Windhauch und Wein. Georg Schwikart
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Название: Windhauch und Wein

Автор: Georg Schwikart

Издательство: Bookwire

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783429065386

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       Wofür ist Essen da?

      Schokolade könnte als Medikament für die Nerven verschrieben werden, ein Riegel Traubennuss wirkt Wunder. Auch Gummibärchen tun gut. Es gibt Tage, da hilft nur ein Gyros komplett. Das Glas Wein relativiert manches Problem, der Marillenschnaps löst Spannungen. Und bei frischem Bienenstich könnte man fast vergessen, wie sinnlos das Leben ist.

      Als ich beim runden Geburtstag eines Freundes auf den Nachschlag verzichten will, weil ich mir vorgenommen habe abzunehmen (und von dem grandiosen Büffet kann man einfach nicht alles probieren), sieht mich die Partnerin eines Bekannten mitfühlend an: „Ausnahmen machen das Leben schön!“ Und in Überlingen am Bodensee wehre ich die Dessertkarte im Gasthaus ab; ich sei satt, versichere ich mit einem Grinsen, und essen ohne Hunger sei die Todsünde der Völlerei. Da kontert die Bedienung schlagfertig: „Dafür ist Essen da!“

      Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, heißt es. Wer hungert und dürstet, weil ihm nichts zur Verfügung steht, der leidet brutal. Bei uns leiden die Menschen eher, weil sie zu viel zu sich nehmen, über Hunger und Durst hinaus, aus Langeweile und Frust. Es gibt Leute, die spüren sich selbst nur, wenn sie konsumieren. Andere fasten sich krank. Ernährung ist ein aufgeladenes Thema. Es betrifft nicht nur die Gesundheit, sondern die ganze Weltsicht: Was darf man überhaupt guten Gewissens verzehren?

      Mitunter vergeht uns der Appetit, weil uns Sorgen belasten. Beim Sohn einer Frau, einem jungen Mann Mitte zwanzig, wurde Krebs diagnostiziert. Früh genug. Die Heilungschancen stehen gut. Aber die Sorgen der Frau sind mächtig. Sie erzählt mir davon. Ich kann nicht viel für sie tun. Wochen später bedankt sie sich für das Gespräch, das hätte ihr so gutgetan. Dabei habe ich ihr nur aufmerksam zugehört und sie ernst genommen. Und ihr geraten, gut für sich zu sorgen, um bei Kräften zu bleiben.

      Mir selbst geht es ja ähnlich: Wenn mich etwas plagt, dann spreche ich darüber mit einem Menschen, dem ich vertraue. Dann will ich nicht hören: „Alles halb so schlimm!“ Ich brauche das Gefühl, in meiner Not gesehen zu werden. Und wenn ich darüber hinaus spüren darf, es gibt nicht nur meine begrenzte Sicht, man kann das alles auch anders einschätzen, dann wirkt das beruhigend.

      Schon als Jugendlicher sang ich im Gottesdienst gern das Lied von Georg Neumark „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Die zweite Strophe lautet: „Was helfen uns die schweren Sorgen, / was hilft uns unser Weh und Ach? / Was hilft es, dass wir alle Morgen / beseufzen unser Ungemach? / Wir machen unser Kreuz und Leid / nur größer durch die Traurigkeit.“ Das geht tiefer als der platte Slogan von Dale Carnegie: „Sorge dich nicht – lebe!“ Denn das Lied aus dem 17. Jahrhundert integriert die Sorge in das Vertrauen auf Gott. Das ist die größere Perspektive, die über die eigene enge Wahrnehmung hinausreicht.

      Was hat der Mensch letztendlich von seiner schweren Arbeit und von all seinen Sorgen? Er müht sich ab, jeden Tag leidet er, seine Arbeit bringt ihm nur Ärger ein, und selbst nachts findet er keine Ruhe mehr. Es ergibt keinen Sinn. Es gibt nichts Besseres für den Menschen, als sich an dem zu freuen, was er isst und trinkt, und das Leben trotz aller Mühe zu genießen. Doch ich erkannte, dass auch das ein Geschenk Gottes ist. Denn wie kann man sich am Essen oder Trinken freuen ohne sein Zutun? (Prediger 2,22–25)

      Schwere Krankheiten hatten meine Schwiegermutter lange gepeinigt. Irgendwann verweigerte sie die Nahrungszufuhr. Es dauerte ein paar Wochen, bis sie starb. Essen und Trinken sind Zeichen von Lebenswillen. Es geht nicht darum, gegen die Beschwernisse des Daseins anzuessen und anzutrinken. Aber trotz aller Mühsal dürfen wir genießen. Die Probleme bleiben, werden jedoch für Momente der Freude gezähmt.

