Der kunstfertige Fälscher. Maria Attanasio
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Название: Der kunstfertige Fälscher

Автор: Maria Attanasio

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Alltagshelden

isbn: 9783949558030

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      Eine schwarze Wüste trat an die Stelle der wasserreichen Talsenke am Stadtrand, als am 9. Juni 1669 vor den Toren Catanias ein Vulkankrater ausbrach und sich von der Nesima-Hochebene gigantische Lavaströme hinabwälzten, das Castello Ursino, Trutzburg aus der Zeit Friedrichs II., am Meer umkreisten und ihren Weg fortsetzten. Und so kam es, dass sich das Schloss am Ende zwei Kilometer von der Küste entfernt befand.

      Wenige Jahrzehnte später schon war auf jener kahlen Anhöhe ein Maultierpfad entstanden, der bald befahrbar werden sollte, und 1918 — längst drängte die Stadt über ihre Mauern hinaus — zu einer richtigen Allee geworden war, die der Bürgermeister Giuseppe De Felice Giuffrida dem einige Jahre zuvor verstorbenen Dichter Mario Rapisardi widmete, dessen Schöpferkraft auch in eine flammende Kontroverse mit Giosuè Carducci geflossen war.

      An beiden Seiten der Allee standen vereinzelte Häuser, und einige Sträßchen zweigten von ihr ab, die sich schon nach wenigen Metern inmitten der Lavafelder verloren.

      In einem dieser Häuser, rosa getüncht und etwas zurückversetzt, lebte am fast unbewohnten Ende der Straße ein seltsames Individuum: ein Mann mittleren Alters, der sich als pensionierter Lehrer ausgab, und bei allen als der »Mavaro«, der Hexenmeister, bekannt war. Keiner hatte je einen Fuß in sein Haus gesetzt, denn unter wüstem Geschimpfe verjagte er fahrende Händler, Bettler ebenso wie die Nachbarn.

      Nicht weit entfernt, in einem Seitensträßchen mit dem phantasievollen Namen Pietra dell’Oro, Stein von Gold — verblasste Erinnerung vielleicht an alchemistische Betriebsamkeit und unter Lava begrabene Schätze — wohnte Elia Gervasi, einer aus der Regia Guardia, der Königlichen Garde im Dienste der öffentlichen Sicherheit, die dem Innenministerium unterstellt war.

      Für einen Ordnungshüter vom Scheitel bis zur Sohle wie ihn war eine nicht zu entschlüsselnde Situation, anders gesagt, die Undurchschaubarkeit einer menschlichen Existenz eine echte Qual. Für ihn galt der kategorische Imperativ: Obskure Ereignisse sind im klaren Licht der Ermittlerräson zu bewerten.

      Das unentwegte Gerede seiner Ehefrau über den »Mavaro« hatte ihn von Anfang an in Unruhe versetzt: Ein Meister der schwarzen Künste, der keine Kunden empfing, war nicht glaubhaft. Also begann er, seine ganze freie Zeit opfernd, dessen Tun und Treiben auszukundschaften. Er ermittelte den Besitzer des Hauses, die Höhe der gezahlten Miete, Name und Vorname des Mieters — alles in allem lächerliche Ergebnisse. Das Geheimnis jenes Hauses, aus dessen Rauchfang bisweilen übelriechende Schwaden wie von tierischen Fetten und gekochten Innereien quollen, und des nach außen hin gleichförmig und ereignislos verlaufenden Alltags des besagten Mannes blieb ungelüftet. Jeden Morgen, bei Regen wie bei Sonnenschein, verließ dieser pünktlich um acht Uhr sein Haus, bahnte sich mithilfe eines Stocks seinen Weg zwischen Basaltplatten und Lavaschlacken, und hielt dabei meist ein kleines Bündel in der Hand. Nach ein paar hundert Metern erreichte er die Piazza und verweilte dort einige Stunden am Tischchen einer gutbesuchten Bar, wo das Kommen und Gehen der Gäste eine Überwachung mehr als erschwerte. Bisweilen bestieg er eine Trambahn und entschwand in Richtung Stadtmitte, um dann Punkt halb elf wieder auf der Piazza aufzutauchen — ohne besagtes Bündel in Händen. Bedächtigen Schritts ging er die Allee entlang zurück zu seinem Haus, wo er sich einschloss und keiner mehr etwas von ihm mitbekam.

