Название: AGB-Recht
Автор: Martin Schwab
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Recht in der Praxis
isbn: 9783811455337
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Wenn die Zahl der beabsichtigten Verwendungsfälle das Merkmal der „Vielzahl“ erfüllt oder aber gar von vornherein nicht im voraus bestimmt ist, ist die vorformulierte Klausel bereits dann AGB, wenn auch nur in einem Einzelfall tatsächlich auf sie zurückgegriffen wird[15]; entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der Verwendung die Absicht des Verwenders vorliegt, für eine Vielzahl von Verträgen auf die Klausel zurückzugreifen[16]. Diese Absicht kann sich durchaus auch erst im Laufe der Zeit bilden: Es mag nämlich geschehen, dass eine Vertragsbestimmung zunächst nur für einen Einzelfall formuliert wurde und sich der Verwender später entschließt, sie dauerhaft seinen Vertragsabschlüssen zugrunde zu legen. In diesem Fall ist die Klausel zunächst Individualabrede und wird zur AGB in dem Moment, in dem der Sinneswandel des Verwenders einsetzt; für die vorher abgeschlossenen Verträge bleibt es bei der Einordnung als Individualabrede[17]. Wenn freilich eine Vertragsbedingung tatsächlich in einer Vielzahl von Verträgen verwendet wird, wird dies als Indiz gewertet, dass die Absicht der Mehrfachverwendung bereits von Anfang an vorlag. So hat der BGH – in der Erkenntnis, dass die subjektive Absicht des Verwenders nicht immer sogleich nach außen hin deutlich wird – ausgesprochen, dass von AGB auszugehen ist, wenn die Partei, welche die Klauseln stellt, ihre Geschäftspraxis erkennbar an der wiederholten Verwendung der Klauseln ausrichtet[18].
3. Insbesondere öffentliche Ausschreibungsbedingungen
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Zu Missverständnissen kann das Merkmal der „Vielzahl“ von Verträgen bei der öffentlichen Ausschreibung von Aufträgen führen.
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Beispiel 12
In den Ausschreibungsbedingungen einer Gemeinde betreffend die Errichtung eines schlüsselfertigen Bürogebäudes für die Gemeindeverwaltung heißt es: „Der Bieter verpflichtet sich für den Fall, dass er im Zusammenhang mit dem Ausschreibungsverfahren an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen teilgenommen hat, zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 3 % der Auftragssumme.“
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Die Klausel im Beispiel 12 erscheint nach außen hin als AGB, weil sie einer Vielzahl von Bietern (nämlich potentiell unbegrenzt vielen) als feststehende Klausel präsentiert wird. Gleichwohl handelt es sich nicht um eine AGB, wenn die Klausel nur für ein einziges Bauvorhaben verwendet wird; denn dann ist sie darauf gerichtet, Bestandteil nur eines einzigen Vertrages, nämlich über die Erbringung von Bauleistungen für dieses eine Gebäude zu werden. Es fehlt daher an der erforderlichen „Vielzahl“ von Verträgen[19]. Wohl aber liegt eine AGB vor, wenn die Klausel für alle Ausschreibungen des Bauherrn gleichermaßen verwendet wird; dann ist das Merkmal der „Vielzahl“ von Verträgen erfüllt[20].
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Die so gefasste „Vertragsstrafe“ hat der BGH[21] als Garantieversprechen angesehen und nach § 307 I BGB für unwirksam erklärt: Eine Vertragsstrafe liege in Wahrheit nicht vor. Vertragsstrafen sei die Zielsetzung eigen, dass sie den Schuldner zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten anhalten und dem Gläubiger die Möglichkeit geben sollten, Schäden erleichtert zu liquidieren, ohne sie im Einzelnen nachweisen zu müssen. Wäre das die Funktion der wiedergegebenen Klausel, so müsste sie sich auf den Bieter beschränken, der den Zuschlag erhalten habe und mit dem ein Vertrag zustande gekommen sei. Vertragsstrafen würden des Weiteren niemals bereits bei Vertragsschluss verwirkt, sondern erst mit einer späteren Pflichtverletzung. An allen diesen charakteristischen Merkmalen einer Vertragsstrafe fehle es hier. Vielmehr komme die Klausel auch gegenüber denjenigen Bietern zur Geltung, welche den Zuschlag nicht erhielten; ja sie greife selbst dann ein, wenn die Ausschreibung aufgehoben und der Auftrag letztlich überhaupt nicht vergeben werde. Zudem sei die Strafe, so denn tatsächlich eine Teilnahme an Submissionsabsprachen erfolgt sei, in dem Zeitpunkt, in dem sie der Bieter abgebe, bereits verwirkt. Damit ziele die Klausel auf eine Schöpfung vertragsfremder neuer Geldforderungen und folglich auf eine Bereicherung der ausschreibenden Stelle ab, die mit Treu und Glauben nicht zu vereinbaren sei.
4. Kontrolle vorformulierter einzelvertraglicher Bedingungen in Verbraucherverträgen
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Nach § 310 III Nr. 2 BGB gelten im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmer und Verbraucher die §§ 305c II, 306, 307–309 BGB auch für solche vorformulierten Vertragsbedingungen, die nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, soweit der Verbraucher aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte. Der fehlende Einfluss des Verbrauchers muss also gerade die spezifische Folge der Vorformulierung sein. Existenzgründer sind entsprechend § 507 BGB als Verbraucher i.S.d. § 310 III BGB zu qualifizieren[22].
a) Zurechnung der Verwendung
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§ 310 III Nr. 2 BGB verlangt nicht ausdrücklich, dass die vorformulierte Bedingung dem Verbraucher vom Unternehmer „gestellt“ sein muss. Sicher ist nur, dass Vertragsbedingungen, die auf Initiative des Verbrauchers in den Vertrag eingeführt werden, von der Vorschrift nicht erfasst sind[23]. Dagegen ist streitig, ob die Vorschrift nur auf Vertragsbedingungen anzuwenden ist, deren Verwendung dem Unternehmer zugerechnet werden kann[24], oder ob auch solche Bedingungen erfasst werden, die von neutralen Dritten in den Vertrag eingeführt werden[25].
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Die erste Ansicht stellt den Wortlaut von Nr. 1 und Nr. 2 des 310 III BGB einander gegenüber: Nr. 2 beziehe sich anders als Nr. 1 nicht ausdrücklich auf Vertragsbedingungen, die von anderen Personen als dem Unternehmer gestellt würden, erfasse also im Gegensatz zu Nr. 1 Drittbedingungen gerade nicht. Diese Interpretation erscheint freilich nicht zwingend: Der Wortlaut der Nr. 2 macht die Inhaltskontrolle lediglich davon abhängig, dass der Verbraucher auf die Klausel keinen Einfluss nehmen konnte; das kann bei Drittbedingungen ebenso der Fall sein wie bei vom Unternehmer gestellten Bedingungen. Die zweite Ansicht hält es demgegenüber zu Recht mit Rücksicht auf Art. 3 II 1 der Missbrauchsklausel-Richtlinie für europarechtlich unzulässig, die Inhaltskontrolle vorformulierter Bedingungen in Verbraucherverträgen davon abhängig zu machen, dass diese vom Unternehmer „gestellt“ werden. Entscheidend ist allein, dass der Verbraucher keinen Einfluss auf die Gestaltung der Klausel nehmen konnte. Daher sind auch solche für einen Einzelvertrag vorformulierten Vertragsbedingungen von § 310 III Nr. 2 BGB (und damit insbesondere von der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB) erfasst, die von neutralen Dritten, etwa Notaren, in den Vertrag eingeführt werden.
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