Название: Atemlos in Hannover
Автор: Thorsten Sueße
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783827184146
isbn:
Jetzt war endlich Wochenende für sie.
An diesem Freitagabend entdeckte sie zwischen den Büschen an ihrem Gartenzaun einen Mann, offensichtlich Fahrradfahrer, der sich suchend umblickte.
Vor einem Jahr hätte sie das vielleicht noch irritiert, aber als Geocacherin waren ihr inzwischen derartige „Besucher“ vertraut. Sie ging auf den Mann zu und merkte sofort, dass ihm das unangenehm war. Das bestätigte ihre Vermutung.
Er war bestimmt ebenfalls Geocacher. In unmittelbarer Nähe vor ihrem Zaun war ein Cache versteckt, der schwierig zu finden war. Die GPS-Angaben waren beim Geocaching nicht auf den Meter genau, sondern beschränkten sich auf ein Areal von einigen Metern Durchmesser, in dem nach dem „Schatz“ gesucht werden musste. Nadine hatte schon öfters Geocacher vor ihrem Zaun angetroffen, die intensiv die Gegend absuchten und nicht fündig wurden, zumal, wenn es sich um noch unerfahrene „Schatzsucher“ handelte. Nicht in das Spiel eingeweihte Passanten wurden von den Geocachern als „Muggles“ bezeichnet, denen gegenüber man geheim halten musste, was man dort tat.
In diesem Fall passte alles zusammen. Der Mann an ihrem Zaun gehörte dazu!
„Suchen Sie möglicherweise einen kleinen Behälter?“, fragte sie freundlich und signalisierte damit, dass sie gleichfalls Geocacherin war. Untereinander war es üblich, sich zu erkennen zu geben und bei der Suche Tipps auszutauschen.
Er antwortete nicht, überlegte offenbar, wie er ihren Satz auffassen sollte.
War er doch kein Geocacher?
In diesem Moment nickte er und sagte leise: „Ja … natürlich. Hab ihn bisher nicht gefunden.“
Na also!
„Wir haben das gleiche Hobby“, outete sie sich. „Möchten Sie, dass ich Ihnen einen kleinen Tipp gebe?“
Er wirkte erleichtert, nickte erneut.
„Es ist rund und führt in die Unterwelt“, meinte sie scherzhaft. „Ich hoffe, das reicht … Ich bin übrigens Miraculine.“
Das war ihr Nickname beim Geocaching, eine Anspielung auf ihre Lieblingscomicfigur Miraculix.
Der gesuchte Cache befand sich in einem winzigen Nano-Behälter, der als Schraube getarnt im runden Gullydeckel neben dem Gehweg versteckt war.
„Danke“, murmelte ihr Gegenüber und wandte sich ab. Seinen Nickname verriet er ihr nicht. Er machte einen recht unerfahrenen Eindruck. Sicherlich ein Anfänger! Aber mehr würde sie ihm nicht verraten. Sie drehte sich um. Ihre Ehefrau Mareike kam auf sie zu.
„Ich hatte recht“, verkündete Nadine zufrieden und zeigte mit dem rechten Daumen über ihre Schulter hinter sich. „Er gehört dazu.“
„Du und dein Geocaching!“, lachte Mareike und steuerte auf die Terrasse zu.
„Na, wie wär’s?“, rief Nadine ihr hinterher. „Sonntagmittag eine Cacher-Tour mit dem Rad durch den Misburger Wald? Natürlich nach einem gemütlichen Frühstück.“
Mareike drehte sich zu ihr um: „Ohne mich! Radfahren ja, aber nicht immer wieder anhalten und zwischen irgendwelchen Zeckengräsern nach Plastikröhrchen suchen!“
„Na gut, dann fahr ich allein.“
*
Ihm war ein Stein vom Herzen gefallen. Als Nadine ihn ansprach, hatte er schnell begriffen, worum es ging. Sie stufte ihn als Geocacher ein.
Insofern hielt er sich während des Gespräches zwischen den beiden Frauen weiterhin am Zaum auf. Nadine musste davon ausgehen, dass er über ihren Hinweis erst nachdenken musste. So schnappte er noch die paar Sätze auf, die Nadine und ihre Lebenspartnerin miteinander gewechselt hatten.
