Название: Kapitalmarkt Compliance
Автор: Karl Richter
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: C.F. Müller Wirtschaftsrecht
isbn: 9783811447035
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1. Teil Einführung › 1. Kapitel Kapitalmarkt Compliance – Einführung und Übersicht › A. Einleitung
A. Einleitung
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Das Kapitalmarktrecht wird als Ausgangspunkt der gesamten (rechtlichen) Compliance-Diskussion gesehen.[1] Vor dem Hintergrund der bemerkenswerten – und noch immer zunehmenden – Regelungsdichte im Kapitalmarktrecht bestehen an das kapitalmarktrechtliche Risikomanagement hohe Anforderungen. Pflichten zur Einführung eines rechtlichen Risikomanagements, also zur Einführung einer Compliance-Infrastruktur zum Zwecke der Vermeidung von Verstößen gegen kapitalmarktrechtliche Ge- und Verbote, bestehen insbesondere im Bank-, inzwischen auch im Wertpapieraufsichtsrecht.[2] Das unterscheidet das Kapitalmarktrecht maßgeblich von anderen Rechtsgebieten, in denen unmittelbare gesetzliche Compliance-Anforderungen nur selten zu finden sind. Insbesondere dem Bankaufsichtsrecht wird insoweit eine Schrittmacherrolle zugeschrieben.[3]
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In Deutschland haben die Gründung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als integrierte Finanzdienstleistungsaufsichtsbehörde im Jahr 2002 sowie die Gesetzgebung im Bereich des Aktien- und Wertpapierrechts seither zu einer insgesamt strengeren Regulierung und einer intensiveren Aufsicht des Kapitalmarkts geführt.[4] Die gesetzlichen Anforderungen an die innere Organisation von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten, Wertpapierdienstleistern und anderen kapitalmarktorientierten Unternehmen sind – maßgeblich auch durch Vorgaben seitens des europäischen Gesetzgebers – erheblich gestiegen.[5] Und auch die Aufsichtsorganisation passt sich den Aufgaben des Gesetzgebers an: Neben der BaFin sind als Aufsichtsbehörden die Bundesbank, die Börsenaufsichten der Länder, die Handelsüberwachungsstellen an den Börsen, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR)[6] und nicht zuletzt auch die Europäische Börsenaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority – ESMA) sowie die Europäische Zentralbank (ECB) tätig. Die ESMA soll zukünftig immer mehr zur zentralen Aufsichtsbehörde für den Kapitalmarkt in Europa werden und Kompetenzen bündeln. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die nationalen Behörden beschäftigungslos werden: Sie werden durch Aufgabendelegation von der ESMA in deren Aufsichtsstruktur eingesetzt. Zudem beaufsichtigen die nationalen Aufsichtsbehörden die Einhaltung des nicht europaspezifisch nationalen Kapitalmarktrechts selbstständig.
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Bereits Anfang der neunziger Jahre wurden zur Wahrung der Marktintegrität und Vermeidung von Interessenkonflikten im Wertpapierhandel die ersten Compliance-Infrastrukturen entwickelt.[7] Trotz dieser Bemühungen vermochte erst die intensivere Verfolgung und Ahndung von Compliance-Verstößen durch die Aufsichtsbehörden und insbesondere die europäische Kommission zu Beginn der Jahrtausendwende, ein wirkliches Umdenken in der juristischen Rechtspraxis zu vermitteln. Ausdruck davon war nicht zuletzt die Aufnahme einer ersten Compliance-Verpflichtung in den DCGK[8] im Jahr 2002.[9]
Mit Blick auf die nunmehr existente erhebliche Regelungsdichte insbesondere im Wertpapierhandelsrecht, die unübersichtliche Rechtslage durch eine Vielzahl an verschiedenen Gesetzen deutscher sowie europäischer Natur und die zahlreichen Fallstricke, die nicht nur in aufsichtsrechtlicher Hinsicht, sondern auch unter dem Aspekt persönlicher straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlicher[10] Verfolgung existieren, lässt sich das Erfordernis eines regelhaft arbeitenden Instrumentariums zur Haftungsvermeidung nicht leugnen. Jedem Unternehmensangehörigen im Einzelfall die Alleinverantwortung und die Alleinentscheidungsbefugnis ohne jegliche Anleitung, internes Anweisungswerk und Warnungssystem zu überlassen, würde unter der Ägide insbesondere der Marktmissbrauchsverordnung,[11] des WpHG, aber auch anderer Kapitalmarktgesetze unweigerlich zum Rechtsbruch führen.
