Название: Internal Investigations
Автор: Dennis Bock
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: C.F. Müller Wirtschaftsrecht
isbn: 9783811442757
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Fasst man unter Compliance recht eng nur alle organisatorischen Maßnahmen zur Verhinderung von Gesetzes- und sonstigen Normverstößen, also Prävention durch Organisation und Koordination,[52] so kann das nachträgliche Einschreiten als Reaktion auf Verstöße nur i.S.e. Warnung zur Vermeidung weiterer Verstöße zur Compliance gezählt werden.[53] Ein breiteres Begriffsverständnis ist indes sachdienlicher. Unter Compliance ist ganz allgemein das Handeln in Übereinstimmung mit dem Gesetz bzw. mit den jeweils anwendbaren Regeln und die Sicherstellung dessen durch das Unternehmen, zu verstehen.[54] Nach diesem Verständnis gliedert sich Compliance in fünf Funktionen. Die Schutzfunktion, die Beratungs- und Informationsfunktion, die Qualitätssicherungs- und Innovationsfunktion, die Überwachungsfunktion sowie die Marketingfunktion.[55] Selbst im Lichte dieses gegliederten Definitionsansatzes ist bislang nicht abschließend geklärt, ob überhaupt und falls ja, welcher dieser Funktionen unternehmensinterne Untersuchungen zugeordnet werden können. Man kann unternehmensinterne Untersuchungen als Teil der Schutzfunktion betrachten. Denn durch die Untersuchungen wird das Unternehmen erst in die Lage versetzt, eine Kooperation mit Behörden auf Augenhöhe zu führen und so größeren Schaden für das Unternehmen abzuwenden und durch eine abschreckende Wirkung weitere Verstöße zu verhindern.[56] Es ist auch schlüssig, unternehmensinterne Untersuchungen der Überwachungsfunktion zuzuordnen.[57] Dann muss man unter Überwachung, gerade auch die Aufnahme von Ermittlungen bei einem Verdacht auf Compliance-Verstöße, verstehen.[58] Auch Aspekte der Reputationssicherung und der Marketing-Funktion werden durch unternehmensinterne Untersuchungen teilweise erfüllt. Verfügt ein Unternehmen über eine funktionierende Compliance-Organisation, so werden Gesetzesverstöße vermieden, was die Reputation des Unternehmens stärkt. Kommt es zu Verstößen und werden diese vom Unternehmen aufgedeckt und aufgearbeitet, so kann dies die Reputation stärken und damit dem Marketing dienen,[59] jedenfalls sofern die Vorfälle an die Öffentlichkeit geraten.
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Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass unternehmensinterne Untersuchungen unter die verschiedenen Funktionen der Compliance subsumierbar und damit grds. Teil eines funktionellen Compliance-Systems sind. Damit resultiert aus der allgemeinen Compliance-Pflicht auch eine Pflicht des Vorstands zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen. Da die Compliance als Teil der Leitungsaufgaben des Vorstands eine Pflicht ist, ist auch die Einleitung unternehmensinterner Untersuchungen als Teil der Compliance eine dem Vorstand obliegende Pflicht.
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Die Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen beruht also auf zwei Säulen. Zum einen kann die Pflicht zur Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen direkt aus einer Gesamtschau der Normen §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG, 130 InsO hergeleitet werden, zum anderen resultiert die Pflicht zur Durchführung von unternehmensinternen Untersuchungen aus der allgemeinen Verpflichtung zur Einrichtung eines Compliance-Systems.[60]
ee) Recht zur Delegation auf untere Ebenen
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Adressat der oben genannten Regelungen ist der Vorstand. Allerdings wird der Vorstand in der Praxis die in Rede stehenden Sachverhalte nicht selbst im Detail aufarbeiten, Interviews mit den Verdächtigen oder Zeugen führen oder sämtliche Unterlagen sichten. Vielmehr ist eine Delegation der Aufgaben an untere Ebenen der Normalfall. Der Vorstand darf und wird die Untersuchung daher der Compliance-, Revisions- oder Rechtsabteilung zur Aufklärung solcher Verstöße übertragen oder externe Berater mit der Durchführung beauftragen.
