Название: Internationales Strafrecht
Автор: Robert Esser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Praxis der Strafverteidigung
isbn: 9783811448100
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Weder die EMRK noch die Rules of Court sehen die Verhängung einer Gebühr als Sanktion für die missbräuchliche Einlegung einer Beschwerde vor. In Extremfällen kann der Gerichtshof eine Individualbeschwerde jedoch für unzulässig erklären, wenn sie einen Missbrauch des Beschwerderechts erkennen lässt (Art. 35 Abs. 3 lit. a EMRK). Ein Missbrauch des Beschwerderechts kann in einem Prozessverhalten (formeller Missbrauch) des Bf. liegen, aber auch in einem von dem Bf. verfolgten Zweck (materieller Missbrauch).[272] Ein formeller Missbrauch liegt etwa vor, wenn der Bf. bewusst wahrheitswidrige Tatsachen vorträgt (knowingly based on untrue facts)[273], entscheidungsrelevante Tatsachen verschweigt oder unvollständige und damit irreführende Angaben, insb. zum Verfahrensgang macht; unvollständige, irreführende Angaben können vor allem dann als missbräuchlich iSv Art. 35 Abs. 3 lit. a EMRK eingestuft werden, wenn sie den Kern der Rechtssache betreffen und nicht hinreichend, d.h. plausibel erläutert worden ist, warum diese Auskunft nicht erteilt worden ist.[274]
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Missbräuchlich ist auch die Beleidigung von Mitgliedern des Gerichtshofs (dazu zählen auch die Mitarbeiter der Kanzlei)[275] bzw. die Äußerung unangemessener Kritik (contempt of court)[276].
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Auch Verstöße gegen die Verfahrensordnung können dazu führen, dass eine Beschwerde als missbräuchlich eingestuft wird, etwa wenn gegen das Gebot der Vertraulichkeit der Verhandlungen über eine gütliche Einigung verstoßen wird.[277]
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Schließlich kann der mit einer Beschwerde verfolgte Zweck diese als missbräuchlich erscheinen lassen (materieller Missbrauch): Missbräuchlich in diesem Sinne ist der offensichtlich zweckwidrige Einsatz des Beschwerderechts, der die ordnungsgemäße Arbeit des EGMR sowie den geordneten Ablauf des Verfahrens selbst behindert.[278] Das kann etwa dann der Fall sein, wenn eine gefälschte Vollmacht vorgelegt wird,[279] ebenso wenn die Inanspruchnahme internationalen Rechtsschutzes in einem Missverhältnis zum geltend gemachten Interesse steht[280] oder die Beschwerde ausschließlich zu Propaganda- oder Reklamezwecken eingelegt wurde.
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › B. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde › XII. Unerheblicher Nachteil
XII. Unerheblicher Nachteil[281]
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Eine Beschwerde kann seit dem Inkrafttreten des 14. P-EMRK auch als unzulässig eingestuft werden (Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK), wenn der Bf. keinen erheblichen Nachteil erlitten hat (significant disadvantage), der Fall bereits von einem nationalen Gericht gebührend geprüft wurde (duly considered; diese Voraussetzung wird nach Inkrafttreten des 15. Protokolls zur EMRK gestrichen) und keine menschenrechtliche Besonderheiten aufweist (unless respect for human rights … requires an examination). Damit wurde auf Zulässigkeitsebene neben der Feststellung einer offensichtlichen Unbegründetheit der Beschwerde eine weitere Möglichkeit der materiellen Filtrierung eingeführt.[282]
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Der Begriff des „erheblichen Nachteils“ enthält einen beträchtlichen Interpretationsrahmen, der dem Gerichtshof mehr Flexibilität bei der Zulässigkeitsprüfung ermöglichen soll. Seiner Rechtsprechung obliegt es daher auch, diesem Begriff Konturen zu geben. In dieser Hinsicht ist auf die Übergangsvorschrift in Art. 20 Abs. 2 des 14. P-EMRK hinzuweisen. Danach soll Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK in den ersten beiden Jahren nach Inkrafttreten des Protokolls nur von den Kammern und der Großen Kammer angewandt werden, damit diese konkrete Fallgruppen für den neuen Unzulässigkeitsgrund bilden können.