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Dass die Einrichtung effektiver Compliance-Systeme auch gerade aus der strafrechtlichen Perspektive beleuchtet werden muss und der Aspekt der kriminalitätsbezogenen Compliance (Criminal Compliance) stark an Bedeutung gewinnt,[12] liegt angesichts der zunehmenden Neigung auch des europäischen Gesetzgebers, Regelverstöße auch straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich zu sanktionieren, auf der Hand. Nicht nur mit Blick auf die kürzlichen Änderungen durch die strafrechtliche Marktmissbrauchsrichtlinie (MAD)[13], die in Deutschland durch das erste Finanzmarktnovellierungsgesetz (1. FiMaNoG)[14] im WpHG abgebildet werden, besteht eine Fülle an Sanktionsvorschriften. Allein im WpHG sind mehr als hundert Ordnungswidrigkeitentatbestände geregelt.[15] Das hiesig herrschende weite Verständnis vom strafrechtlichen Vorsatz und die Erstreckung der Strafbarkeit auf fahrlässiges Verhalten insbesondere im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts führt besonders im Bereich des Kapitalmarktstrafrechts weg vom ursprünglichen Verständnis von Strafrecht als Instrument zur Sanktionierung allein schwer sozialschädlichen Verhaltens (Strafrecht als „ultima ratio“ staatlichen Eingriffs). Die gesetzlichen Regeln des Kapitalmarkts sind auf die Vermeidung von Missständen und Eingriffen in einem denkbar frühen Stadium eines Verhaltens, das abstrakt zu einem Schaden führen kann, gerichtet – und bereits diese Regeln sind oftmals straf- oder bußgeldbewehrt. Die Schaffung solcher abstrakter Gefährdungsdelikte macht es dem juristischen Laien – und zu diesem gehört der am Kapitalmarkt Tätige oftmals – nicht einfach, die (strafrechtlichen) Grenzen seines Verhaltens zu erkennen. Aus diesem Grunde beinhaltet dieses Buch einen separaten Teil zu den wesentlichen straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Aspekten der Compliance für Kapitalmarktteilnehmer (20. und 30. Kap.).
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Das ist gerade im Kapitalmarktrecht besonders wichtig. Das Kapitalmarktrecht zeichnet sich durch eine besonders hohe Regulierungsdichte aus, die zudem ständigen Veränderungen unterliegt. Europäische Einflüsse, nationalgesetzgeberische Aktivitäten, aber auch das sich fortbildende Richterrecht lassen das Kapitalmarktrecht als eine unübersichtliche Regelungsflut erscheinen, derer die Kapitalmarktakteure kaum Herr werden.
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Hintergrund für die erhebliche Ausweitung und Änderung der Compliance-Vorschriften für börsennotierte Gesellschaften und deren Aktionäre ist der Boom an den Kapitalmärkten Mitte bis Ende der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts.[16] Man denke nur an die Emission der als eine Art Wertpapier für Jedermann hochstilisierten Aktie der Deutsche Telekom AG, die – als erstes Finanzinstrument überhaupt – ein breites, (semi-)professionelle Anlegerkreise überschreitendes Interesse geweckt hat. Der stetige Kursverfall des Papiers, der zeitweise geradezu dramatische Züge hatte und den Eindruck einer Überbewertung im Zeitpunkt der Emission manifestierte, sorgte zugleich für eine Sensibilisierung breiter Anlegerkreise für die Anlagerisiken, die selbst im regulierten Markt herrschen. Die (faktische) Öffnung des geregelten Marktes für das große Publikum sorgte auch für Missentwicklungen: Die Zahl der börsennotierten Unternehmen erhöhte sich in den neunziger Jahren stark. Viele Unternehmen waren dabei, die, wie sich nachträglich zeigte, nicht börsenreif waren oder im Zuge der allgemeinen damaligen Entwicklungen sehr, teilweise zu hoch bewertet waren.[17] Kleinere und größere Skandale und Insolvenzen, die Schließung des Neuen Marktes als Marktsegment für kleine und noch entwicklungsbedürftige Unternehmen[18] sowie nicht zuletzt groß angelegte Betrügereien (Comroad) haben zu einem stetigen Anpassungsbedarf des rechtlichen Rahmens geführt. Diese Aktivitäten des europäischen und bundesdeutschen Gesetzgebers sind durch die aktuelle Finanzmarktkrise, die Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute, aber auch Emittenten und andere kapitalmarktorientierte Unternehmen als weitere Vertrauenskrise erleben,[19] erheblich beschleunigt worden.