Schlagartig konkretisierte sich der Plan in seinem Kopf.
Die Infos sind Gold wert. So könnte es klappen. Hasta la vista, Baby!
Kapitel 5
Sonntag, 13. Mai
Rechtzeitig vor zwölf Uhr hielt er sich wieder in der Nähe ihres Hauses auf. Dieses Mal merklich weiter entfernt, im Schatten eines Baumes, der am Straßenrand stand. Er hatte den Fahrradhelm gewechselt, trug heute ein graues Modell. Sein Fahrrad sowie einen Rucksack hatte er an den Baum gelehnt. Er achtete darauf, möglichst nicht von Passanten gesehen zu werden. Zum Glück war sonntags um diese Zeit nicht viel los auf der Straße.
In der linken Hand hielt er ein Smartphone, welchem er vermeintlich seine Aufmerksamkeit schenkte. Mit der rechten Hand wischte er gelegentlich über das Display, mittlerweile eine der unauffälligsten Verhaltensweisen von Menschen in Warteposition. Wobei das Smartphone nur ein Fake war. Es handelte sich bei dem Gerät um ein ausrangiertes Modell, welches gar keine SIM-Karte mehr enthielt. Er führte es lediglich als Requisite zur Tarnung offen mit sich herum.
Als ein Auto die Straße entlangfuhr, drehte er den Kopf weg, um nicht unnötig sein Gesicht zu präsentieren.
Er hatte sich ein kleines Zeitfenster gesetzt, in dem er im Umkreis ihres Hauses warten wollte. Wenn sie sich in diesem Zeitraum nicht auf den Weg machte, würde er wieder verschwinden und sein Vorhaben vertagen. Auf keinen Fall durfte er sich durch ein zu langes Verweilen an einem Ort verdächtig machen.
Die Chance war groß, dass Nadine Odem um diese Zeit zu ihrer Geocaching-Tour in den Misburger Wald aufbrechen würde.
Was sprach dagegen? Dass sie es sich kurzfristig anders überlegt hatte. Oder dass sie unter „Sonntagmittag“ dreizehn Uhr oder später verstand. Und sollte sich Nadines Ehefrau doch dazu durchringen, sie zu begleiten, ließ sich sein Plan ebenfalls nicht durchführen.
Das Schicksal meinte es gut mit ihm. Bereits kurze Zeit nach seiner Ankunft kam Nadine aus dem Haus. In der Eingangstür stand ihre Ehepartnerin und rief ihr etwas zu.
Nadine war mit einer dunkelroten Windjacke und einer langen Blue Jeans bekleidet. Einen Rucksack hatte sie ebenfalls dabei. Aus der Garage, welche unmittelbar ans Haus grenzte, holte sie ihr Fahrrad. Zuvor hatte sie ihren schwarz-weißen Schutzhelm aufgesetzt.
Die Partnerin winkte ihr kurz und schloss die Eingangstür.
Ein Abschied für immer!
Nadine trat in die Pedale und fuhr los. Er ließ ihr einen kleinen Vorsprung, dann fuhr er in ausreichendem Sicherheitsabstand hinter ihr her.
Ihren Fahrstil hatte er richtig eingeschätzt. Sie war eine geübte Radfahrerin, fuhr durchschnittlich schnell, ohne Ambitionen zu rasen. Es war kein Problem für ihn, ihr zu folgen. Er konnte sich ruhig etwas zurückfallen lassen, da er wusste, wohin die Fahrt gehen würde. Rechtzeitig vorm Wald würde er den Abstand wieder verkürzen. Er würde sie nicht entkommen lassen.
Im Wald bist du dran!
*
Nadine Odem freute sich auf die nächsten Stunden. Ungefähr zwanzig Minuten veranschlagte sie mit dem Fahrrad von ihrem Haus zum Misburger Wald, der sich in einem nordöstlichen Stadtteil von Hannover befand.
Zu Hause hatte sie eine Route ausgearbeitet, die sie in einem Rundweg durch den Wald von einem Geocache zum nächsten führen СКАЧАТЬ