      Dieses Bündel und die Rauchschwaden wurden für den Königlichen Sicherheitsbeamten zur fixen Idee. Ganze Abende verbrachte er zwischen dem Lavageröll, das an den Gemüsegarten hinterm Haus angrenzte, um den Mann auszuspähen. Dank eines unvorhergesehenen Ereignisses gelang es ihm, mehr in Erfahrung zu bringen. Die Nachricht, dass der »Mavaro« einen Schreiner — einen seiner Vertrauten — zu sich gerufen hatte, der die Fenster- und Türrahmen sowie die Schlösser verstärken sollte, verbreitete sich in der ganzen Nachbarschaft. Ein paar Tage danach suchte Gervasi diesen Handwerker auf und zwang ihn, das Haus und alles, was sich darin befand, mehrere Male aufs Genaueste zu beschreiben, vor allem die Gegenstände, angehäuft in dem größeren der beiden Räume, aus denen die Wohnung bestand: ein Durcheinander von Ampullen mit unterschiedlich gefärbten Flüssigkeiten, Papierrollen, Fotoapparaten und unbekannten, mit Tüchern bedeckten Gerätschaften. Besonders beeindruckt war der Schreiner vom Schlafzimmer, das sparsam und altmodisch eingerichtet war — zwei Truhen, ein Nachttisch, zwei Stühle, ein Bett. An den Wänden aber hingen zahlreiche seltsame Bilder. Eines war besonders merkwürdig: Zwei Gesichter, hohl wie Masken, schwammen auf einem tiefschwarzen Hintergrund, und beide trugen die Züge des professore, wenn auch jedes mit einem anderen Ausdruck: Das eine in Azurblau zeigte ihn mit spöttischer Miene, das andere bleich und mit unheilvollem Blick. »Er ist wirklich ein Hexenmeister«, schloss der Mann seinen Bericht, machte das Kreuzzeichen und fasste sich flüchtig an die Genitalien, um gegen die bösen Geister gefeit zu sein.

      Die von dem Schreiner beschriebenen Dinge verstärkten Elia Gervasis Verdacht, der eines Abends gegen Ende des Sommers zur Gewissheit wurde. Entgegen seiner Gewohnheiten hatte der Mann länger als sonst das Fenster seines Schlafzimmers offengelassen, als er mit der Lampe in das andere Zimmer ging, dessen Fenster Tag und Nacht fest verriegelt blieben. Mit einem Sprung setzte darauf der Königliche Gardist über das Mäuerchen des Gemüsegartens und schlich sich unter besagtes Fenster: In dem abgedunkelten Zimmer waren auf halber Höhe von der einen zur anderen Wand Schnüre gespannt, an denen mit Wäscheklammern befestigte Papiere hingen. Obwohl er die einzelnen Blätter nicht gut erkennen konnte, war er sich doch unmittelbar sicher, dass es sich um Fälschungen handelte: um Coupons oder wieder aufbereitetes Stempelpapier. Oder um Geldscheine.

      Gervasi beeilte sich, den Kommissar Taddeo Gulizia über seinen Verdacht in Kenntnis zu setzen. Der konnte es kaum fassen, endlich einen neuen Tatverdächtigen in die Finger zu bekommen. Schließlich wurde er tagtäglich von den Zeitungen wegen angeblicher Untätigkeit angegriffen und musste noch dazu die Schikanen des Polizeipräsidenten und des Präfekten ertragen. Dass in Catania, zwischen Cibali und Ognina, eine Werkstatt zur Herstellung gefälschter Hundert-Lire-Scheine ihren Sitz haben musste, das stand für alle — von Palermo bis New York — außer Frage. Dennoch waren Wochen verbissener Nachforschungen bislang vergeblich gewesen.

      Sorgfältig und mit äußerster Diskretion bereitete Gulizia den Zugriff vor. Um die Gewohnheiten des Mannes eingehend zu studieren und den Zeitpunkt des Eindringens festzulegen, schickte er Polizisten in unterschiedlichen Verkleidungen los, damit sie das Haus Tag und Nacht überwachten, und schließlich gab er Petralia — dem besten Ermittler in Sachen gefälschter Papiere — den Auftrag, koste es, was es wolle, dort einzusteigen.

      Eine Verkleidung als Frau, so sein Vorschlag, würde dabei sicherlich von Nutzen sein.

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      Als die aufwendige Verkleidung dann recht und schlecht saß, bat der Ermittler Petralia einen Kollegen um seine Meinung. »Hässlich und ordinär«, lautete das entmutigende Urteil. Sich im Spiegel betrachtend, wie er sich ein leichtes Wolltuch über die Schultern drapierte, musste er ihm Recht geben. Er hängte sich noch ein Kästchen um, aus dem Bänder, Nadeln, Scheren und Garnröllchen hervorschauten, und verließ, über die Angemessenheit seiner Ausstaffierung unschlüssiger denn je, das örtliche Kommissariat durch einen Nebeneingang.

      »Was ich mir alles antun muss, bloß um über die Runden zu kommen«, dachte der Polizist, während er sich langsam zu seinem Einsatzgebiet auf den Weg machte. Das war aber nur sein übliches Gemurre bei der Arbeit; in Wirklichkeit hielt er sich für privilegiert gegenüber seinen Kollegen, die ständig wegen der Angriffe der politischen Schlägertrupps, welche sich in den letzten Monaten immer dreister aufführten, gerufen wurden — und zwar weniger um einzugreifen, als um die Faschisten zu decken, indem sie Arbeiter und Gewerkschafter mit Überfällen in deren Häusern und Schießereien in Schach hielten.

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