Название: Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht
Автор: Stefan Storr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Schwerpunkte Klausurenkurs
isbn: 9783811469044
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Zunächst ist dessen Grundlage zu klären. Eine spezielle Regelung gibt es hierzu im IHKG nicht, so dass auf die allgemeinen Grundsätze zu rekurrieren ist. Dass es einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch gibt, ist allgemein anerkannt, ohne dass man Einigkeit über seine Herleitung erzielt hätte[49]. Er wird zum Teil unmittelbar aus dem Grundrecht abgeleitet, dem der Eingriff droht, teilweise aus § 1004 BGB analog oder gar aus dem Folgenbeseitigungsanspruch. Der Unterlassungsanspruch könnte sich vorliegend unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 GG (iVm Art. 19 Abs. 3 GG) ergeben, da ein ungerechtfertigter Eingriff in dieses Grundrecht eines Mitglieds einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft vorliegt, sofern diese ihren gesetzlichen Aufgabenbereich überschreitet und damit ohne Rechtsgrundlage handelt[50].
Hinweis:
Sofern man in Aufgabe 1 der Gegenauffassung folgt und die Pflichtmitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft an der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG misst, wäre konsequenterweise auch der mögliche Abwehranspruch aus diesem Grundrecht herzuleiten. Ein vergleichbarer Abwehranspruch könnte wohl auch aus den Grundfreiheiten entwickelt werden. Eine solche Weiterentwicklung wäre aber nur erforderlich, wenn sich das unionsrechtlich indizierte Ergebnis – die Einräumung von Abwehr- und Unterlassungsansprüchen gegen grundfreiheitenwidriges hoheitliches Handeln – anders nicht erzielen ließe. Es genügt jedoch dem Äquivalenzprinzip, wenn man den Anspruch dogmatisch aus Art. 2 Abs. 1 GG ableitet, ihn aber auch zur Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Ansprüche mobilisiert. Auch die Tatsache, dass es sich bei L um eine ausländische juristische Person handelt, steht dem Anspruch nicht entgegen. Dies folgt entweder bereits daraus, dass es sich um einen zwar in den Grundrechten wurzelnden, aber einfachrechtlichen Anspruch handelt, oder aber daraus, dass sich – in unionsrechtskonformer Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG – auch juristische Personen des Privatrechts aus EU-Mitgliedstaaten auf die Grundrechte berufen können[51] (s. zu dieser Problematik ausf Fall 2). Für welche dogmatische Begründung man sich entscheidet, hat auf das Ergebnis keinen Einfluss.
Im Ergebnis steht dem einzelnen Mitglied ein Unterlassungsanspruch gegen solche Maßnahmen zu, die nicht zum gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereich der Körperschaft gehören, dem Gebot der Verhältnismäßigkeit widersprechen oder sonst gegen höherrangiges Recht verstoßen. Dieser Anspruch setzt daher auch keine bewusste oder offensichtliche Überschreitung der Aufgaben voraus und besteht unabhängig davon, dass auch die Staatsaufsicht verpflichtet ist, auf die Einhaltung der der Kammer gesetzten Grenzen zu achten. Vor allem aber besteht der Unterlassungsanspruch unabhängig davon, ob mit der konkret gerügten Maßnahme eine Betroffenheit des Klägers in eigenen Rechten einhergeht; es kommt allein auf die Kompetenzüberschreitung an[52]. Dieser Ansatz überzeugt, stellt doch dieser umfassende Kontrollanspruch das (verfassungsrechtlich notwendige) Korrektiv der Pflichtmitgliedschaft dar[53]. Hält man den Kammerbeitrag gerade auch deswegen für zumutbar, weil die übertragenen Aufgaben angemessen sind, so müsste sich daraus auch ein Anspruch ableiten lassen, auf solche Aufgaben zu verzichten, die für die konkrete Kammer mit zu hohen finanziellen Risiken verbunden wären.
Hinweis:
Insoweit bedarf die bisherige Rechtsprechung einer Überprüfung, nach der ein Mitglied nicht geltend machen kann, die Kammer habe eine Aufgabe nicht ordnungsgemäß wahrgenommen[54]. Diese Fallgruppen lassen sich aber in der Praxis nur schwer auseinanderhalten, wie auch der vorliegende Fall zeigt: Es käme dann entscheidend darauf an, ob man eine solche Kampagne generell als Kompetenzüberschreitung ansähe oder ob man die Förderung regionaler Produkte als zulässig ansieht und lediglich die konkrete Kampagne als nicht ordnungsgemäße Wahrnehmung der Kompetenzen einstuft. Gleichzeitig verbinden sich hier die ungelösten Fragen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs mit denjenigen, der kammerrechtlichen „Mitgliederklage“. Selbstverständlich sind in der Klausur an dieser Stelle sämtliche Auffassungen vertretbar und kann keine Vertiefung dieser Problematik erwartet werden. Es genügt das entsprechende Problembewusstsein.
