Fachdidaktik Englisch - Fokus Literaturvermittlung. Jürgen Bona Meyer
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      1.2 Lehrwerkforschung: Ansätze, Methoden, Ergebnisse und Desiderata

      Vor der eigentlichen Betrachtung der hier zu untersuchenden Englisch-Lehrwerke in Kapitel 2 richtet sich im Zuge dieses Einführungskapitels die Aufmerksamkeit in Abschn. 1.2 auf die wichtigsten Aspekte der Lehrwerkforschung und in Abschn. 1.3 auf wichtige Impulsgeber für curriculare Orientierungsraster. Abschn. 1.4 schließt mit den praxeologischen Konsequenzen an, die den Literaturunterricht seit der Implementierung dieser Orientierungsraster geprägt haben. Hier sind zentrale Konzepte zu erläutern, die für die Analysen in Kapitel 2 von zentraler Bedeutung sind. Abschn. 1.5 liefert abschließend einen inhaltlichen Aufriss der Studie.

      Ansätze. Auf einer grundlegenden Theorie des (fremdsprachlichen) Lehrwerks basiert diese Studie mit ihrem Fokus auf der Vermittlung von Literaturkompetenzen nicht (als Teilmenge der curricular definierten Text- / Medienkompetenzen); nicht zuletzt auch in Ermangelung einer solchen, wie Lies Sercu in ihrem Beitrag zur Routledge Encyclopedia of Language Teaching and Learning formuliert: „there is no universally recognized theory of the textbook“ (Sercu 2004: 626). Sie begründet diesen Sachverhalt u.a. damit, dass über den Umgang der Lehrkräfte mit dem Lehrbuch im Klassenzimmer zu wenig bekannt sei, ebenso wie zur Effizienz der Arbeit mit Lehrwerken, und dass die Einflüsse auf die Konzeption und Gestaltung von Lehrwerken zu vieldimensional seien, als dass sie zu einer solchen führen könnten.

      Gleichwohl lohnt sich zunächst ein kurzer Blick auf die methodischen Ansätze der Lehrwerkforschung. Diese erscheint aus fachdidaktischem Blickwinkel (nicht nur mit Sicht auf den Fremdsprachenunterricht Englisch) trotz neuer Impulse aus dem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts als ein weitgehend vernachlässigtes Feld. So bilanziert die Anglistin Daniela Elsner noch 2016: „Trotz ihrer Rolle sind Lehrwerke und ihr Einsatz im Fremdsprachenunterricht nur wenig erforscht“ (Elsner 2016: 443).1 Jedoch ist nicht zu übersehen, dass gerade aus der Anglistik schon früh wichtige Impulse für die aktuelle Lehrwerkkritik kamen. Denn für den deutschsprachigen Raum reichen die Wurzeln der Erforschung des fremdsprachlichen Englischunterrichts mehr als fünf Jahrzehnte zurück (Sauer 1964, Heuer 1973, Bung 1977, Neuner 1979). Die erste Generation von empirischen Studien entstand in der „doppelten Umbruchsituation des Unterrichts in den 1970er Jahren mit der Einführung der kommunikativen Didaktik und der Gesamtschule“ (Funk 2019: 364), aber aus heutiger Sicht sind sie aufgrund stark veränderter institutioneller, curricularer und methodischer Rahmenbedingungen kaum mehr jenseits historischer Einordnungen aussagekräftig. Die Systematische Lehrwerkanalyse (Bung 1977) kann aus heutiger Sicht als Initialzündung für empirische Untersuchungsverfahren in der englischen Fachdidaktik gewürdigt werden, ebenso wie die Aufsatzsammlung Zur Analyse fremdsprachlicher Lehrwerke (Neuner 1979).

      Diese älteren Studien weisen die Gemeinsamkeit auf, die Vorzüge des seinerzeit innovativen kommunikativen Ansatzes (Communicative Language Teaching) innerhalb der Fremdsprachendidaktik gegenüber dem bis dahin praktizierten audiolingualen Lehransatz herauszustellen. Damals mussten Lehrwerkgestalter also eher auf sich verändernde didaktische Vermittlungsmethoden und reformierte Lern- / Lehrmodelle reagieren, die jedoch in großen zeitlichen Abständen aufeinander folgten: zunächst der Wechsel von der behavioristisch grundierten audiolingualen Lehrmethode zu konstruktivistisch orientierten kommunikativen Ansätzen, die sich in den folgenden Jahrzehnten immer weiter in Richtung handlungsorientierter, aufgaben-basierter, kooperativer Lernmethoden ausdifferenzierten.