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Eine Übertragung der Aufgaben bedeutet hingegen keine Entlastung des Vorstands von seiner Überwachungspflicht. Die Pflicht des Vorstands verändert lediglich ihren Inhalt und wandelt sich in eine Pflicht zur ordnungsgemäßen Auswahl, Einweisung und Kontrolle der handelnden Personen.[61]
ff) Gesamtvorstand oder einzelnes Vorstandsmitglied
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Die Geschäftsführung obliegt grds. dem gesamten Vorstand (sog. Gesamtverantwortung), § 77 Abs. 1 S. 1 AktG. Allerdings ist es üblich, einzelnen Vorstandsmitgliedern im Rahmen der Ressortverantwortung separate Aufgaben zu überantworten. So kann einem einzelnen Vorstandsmitglied im Rahmen der Personalverantwortung auch die potentielle Entscheidung über die Einleitung unternehmensinterner Untersuchungen übertragen werden.[62]
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Die Übertragung bestimmter Aufgaben auf einzelne Vorstandsmitglieder entlastet die anderen Vorstandsmitglieder jedoch nicht in Gänze von ihrer Verantwortung für die anderen Bereiche. Ihnen verbleibt eine Restverantwortung in Form einer Überwachungspflicht der anderen Ressorts.[63] Die Intensität dieser Überwachungspflichten ist in hohem Maße einzelfallabhängig.[64] Sofern jedoch ein Anhaltspunkt für einen Sorgfaltsverstoß vorliegt, muss bestehenden Hinweisen nachgegangen werden.[65] Der BGH hat entschieden,[66] dass jedenfalls dann eine Generalverantwortung und Allzuständigkeit vorliegt, wenn das Unternehmen im Ganzen betroffen ist, also insbesondere in Ausnahme- und Krisensituationen.[67] Jedenfalls bei einem begründeten Verdacht auf schwerwiegende Rechtsverletzungen, wird man von einer Ausnahme- und Krisensituation für die Gesellschaft ausgehen können. Insbesondere in Fällen, in denen ein besonderes Haftungsrisiko für die Gesellschaft droht, wird eine Gesamtverantwortung aller Vorstandsmitglieder anzunehmen sein. Dies bedeutet, dass auch „ressortfremde“ Vorstandsmitglieder bei einem Verdacht auf schwerwiegende Rechtsverletzungen verpflichtet sind, Aufklärungs- und Abhilfemaßnahmen einzuleiten.
b) Der Aufsichtsrat
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Der Aufsichtsrat ist das Überwachungsorgan der Gesellschaft. Dem Aufsichtsrat obliegt jedoch nicht die Überwachung der Gesellschaft insgesamt, sondern nach § 111 Abs. 1 AktG ausschließlich die Überwachung der Geschäftsführung. Der Aufsichtsrat muss also unternehmensinterne Untersuchungen jedenfalls bei dem Verdacht auf Verstöße durch den Vorstand oder einzelne Vorstandsmitglieder einleiten.
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Schwieriger gestaltet sich die Herleitung eines solchen Rechts bei Verstößen durch Mitarbeiter unterhalb des Vorstands. Die Überwachung dieser Mitarbeiter gehört nicht zu den Aufgaben des Aufsichtsrats, so dass die Einleitung von Untersuchungen in der Gesellschaft einer besonderen Begründung bedarf. Das Gesetz gibt dem Aufsichtsrat verschiedene Instrumente zur Überwachung an die Hand, wie z.B. die Sonderberichtspflicht nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG, das Einsichts- und Prüfungsrecht nach § 111 Abs. 2 AktG oder die Einräumung eines Zustimmungsvorbehalts bzgl. bestimmter Entscheidungen des Vorstands gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG.
aa) § 111 Abs. 1 AktG: Überwachung СКАЧАТЬ