Windhauch und Wein. Georg Schwikart
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Название: Windhauch und Wein

Автор: Georg Schwikart

Издательство: Bookwire

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783429065386

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СКАЧАТЬ das Ehepaar. Wir hatten ein nettes, offenes Verhältnis; warum haben sie mich nicht einfach angesprochen und gefragt: „Was war das denn da mit der Muttergottes?“ Warum diese Aufregung? Das kostete ein großes Stück unseres Vertrauens.

      Eine (evangelische) Hörerin des „Gebetes am Mittwoch“ meinte, sie sei tatsächlich davon ausgegangen, Maria sei angesprochen worden, und das habe sie überhaupt nicht gestört. Sie würdigte den schönen und tiefen Inhalt von Merles Gebet. Ja, Merle wird eine fabelhafte Pfarrerin werden.

      Diese Muttergottes-Episode steht symptomatisch für Auseinandersetzungen im Mikrokosmos Gemeinde. Hier ist jemand gekränkt, weil er sich nicht angemessen gegrüßt fühlt. Dort beschwert sich einer und möchte in der Predigt nicht geduzt werden (wenn ich zum Beispiel frage „Wisst ihr, was ich meine?“). Über die meisten Vorwürfe und Auseinandersetzungen kann man außerhalb des Gemeinde-Biotops nur den Kopf schütteln. Wir beschäftigen uns viel und gern und ausführlich mit uns selbst. Und wenn ich höre, was anderswo los ist, geht’s uns noch gut.

      Dabei ist der Anspruch ein ganz anderer. Der abstrakte Begriff Kirche soll in der Gemeinde konkret werden: Wir, diese unvollkommenen und unterschiedlichen Menschen, sind die Gemeinschaft der Heiligen. Wir repräsentieren als Leib Christi das Reich Gottes. Wir sind kein Selbstzweck, sondern im Auftrag des Herrn unterwegs – befähigt, seine Botschaft in die Welt zu tragen. … Die Theologin Dorothee Sölle hat solche theologische Phrasendrescherei entlarvt und sagt: „Dass Gott uns alle und sogar jeden einzelnen liebt, ist eine allgemeine theologische Wahrheit, die ohne Übersetzung zur allgemeinen Lüge wird. Die Übersetzung dieses Satzes ist die weltverändernde Praxis.“ An der Umsetzung scheitern wir immer wieder gnadenlos.

      Unser gegenseitiges Beurteilen und Verurteilen hat mit dem Evangelium nicht mehr viel zu tun. Wir benehmen uns verrückt und dumm, weil es uns an Weisheit mangelt, würde Kohelet diagnostizieren. Das macht alles unnütz. Und am Ende muss der Weise genauso sterben wie der Dummkopf. Stimmt. Aber in der Zeit davor liegt es in unserer Hand, das Leben etwas erträglicher zu gestalten. Gottes Liebe im Alltag zu praktizieren verändert die Welt. Wir verlieren nicht nur Kirchenmitglieder, weil die Menschen aufhören, an Gott zu glauben, sondern auch, weil es bei uns oft genug so wenig wohlwollend zugeht.

      „Später, in der Zukunft, wird sowieso alles vergessen sein.“ Welch ein Segen! Dank sei Mutter Gott!

       Begriff im Wandel

      Herrn Lipkos Anzug sitzt wie maßgeschneidert. Die – wohl italienische – Seidenkrawatte gleicht einem Schmuckstück. Haare adrett, Schuhe tipptopp. Diese lässige Haltung, in der er mir gegenübersitzt. Er möchte jünger aussehen, als er ist. Seine erfolgreiche Karriere lässt er im Gespräch so nebenbei einfließen, ebenso die beeindruckenden Berufe seiner Kinder. Über seine Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten der Gesellschaft berichtet er anekdotenhaft. Mit einem Wort: Der Mann ist eitel. Ich gestehe, dass ich Frauen diese Eigenschaft großzügiger durchgehen lasse als Männern.

      Eitelkeit: Da setzt ein Mensch alles daran, als schön und besonders wahrgenommen zu werden. Soll er doch! Ich empfinde statt Hochachtung eher so etwas wie Mitleid mit den Eitlen. Durch ihr Auftreten und Verhalten geben sie zu erkennen, dass sie mit dem, wie sie wirklich sind, keinen Frieden haben. Sie können sich mit ihrer eigenen Unvollkommenheit und Normalität nicht versöhnen. Ich kann das gut nachvollziehen, gibt es doch auch in mir Anflüge von Eitelkeit. Es ist keine angenehme, doch auch keine ganz außergewöhnliche Eigenschaft. Eigentlich zum Lachen!

