie ja mit uns nicht, und wie wir hören, haben Sie wohl auch vorher schon lange Zeit kein Wort mehr geredet, um genau zu sein ...“, er nimmt wieder seine Unterlagen zu Hilfe, „äh, um genau zu sein: Rund 15 Monate.“

      Und als die Augenbraue oben bleibt: „Ihre Schwester ...“, ein Blick hinüber zum schlammfarbenen Engel, „tja, Ihre Schwester hat gemeint, Sie sollten erst mal zu ihr kommen, eine Wohnung haben Sie ja derzeit wohl, äh, nicht ...“

      „Ja!“, springt ihm der Trachtenengel zu Hilfe: „Ja, du kommst erst mal zu uns, da hast du ein Dach über dem Kopf, und wir haben doch sowieso ein Zimmer leer stehen, da kannst du bleiben. Wenn es dir wieder gut geht, finden wir schon was für dich!“

      Karls rechte Augenbraue wandert ebenfalls dem Scheitel zu. Er schiebt das Tablett mitsamt Tisch zur Seite.

      „Ich meine ...“, fährt sie fort, „ich meine, wir sind doch eine Familie. Da muss man zusammenhalten und sich helfen. Stimmt doch!“, schließt sie fast trotzig, und ihre Haltung lässt eine Widerrede sowieso nicht zu, selbst wenn er widersprechen wollte – und könnte.

      „Tja“, unterstützt nun der Arzt den Trachtenengel, beide treten auf wie ein gut geöltes Fernseh-Duo: „Ich finde, Sie sollten das Angebot Ihrer Schwester ruhig annehmen. Zunächst mal jedenfalls. Später kann man weiter sehen.“

      Es ist nur zu deutlich. Hier möchte man ihn loswerden, wahrscheinlich wird sein Bett gebraucht, er wird zu teuer, er ist zu asozial – oder was auch immer. Auf die Straße setzen will man ihn in seinem noch halbkranken Zustand auch nicht. Da ist die Schwester eine willkommene Lösung. Ihn fragt man nicht. Er wehrt sich nicht und sagt auch nichts.

      Ganz erstaunlich, wie wehrlos Menschen werden, wenn man nichts sagt, wenn man einfach schweigt. Auf Widerspruch sind sie gefasst und haben sofort Argumente parat, bei Zustimmung gibt es ohnehin kein Problem. Aber wenn man schweigt, bringt man sie völlig aus dem Konzept.

      Das ist ihm nicht neu. Er hat jetzt bereits lange erprobt, was er mit Nichtsprechen, mit der Sprache der Augen, mit verschiedenen Gesichtsausdrücken bewirken kann. Es ist fast überall gleich: Je deutlicher er schweigt, desto mehr quatschen die anderen. Es ist, als meinten sie, für ihn mitreden zu müssen. Freiwillig und ganz ungebeten übernehmen sie seinen Redeanteil. Manchmal sogar seine Argumentation, oder besser gesagt, das, was sie denken, dass er denkt. Grandios.

      Die meisten Angelegenheiten erledigten sich ohne sein Zutun. Die anderen fochten alles mit sich selber aus, fanden Argumente und Gegenargumente; am Ende drehten sie das Ding so, wie sie es haben wollten.

      Das kennt Karl schon.

      „... und letztlich“, bringt der Arzt seine Rede zum Abschluss, „können Sie froh sein, eine solche Schwester zu haben! Also: Alles Gute, unseren Abschlussbericht schicken wir dann Ihrem Hausarzt zu – oder, äh ...?“, wendet er sich hilfesuchend an die andere Hälfte seiner Mannschaft.

      „Ja, die Adresse reiche ich noch rein“, vollendet seine Schwester beflissen.

      „Ja, also noch mal: Alles Gute! Und sollten Beschwerden auftreten, Erbrechen zum Beispiel, oder falls die Kopfschmerzen nicht aufhören: Schön den Arzt aufsuchen!“

      Der weiße Engel verabschiedet sich mit einem Händedruck von seiner Hilfs-Schwester. „... und kommen Sie bloß nie wieder hierher“, zieht er den Nachsatz hinter sich her.

      Karl weiß im Moment nicht: Hat der das wirklich gesagt, hat er das nur gemeint zu hören, oder entwickelt er seit Neuestem telepathische Fähigkeiten?

      Sowie ihr Counter-Part aus der Tür ist, instruiert Michaela ihn noch, sich am nächsten Morgen ein Taxi zu nehmen. Einen Zettel mit Adresse und Geld legt sie ihm auf den Nachttisch. Verschwindet.

      Karl lehnt sich zurück und schließt die Augen. Appetit hat er jetzt keinen mehr. Das bewahrt ihn allerdings nicht vor einem Vortrag seines Zimmergenossen über sein großes Glück, eine solche Schwester zu haben, über die Freundlichkeit der Ärzte, und ...

      Ein unter halb geschlossenen Lidern hervorgeschossener, gut gezielter Blick voller Verachtung bringt den anderen abrupt zum Schweigen.

      Max legt den Hörer auf: Na super, der Tag fing ja gut an – gleich am frühen Morgen ein Anpfiff von einem Kollegen. Nun СКАЧАТЬ