Название: Dürnsteiner Himmelfahrt
Автор: Bernhard Görg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783990014493
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Wolfgang Marbolt war jetzt sicher, wer der Urheber der Phrase vom Stern am Polizeihimmel war. »Herr Landeshauptmann, ich bin dir sehr dankbar, dass du mich in dieser heiklen Angelegenheit ins Vertrauen ziehst. Wenn es dir recht ist, werde ich mich selbst um die Sache kümmern. Weil ich dafür einen persönlichen, wenn auch privaten Grund habe. Ich bin so wie du bei Doktor Haberl regelmäßiger Kunde gewesen.«
Wolfgang Marbolt merkte gleich, dass der Landeshauptmann diesmal aufhorchte. Endlich.
»Was, du auch? Warum sagst du mir das nicht gleich? Da sind wir zwei ja sozusagen Seelenverwandte. Mit dem gleichen guten Geschmack. Habe ich ja schon immer gewusst. Es wäre mir unter diesen Umständen sogar mehr als recht, wenn du diesem Fall – oder besser gesagt Nicht-Fall – deine überragende Erfahrung angedeihen lassen könntest.«
»Soll ich dir persönlich Bericht erstatten?«
»Unbedingt.«
Mittwoch, 22. Juni 10 Uhr 03
Missmutig las Felix Frisch den Bericht des Pathologen. Seit dem Fund der Leiche Sonntagnachmittag waren dreieinhalb Tage vergangen. Was hatte der Herr Dozent in diesen dreieinhalb Tagen gemacht, außer sich wie ein großer Star zu benehmen und sich auf seinen weißen Kittel weiß Gott was einzubilden. Stinkfaul und maßlos überbezahlt war er, der feine Herr von der Gerichtsmedizin. Felix fand in dem Bericht nur das bestätigt, was ihm selbst schon zu dem Zeitpunkt klar gewesen war, als er den Antiquitätenhändler im Weingarten liegen sah. An das Honorar für den Herrn Dozenten wollte er gar nicht denken. Damit der zu einem Ergebnis kam, zu dem er als kleiner Gruppeninspektor mit einem einzigen Blick gekommen war. Ohne dafür auch nur einen müden zusätzlichen Cent zu verdienen. Warum hatten ihn seine Eltern nicht Medizin studieren lassen?
Jedenfalls bestätigte der Pathologe, dass der Kunsthändler an einem durch den Sturz verursachten Genickbruch verstorben war. Es gäbe weder Hinweise auf eine vorherige Gewaltanwendung noch darauf, dass der Tod schon vor dem Sturz eingetreten war.
Obwohl er als Gruppeninspektor so gut wie immer im Stress war, wollte er die Witwe nicht telefonisch von dem Befund informieren, sondern die Nachricht persönlich überbringen. Gehörte sich einfach. Außerdem war ein Vormittags-Kaffee auf der von der Sonne sicher schon wohlig gewärmten Terrasse nicht zu verachten. Er hatte kurz überlegt, auf der Fahrt auf den Wachtberg beim ›Raimitz‹ eine kleine, süße Aufmerksamkeit zu besorgen. Wäre ja nur ein kleiner Umweg gewesen. Schien ihm aber dann doch zu aufdringlich. Abgesehen von den Kosten, die er ja nicht verrechnen können würde.
Jedenfalls hatte er Frau Haberl angerufen, um sie zu fragen, ob er persönlich vorbeikommen könne, um sie über den Befund des Pathologen in Kenntnis zu setzen. Ganz bewusst hatte er nichts über den Inhalt des Befunds verraten. Weil der das Interesse der Witwe an einem persönlichen Besuch hätte dramatisch reduzieren können.
Am Telefon wirkte sie auf ihn irgendwie abwesend. Nicht abweisend, aber abwesend.
Immerhin war er nach dem kurzen Telefonat sicher, dass sie ihn nicht abwimmeln wollte. Er gab in der Dienststelle Bescheid, nahm sich den Schlüssel für einen Streifenwagen und machte sich auf den Weg.
Er war dann doch angenehm überrascht, dass sich Frau Haberl um einen freundlichen Empfang bemühte. Aber gleichzeitig enttäuscht, dass ihre Freundlichkeit offensichtlich nicht ausreichte, ihn zu einem Kaffee auf die Terrasse zu bitten. Auch seine ohnehin ganz vorsichtig deponierte Bemerkung, dass man von der Terrasse einen unbeschreiblich schönen Blick über Krems haben müsse, bewirkte nichts. Sie bot ihm den Fauteuil im Wohnzimmer an, in dem er schon vor drei Tagen gesessen war, an dessen Beistelltisch schon ein Glas gefüllt mit Mineralwasser stand. Knapp vor seinem Kommen eingeschenkt, weil man die Perlen noch aufsteigen sah. Immerhin.