      Der Begriff hat jedoch im Laufe der Jahrhunderte seine Bedeutung gewandelt. Was heute eher wie eine puritanische Bewertung klingt, meinte früher Vergänglichkeit. Martin Luther übersetzt das hebräische „häwäl“ mit eitel. In diesem Sinne überschrieb der Barockdichter Andreas Gryphius sein berühmtes Sonett mit dem Titel „Es ist alles eitel“:

      Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.

      Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:

      Wo jetzt noch Städte stehn, wird eine Wiese sein,

      auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

      Was jetzt noch prächtig blüht, soll bald zertreten werden.

      Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch’ und Bein,

      nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.

      Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

      Der hohen Taten Ruhm muss wie ein Traum vergehn.

      Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?

      Ach! Was ist alles dies, was wir für köstlich achten,

      als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;

      als eine Wiesenblum’, die man nicht wieder find’t.

      Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten!

      Gryphius verfasste diese Verse während des Dreißigjährigen Krieges. Darin sind sich alle Kriege gleich: Neben der Zerstörung von Leben, Natur und Kultur vernichten sie auch jene Stabilität, die zum Gedeihen notwendig ist. Doch auch ohne kriegerische Auseinandersetzungen verändern sich die Lebensgrundlagen immer wieder gravierend. Nichts bleibt, wie es ist.

      Da wurde mir das Leben vollständig verleidet, denn es ist alles so sinnlos, als wolle man den Wind fangen. Ich hasste meine Anstrengungen, die ich unternommen hatte, um etwas zu erreichen – ich muss ja doch alles meinem Nachfolger hinterlassen! Und wer weiß, ob dieser weise oder töricht sein wird? Und dennoch wird ihm alles gehören, was ich durch Klugheit und harte Arbeit erworben habe. Das ist so sinnlos! Ich verzweifelte fast, als ich mir alle Mühe und Arbeit vor Augen hielt, die ich mir hier auf der Erde gemacht hatte. Denn es ist so: Ein Mensch müht sich ab, gibt Weisheit, Einsicht und sein ganzes Geschick daran, etwas zu erreichen. Dann aber muss er alles, was er erreicht hat, einem Menschen hinterlassen, der nichts dafür getan hat. Das ist völlig sinnlos und ungerecht. (Prediger 2,17–21)

      „Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein“, das ist für Gryphius traurige Realität, Kohelet sieht es übertragen in einem Menschenleben. Du baust etwas auf, aber nach dir wird es nicht fortgeführt. Das kennen viele, die sich in ihrer Arbeit, einem Ehrenamt oder für eine Idee mit Herzblut engagieren. Eines Tages scheint das alles nichts mehr wert zu sein. Technologien haben sich überholt, gesellschaftliche Trends gewandelt, der Geschmack ist ein anderer geworden, der Bedarf fällt weg, das Interesse erlischt.

      Das kann einem das Leben verleiden, das kann man als sinnlos und ungerecht empfinden. Man muss es jedoch nicht. Wenn Kohelet auf meinem Sofa säße und mir sein Leid klagte, dann würde ich auch entgegnen: „Du hast ja so Recht! Doch den Anspruch zu erheben, alles müsste immer so weitergehen, wie du es gemacht hast, ist einfach unangemessen.“

      Wir hinterlassen etwas, wenn wir von dieser Welt gehen. Übrigens mitunter nicht nur Gutes. Doch wir haben auch etwas vorgefunden, als wir auf die Welt kamen. Nicht nur Schlechtes. Nachfolgende Generationen müssen ihren Weg zu leben finden, den dürfen wir nicht vorherbestimmen. Auch wir wollten unsere Vorstellungen verwirklichen, als wir antraten die Gegenwart zu gestalten.

      Aus dem Bereich Kirche kenne ich das zur Genüge. Mancher Pfarrer meint, ohne ihn würde die Kirche zusammenbrechen. Weit gefehlt, sie hat alle Geistlichen überlebt. Und dass die jungen Nachfolger überzeugt sind, sie wüssten endlich, wie man es richtig macht: So soll es sein!

      Ein СКАЧАТЬ