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Nach einer Studie der Kanzlei des Gerichtshofs[283] soll bei der Verletzung der Art. 2, Art. 3 EMRK (Recht auf Leben und Verbot der Folter pp.), Art. 4 EMRK (Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit),[284] Art. 5 EMRK (Recht auf Freiheit), Art. 7 EMRK (nulla poena sine lege) und Art. 13 EMRK (Nichtvorhandensein eines effektiven Rechtsbehelfs) grundsätzlich ein erheblicher Nachteil angenommen werden. Bei den übrigen Konventionsbestimmungen soll es darauf ankommen, was für den Bf. auf dem Spiel steht. Zum Beispiel wird bei einer Rüge hinsichtlich der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK bei Strafverfahren, in denen Freiheitsentzug droht, stets ein erheblicher Nachteil anzunehmen sein, während in Zivilprozessen Kriterien wie der Einfluss auf die Anstellung des Betroffenen bzw. auf dessen Ruf oder seine Familie eine Rolle spielen sollen.[285] Zudem wird vorgeschlagen, dass bei einem Streitwert unter 500 € grundsätzlich kein erheblicher Nachteil angenommen wird.[286] Auch bei Beschwerden bezüglich der Art. 8-12 EMRK sollen die für Art. 6 EMRK entwickelten Grundsätze anwendbar sein. Hinsichtlich einer Verletzung des Art. 14 EMRK soll es auf den Grad der Diskriminierung ankommen.
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In dem ersten Verfahren, in dem der Gerichtshof dieses neue Kriterium angewandt hat, war Art. 6 EMRK im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens als verletzt gerügt worden. Der Streitwert des nationalen Verfahrens betrug allerdings lediglich 90 €. Die Beschwerde wurde als unzulässig abgewiesen, wobei der Gerichtshof darauf hinwies, dass die finanziellen Auswirkungen der Streitfrage ein taugliches Kriterium zur Bestimmung des Nachteils seien.[287]
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Inzwischen liegen auch erste Unzulässigkeitserklärungen vor, in denen ein unerheblicher Nachteil unabhängig vom finanziellen Nachteil beurteilt wurde: Einige Beschwerden betrafen das Verfassungsbeschwerdeverfahren in der Tschechischen Republik. Der tschechische Verfassungsgerichtshof hatte den Bf. die Stellungnahmen der ordentlichen Gerichte nicht zugestellt, so dass diese nicht Stellung nehmen konnten. Der EGMR stellte fest, dass die Gerichte lediglich auf ihre Urteile verwiesen hatten und der VerfGH auf diese nicht eingegangen ist. Der Gerichtshof ging deswegen davon aus, dass die Urteile auch ohne die Stellungnahmen so ausgefallen wären. Zudem hatten die Bf. nicht ausgeführt, was sie hätten vortragen wollen, wenn ihnen die Stellungnahmen zugestellt worden wären. Sie hätten in ihrem Recht, angemessen am Verfahren teilzunehmen, deswegen keinen erheblichen Nachteil erlitten.[288]
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Der EGMR darf aber, auch wenn ein erheblicher Nachteil nicht festgestellt werden kann, die Beschwerde nur dann für unzulässig erklären, wenn nicht die Achtung der Menschenrechte, wie sie in der Konvention und in den Zusatzprotokollen dazu anerkannt sind, eine Prüfung der Begründetheit der Beschwerde erforderlich macht. Der Wortlaut ist angelehnt an Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EMRK (Rn. 351).[289] Nach dem Explanatory Report zum 14. P-EMRK soll sich diese Klausel gerade auf solche Beschwerden beziehen, die schwerwiegende Fragen hinsichtlich der Anwendung oder Auslegung der Konvention bzw. hinsichtlich des nationalen Rechts aufwerfen.[290] Über diese Schutzklausel kann der EGMR also sicherstellen, dass ihm nicht diejenigen Beschwerden entgehen, die zwar für den Betroffenen keinen erheblichen Nachteil begründen, anhand derer der EGMR aber gemeineuropäische Menschenrechtsstandards entwickeln kann.
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Die Ablehnung der Prüfung aufgrund des Art. 35 Abs. 3 lit. СКАЧАТЬ