      Mit meinem besten Freund esse ich gern zusammen, denn er futtert mit Hingabe. Wir können uns geradezu tierisch über beste Speisen hermachen, aber auch eine Dosensuppe löffeln oder die Pralinenschachtel leeren. Wir lassen uns nicht kleinkriegen, versichern wir uns gegenseitig durch unser Tun. Wenn wir die großen Zusammenhänge auch nicht verstehen, von Genuss verstehen wir etwas.

      Mit Hingabe essen und trinken zu können ist ein Geschenk. Wer aus gesundheitlichen Gründen immer prüfen muss, was er zu sich nehmen kann und was nicht (Laktose?, Gluten?, Alkohol?), wird ausgebremst. Was aber dann noch möglich ist, soll erfreuen.

      Als ich auf dem Kirchentag dem Pfadfinder zwei Rosinenschnecken schenkte, rief er mir ein begeistertes „Geil!“ zu. Ein Dank an mich und an den Schöpfer, der Menschen Rosinenschnecken erfinden ließ. „Wie kann man sich am Essen oder Trinken freuen ohne sein Zutun?“, fragt Kohelet, eher rhetorisch, denn die meisten werden wohl ohne einen Gedanken an ihn kauen und schlucken und schmecken. Ich möchte die Dankbarkeit als Lebensmotto umsetzen. Nichts ist selbstverständlich.

      Eine Freundin machte eine Radwanderung um den Baikalsee. Zwischendurch menschenleere Abschnitte. Die Lust auf etwas Leckeres stieg ins Unermessliche. Dann bröselte sie Butterkekse in eine Tasse und vermengte sie mit „Milchmädchen“, einer gezuckerten Kondensmilchpaste. „Das war der Himmel“, schwärmte sie. Auch ein Gebet. Ich kann es nachschmecken.

       Einfach mal „Ich weiß es nicht“ sagen

      Mosaiksteinchen aus meinen Begegnungen als Pfarrer:

      Der Siebzigjährige hat eine Affäre. Nun hat ihm die Freundin den Laufpass gegeben. Den Mann quält auf seine alten Tage Liebeskummer.

      Der Seniorin ist vor Jahren der erwachsene Sohn gestorben. Das hat sie Gott nie verziehen. Zum Gottesdienst kommt sie seither nicht mehr.

      Ein Brautpaar sitzt in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa. Ich frage die Braut etwas, sie antwortet. Ich frage beide etwas, sie antwortet. Ich frage ihn etwas … sie antwortet.

      Die Frau in meinem Alter findet sich im Gleichnis vom Barmherzigen Vater wieder: Ihr Bruder sei der verlorene Sohn, der das Geld verprasst hat und dennoch alle Liebe der Eltern genießt. Sie sei für Mutter und Vater immer da gewesen, habe sich stets gekümmert. Ihr hält man vor, sie sei ja nie da. Ich rate ihr, die Eltern konkret darauf anzusprechen. Sie wehrt ab: „Dann streiten die ja nur.“ Ich entgegne: „Streit ist ein Zeichen von Nähe.“ Sie lacht zustimmend. Aber bitter.

      Ein Mann klagt mir, seine Frau werde dement. Ein paar Tage später bittet seine Frau um einen Termin bei mir, denn sie sucht Rat: „Mein Mann wird dement.“

      Ein Herr bittet um ein Gespräch. Dabei fragt er mich: „Glauben Sie an Gott?“ Ich bejahe lächelnd. Darauf seufzt er mit Tränen in den Augen: „Dann kann ich auch glauben.“

      Wer wollte diese skizzierten Personen und Konflikte beurteilen? Ich auf jeden Fall nicht. Das Panoptikum des menschlichen Umgangs mit dem Phänomen Leben ist bunt und schillernd. Sieht Gott das auch so gelassen? Oder bewertet er?

      Gott schenkt demjenigen, der ihm gefällt, Weisheit, Erkenntnis und Freude. Doch wer sich nicht um Gott kümmert, den lässt er sich mühen, um Güter zu sammeln und Besitz anzuhäufen – um ihm dann seinen Reichtum fortzunehmen und denen zu geben, an denen er Freude hat. Dann war seine ganze Mühe sinnlos und gleicht dem Versuch, den Wind einzufangen. (Prediger 2,26)

      Weisheit, Erkenntnis und Freude – damit kann das Leben gelingen! Solche Güter erhält, wer Gott gefällt. Wie aber kommt es, dass die einen Gott gefallen wie Abel, die anderen, dem Kain gleich, aber nicht? Kann man etwas dafür tun, um Gott zu gefallen? Wenn ja, was? Seine Gebote beachten? Verschenkt Gott seine Gunst aufgrund undurchschaubarer Kriterien? Oder einfach nach Lust und Laune? Wahrscheinlich will Kohelet gar nicht die Prädestination thematisieren, also Vorherbestimmung durch Gott. Doch seine Bemerkung wirft Fragen auf.

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