Название: Sanktionsbewehrte Aufsichtspflichten im internationalen Konzern
Автор: Andreas Minkoff
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht
isbn: 9783811444096
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Es überrascht daher nicht, dass in der rechtswissenschaftlichen Diskussion Abhandlungen und Stellungnahmen zu diesem Themenkomplex – gerade auch in jüngster Vergangenheit – spürbar zugenommen haben.[12] Dabei ist jedoch ein weitreichender und auf die Bußgeldpraxis ausstrahlender Konsens nach wie vor nicht ersichtlich.[13] So nahm die Staatsanwaltschaft München I im Fall Siemens – freilich ohne vertiefte Auseinandersetzung mit der Adressatenfrage – die Konzernspitze für Verstöße bei Tochtergesellschaften wie selbstverständlich in die Pflicht.[14] Auch in der Rechtswissenschaft finden sich Stimmen, die für eine derart weitreichende Anwendbarkeit des § 130 OWiG plädieren. Ebenso findet sich jedoch auch die nicht nur vereinzelt vertretene Auffassung, nach der die Pflichten des § 130 OWiG nicht über die Grenzen der einzelnen Konzerngesellschaften hinaus reichen und eine Verantwortung der Konzernspitze damit in entsprechenden Fällen ausscheidet. Vervollständigt wird das Meinungsspektrum durch Autoren, die Mittelwege vorschlagen, indem sie eine konzernweite Anwendung der Norm an das Überwinden mehr oder weniger hoher Hürden koppeln. Einen solchen Mittelweg vertrat jüngst auch das OLG München in einer der seltenen höherinstanzlichen Stellungnahmen zu dieser Fragestellung.[15] Wenn bereits die Ergebnisse dieser mittlerweile vieldiskutierten Streitfrage durch eine solche Vielfalt gekennzeichnet sind, so gilt dies freilich erst recht für die dabei herangezogenen dogmatischen Legitimationsansätze – sofern sich denn überhaupt um sie bemüht wird. Die vorliegende Untersuchung kann daher nicht für sich beanspruchen, eine Nische zu besetzen, indem sie bisher unbeachtete Problemfragen erörtert. Sie kann aber für sich beanspruchen, sich bisher ungeklärten Rechtsfragen zu widmen.
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Weitestgehend Neuland betritt die Untersuchung überdies, sofern sie den Blick auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte richtet.[16] Die annähernd ausnahmslose Außerachtlassung überrascht angesichts der erheblichen Bedeutung, die internationale Konzernverbindungen in der heutigen Wirtschaftslandschaft einnehmen[17] und kann – wie zu zeigen sein wird – nicht auf die Banalität der dabei aufgeworfenen Rechtsfragen zurückgeführt werden. Dabei beschränkt kaum ein Unternehmensverbund seine geschäftlichen Aktivitäten auf das Inland.[18] Während auf der einen Seite inländische Konzernobergesellschaften über zahlreiche Tochter- und Enkelgesellschaften im Ausland verfügen, sind auf der anderen Seite viele deutsche Unternehmen Konzernobergesellschaften aus dem Ausland – wie etwa den USA – zuzuordnen.[19] Auch hier stellen sich im Falle der Pflichtverletzung in Tochtergesellschaften bedeutsame Fragen. Müssen sich inländische Konzernobergesellschaften für Pflichtverletzungen in ausländischen Tochtergesellschaften nach § 130 OWiG verantworten? Besteht für deutsche Verfolgungsbehörden daneben die Möglichkeit, gegen ausländische Konzernobergesellschaften Bußgelder zu verhängen, wenn in inländischen Tochtergesellschaften Pflichtverletzungen geschehen?
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Die aufgezeigten Problemstellungen führen damit zu den Ausgangsfragen der Untersuchung:
1. | Richten sich die Aufsichtspflichten des § 130 OWiG im Unternehmensverbund gegen die Konzernobergesellschaft? |
2. | Wie sind gegebenenfalls grenzüberschreitende Sachverhalte zu beurteilen? |
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Die scheinbar vor allem mit Blick auf die Verfolgungspraxis große Bedeutung des § 130 OWiG, die Dominanz von Konzernverbindungen in der heutigen Unternehmenslandschaft sowie die zunehmende Überschreitung von Landes- und Wirtschaftsraumgrenzen im Rahmen der Globalisierung sollen dabei die Relevanz dieser Darstellung indizieren.
Anmerkungen
„Wenn er kommt ist Zahltag“, Welt am Sonntag Online vom 14.8.2011, abrufbar im Internet unter http://www.welt.de/print/wams/muenchen/article13543574/Wenn-er-kommt-ist-Zahltag.html.
Manfred Nötzel, Leitender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft München I, Welt am Sonntag Online vom 14.8.2011, siehe vorherige Fn.
Eidam in: Eidam, 14. Kapitel Rn. 63 f.
Der Bußgeldbescheid ist in einer Entwurfsfassung abrufbar auf der Internetseite der Siemens AG unter http://www.siemens.com/press/pool/de/events/2008-12-PK/MucStaats.pdf.
Vgl. zum Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft München I gegen die Siemens AG ausführlich später Rn. 230 ff.
Nicht unerwähnt bleiben darf jedoch bereits an dieser Stelle die Uneinheitlichkeit der Normanwendung auf Seiten der Verfolgungsbehörden. Während das Bundeskartellamt und vor allem in den letzten Jahren auch manche Schwerpunktstaatsanwaltschaften die Norm in ihr Standardrepertoire aufgenommen haben, bleibt sie anderenorts nach wie vor unbeachtet. Vgl. hierzu und allgemein zur Relevanz der Norm später Rn. 221 ff.
Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.6.2013, BGBl. I S. 1738. § 30 OWiG erlaubt es, direkt gegen Verbände Bußgelder zu verhängen, wenn die verantwortlichen Leitungspersonen eine betriebsbezogene Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen haben, wobei die Aufsichtspflichtverletzung i.S.d. § 130 OWiG in diesem Kontext eine der bedeutsamsten Anknüpfungstaten darstellt (vgl. hierzu noch später Rn. 122 ff.). Grundsätzlich koppelt der Gesetzgeber die maximale Verbandsgeldbuße im Rahmen des § 30 OWiG im Falle des Verstoßes der Leitungspersonen gegen Ordnungswidrigkeitenrecht an den Bußgeldrahmen der im Rahmen der СКАЧАТЬ