      Brian Tomlinson setzt eine ernsthafte akademische Auseinandersetzung und die Erschließung von Lehrwerken im internationalen Rahmen, von einigen wenigen Vorläufern abgesehen, überhaupt erst für den Zeitraum seit Mitte der 1990er Jahren an (vgl. Tomlinson 2012/13: 343), und Dietmar Rösler ergänzt das Bild mit der Behauptung, „dass die Rezeptionsanalyse, die Lerner- oder Lehrerverhalten beim Umgang mit Lehrwerken oder Teilen von Lehrwerken wie Übungen und Aufgaben oder Textformaten analysiert, recht unterentwickelt ist.“ (Rösler 2016: 474). Wolfgang Gehring wiederum weist auf die befremdliche, aber nach wie vor gültige Tatsache hin, dass Lehrwerke in wissenschaftlichen, selbst fachdidaktischen Zeitschriften nicht einmal rezensiert werden (vgl. Gehring 2012/13: 357);2 eine Haltung, die keineswegs immer bestanden hat. So erinnert Christiane Lehmann daran, dass „zur Zeit der Neusprachlichen Reformbewegung regelmäßig Lehrbuchrezensionen verfasst [wurden]“ (Lehmann 2010: 32), allerdings nur bis in die 1950er Jahre. Ein Grund für diese Zurückhaltung einer kritischen Rezeption innerhalb der academic community mag darin liegen, dass Lehrwerke für lange Zeit einen komplexen, mehrstufigen Genehmigungsprozess in den zuständigen Landesbildungs-Ministerien durchlaufen mussten, ehe sie zum Druck freigegeben wurden: „Für die Schulen und die Bildungsverlage ist die kultusministerielle Zulassung ein Gütesiegel.“ (Jürgens 2010: 229; vgl. dazu Fey 2016). Erst im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts rückten die ministeriellen Genehmigungsverfahren wieder in den Hintergrund, teilweise unter einem kompletten Verzicht auf die Begutachtung (vgl. Stöber 2010, Wendt 2010).

      Mit Jürgen Kurtz lässt sich festhalten, dass mittlerweile aktuelle und jüngere Lehrwerksgenerationen weniger aus spezifisch methodisch-didaktischer Sicht überarbeitet werden müssen, sondern eher aufgrund umfassender, „zeitlich versetzte[r] ‚Materialisierungen‘ gesellschafts-, bildungs- und sprachenpolitischer, pädagogischer, fachdidaktischer und fachwissenschaftlicher, medientechnologischer und medienpädagogischer, kommerzieller (u.a.m.) Überlegungen“ (2011: 5). In diesem Zusammenhang ist zunächst die Einführung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) / Common European Framework of Reference for Languages (im Folgenden in der englischen Fassung als CEFR zitiert) zu nennen, der im Jahr 2001 von der europäischen Union verabschiedet wurde. Weitere Impulse erfolgten durch die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland 2009 ratifiziert wurde, und die KMK Strategie Bildung in der digitalen Welt (2016), die zusammen mit dem „DigitalPakt.Schule 2019-2024“ (2019) zum gegenwärtig stattfindenden Generationswechsel im Angebot der Bildungsverlage seit 2020 führten. Entsprechend sind die hier untersuchten Lehrwerke mit ihren Erscheinungsjahren zwischen 2015 und 2019 durch einen erhöhten Grad an Kompetenzorientierung und Inklusivität geprägt, so dass ein breiteres Differenzierungsangebot gegenüber früheren Ausgaben zur Verfügung steht; hinzu kommt ein höheres Gewicht auf dem verstärkten Einsatz von kooperativen Lernformen. Der Einsatz digitaler Medien mit den Möglichkeiten einer stärkeren Individualisierung des Unterrichts ist jedoch gegenüber den aktuellen Produktlinien stark reduziert. Folglich lässt sich bezüglich der „Halbwertzeit“ von Lehrwerken im Zeitalter der Digitalisierung konstatieren, dass diese sehr viel schneller veralten, als dies für solche der 1960er bis in die 1990er Jahren galt (Funk 2016: 440, nennt einen Zeitraum von nur mehr „3-5 Jahre[n]“ bei Verlagsinvestitionen von sechsstelligen Beträgen; vgl. dazu auch Thaler 2011: 23). Entsprechend beträgt die Dauer, für die eine Schulbuchzulassung gilt, ca. sechs Jahre (vgl. Stöber 2010: 6); sie wird i.d.R. bei der zumeist jahrgangsweise fortschreitenden Einführung neuerer, überarbeiteter Lehrwerksausgaben verlängert, bis diese vollständig vorliegt.

      Ein maßgeblicher Anteil der Lehrwerkkritik fand lange Zeit, institutionell betrachtet, parallel zu den universitären Fakultäten statt; sie wurde auf administrative, d.h. bildungspolitische bzw. curriculare Ebenen verschoben. Mittlerweile aber erschiene es insbesondere seitens der Fachdidaktiken geradezu fahrlässig, auf eine intensivere inhaltliche kritische Reflexion der Lehrwerke zu verzichten, da in vielen Fällen ein ministerielles „Gütesiegel“ fehlt und eben keine maximale „Verlässlichkeit“ im Hinblick auf die „fachwissenschaftliche[-] und didaktische[-] Anordnung“ der Inhalte per se gewährleistet ist (Anton 2017: 13; vgl. dazu auch die Ausführungen zum Kriterium der „Korrektheit und Aktualität der Information“ in Lehrmaterialien bei Volkmann 2010: 238). Die Qualitätskontrolle von Lehrwerken rückt somit wieder vermehrt in den Verantwortungsbereich der jeweiligen Fachdidaktik, obgleich in den seltensten Fällen alle Unterrichtsfelder eines Faches analysiert werden. Anders als ein proaktives ministerielles Zulassungsverfahren weist die akademische Lehrwerkanalyse naturgemäß stets eine zeitliche Verzögerung von etlichen Jahren zwischen dem Erscheinen der Untersuchungsgegenstände, ihrem flächendeckenden Einsatz im Unterrichtsgeschehen und der Veröffentlichung СКАЧАТЬ