2. Kompetenzüberschreitung aufgrund einer Missachtung der einfachgesetzlichen Vorgaben
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Voraussetzung für einen solchen Anspruch wäre, dass die Maßnahme der IHK nicht von ihrer gesetzlichen Aufgabenzuweisung gedeckt wäre. Maßgeblich ist insoweit § 1 IHKG, der eine Umschreibung des Aufgabenkreises der IHK enthält und trotz der generalklauselartigen Formulierung der Absätze 1 bis 3 – anders als bei Gemeinden – keine Allzuständigkeit normiert. Die Kampagne könnte allerdings deshalb dem Aufgabenkreis der Kammer unterfallen, da diese, gemäß Absatz 1 der Vorschrift, als eine Hauptaufgabe, die Förderung der gewerblichen Wirtschaft ihres Bezirks zugewiesen bekommt. Die Kammer und ihre Organe entscheiden dabei in eigener Verantwortung über die Maßnahmen, die sie für notwendig halten und die Mittel, die sie dafür einsetzen wollen[55]. Mit dem Aufruf will die IHK Pfalz die ihr angehörenden Betriebe fördern, sodass darin eine Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu erblicken sein könnte. Das BVerwG lässt es dabei genügen, wenn ein Sachverhalt „zumindest am Rande“ die Interessen der gewerblichen Wirtschaft berührt[56]. Andererseits zeigt sich am Beispiel der L, dass gerade nicht alle Mitglieder von der „Förderungsmaßnahme“ profitieren, sondern letztlich der gesamte Handel mit ausländischen Waren sogar nachteilig betroffen ist. Je stärker die Förderung der gewerblichen Wirtschaft in den Hintergrund tritt, desto stärker muss sie das Gesamtinteresse der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden im Blick behalten, dessen Wahrnehmung ihr in § 1 Abs. 1 IHKG ebenfalls aufgetragen ist. Dabei kann sich die Wahrnehmung des Gesamtinteresses der Bezirkswirtschaft in allen denkbaren Formen vollziehen und umfasst daher auch die Öffentlichkeitsarbeit. Dieses Gesamtinteresse ist dabei weder eine Summe oder Potenzierung der Einzelinteressen noch der kleinste gemeinsame Nenner, sondern setzt nach einer Ermittlung der Einzelinteressen deren Abwägung und den Versuch des Ausgleichs voraus[57]. Es kann also sehr wohl im Widerspruch zu den Interessen eines bestimmten kammerzugehörigen Unternehmens stehen. Voraussetzung dafür, dass von der Wahrnehmung des Gesamtinteresses gesprochen werden kann, ist allerdings, dass die verschiedenen Einzelinteressen bedacht werden und ein Ausgleich versucht wird. Durch die Kampagne „Buy Pälzisch!“ zielt die IHK auf eine Förderung der Gesamtheit der Mitglieder ab. Eine Hervorhebung bestimmter Mitgliedsgruppen soll dagegen nicht erreicht werden. Andererseits hat die Kammer zu bedenken, dass sie sich nicht nur aus solchen Unternehmen zusammensetzt, die ihre Waren vollständig in der Region produzieren. Auch die Interessen derartiger Mitglieder, die in der Region produzieren, die allerdings das Produkt letztlich nicht als solch regionales Produkt vertreiben, muss die Kammer in die Ermittlung des Gesamtinteresses einfließen lassen. Durch den Aufruf, nur noch Produkte mit „spezifischem“ Bezug zur Pfalz zu kaufen, werden derartige Mitglieder sogar ganz bewusst aus der Aktion herausgenommen, ohne dass ein sachlicher Grund erkennbar ist, warum die Kampagne nur bestimmte Mitglieder erfassen soll. Somit ist davon auszugehen, dass die Kampagne nicht vom Gesamtinteresse der zugehörigen Gewerbetreibenden umfasst ist, sodass der Aufruf nicht als von der Aufgabenzuweisung umfasst angesehen werden kann. Möglicherweise lässt die Gestaltung bereits aus diesen Gründen „das höchstmögliche Maß an Objektivität und die notwendige Sachlichkeit und Zurückhaltung“ vermissen, die das BVerwG[58] und das BVerfG gefordert haben. Zu dem zu beachtenden Rechtsrahmen gehören aber jedenfalls auch die verfassungs- und unionsrechtlichen Vorgaben.
Hinweis:
Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die folgenden Fragen unter getrennten Überschriften geprüft. Strenggenommen handelt es sich gleichwohl um eine unions- und verfassungsrechtskonforme Auslegung der Aufgaben- und Kompetenznormen des IHKG. Allein die Übertragung der Aufgabe ermächtigt gerade nicht zu Grundrechtseingriffen, sodass umgekehrt die Aufgabennormen so ausgelegt werden müssen, dass sie Maßnahmen die – als Eingriff in Grundrechte und Grundfreiheiten – einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen, gerade nicht erfassen. Die Prüfung von Grundfreiheiten und Grundrechten folgt der üblichen Prüfungsreihenfolge.
3. Kompetenzüberschreitung wegen Grundfreiheitenverstoßes
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