Er kam erst jetzt dazu, sich die Witwe etwas genauer anzusehen. Hätte er sie nicht schon vor vier Wochen gesehen, hätte er sie auf eine Endsechzigerin geschätzt. Mit einem Mal viele und tiefe Falten im Gesicht. Und sehr traurige Augen. Er hätte nicht sagen können, wodurch sich traurige von fröhlichen Augen unterschieden, aber er war hundertprozentig sicher, in sehr traurige Augen zu blicken. »Es ist noch immer schlimm, gell?« Seine Frage überraschte ihn selbst. Aber sie war ihm ein echtes menschliches Bedürfnis, das spürte er sofort.
Frau Haberl kämpfte mit ihren Tränen. »Wissen Sie, wir sind ein sehr glückliches Paar gewesen. Auch wenn wir leider keine Kinder gehabt haben. Haben Sie Kinder?«
»Ja, zwei.«
»Dann danken Sie dem Herrgott jeden Tag dafür. Mit Kindern wäre es nicht so schlimm. Weil sie mir jetzt sicher eine Stütze wären. Und auch, weil wir das weitergeben könnten, was mein Mann aufgebaut hat. Sie haben ja bemerkt, dass mein Mann nicht nur eine große Liebe zu seinem Beruf gehabt hat, sondern dass er damit auch geschäftlich sehr erfolgreich gewesen ist. Wer soll das jetzt alles übernehmen?« Sie blickte ihn an.
Er war nicht sicher, ob sie von ihm eine Antwort erwartete.
Zum Glück erlöste sie ihn umgehend aus dieser Unsicherheit, indem sie fortfuhr. »Aber jetzt bin ich doch neugierig, was die Obduktion ergeben hat?«
Der Gruppeninspektor trank noch rasch einen Schluck, wischte dann den Boden des Glases sorgfältig mit der Handfläche seiner Rechten ab und stellte es vorsichtig auf den Beistelltisch zurück. Nur keine Wasserflecken. Vielleicht war das Tischchen ja auch ein kleines Vermögen wert. »Die Obduktion hat nur ergeben, was ich Ihnen schon vor drei Tagen gesagt habe. Ihr Mann muss so unglücklich über die Stützmauer gefallen sein, dass er sich dabei das Genick gebrochen hat. Wahrscheinlich kopfüber gestürzt. Ist zwar ungewöhnlich, kommt aber nach der Feststellung des Pathologen gar nicht so selten vor.«
Die Skepsis im Gesicht der Witwe war nicht zu übersehen. »Und wenn er von jemandem gestoßen worden ist?«
»Frau Haberl, das ist natürlich theoretisch möglich. Aber dafür gibt es keinen Hinweis. Natürlich habe ich auch oben auf der Mauer nachgeschaut. Da stehen knorrige Wurzeln von den Weinstöcken aus der Erde, überall Unebenheiten, aber keine Kampfspuren. Ihr Mann hat doch keine Feinde gehabt, oder? Seine Geldbörse war auch gut gefüllt. Beraubt hat ihn also niemand. Glauben Sie mir. Ich habe in Mordermittlungen eine gewisse Erfahrung. Für Mord braucht es ein Motiv. Warum sollte jemand Ihrem Mann an einem schönen Sonntagnachmittag in einem Weingarten einen Stoß versetzen? Nur weil Ihnen jemand vor ein paar Wochen eine kleine Statue gestohlen hat, kann man doch nicht gleich annehmen, dass aus dem Einbrecher ein Mörder geworden ist.«
»Ach wissen Sie, Herr Gruppeninspektor. Um diese Plastik geht es gar nicht. Auch wenn er sie sehr geliebt hat. Die war, wenn es hoch kommt, vielleicht zehntausend Euro wert. Wobei ich zugebe, dass ich nichts von Antiquitäten verstehe. Mich beschäftigt etwas anderes. Mein Mann ist nach dem Einbruch irgendwie anders geworden. Nervöser und vorsichtiger. Hat gar nicht zu ihm gepasst. Er ist immer ein so lebensfroher Mensch gewesen.«
In diesem Moment hatte Felix Frisch einen Geistesblitz. So fühlte es sich zumindest an. Er wusste nur nicht so recht, wie er ihn formulieren sollte, ohne die Witwe zu verletzen. »Wenn ich Ihnen so zuhöre, Frau Haberl, kommt mir eine Idee. Ich könnte mir vorstellen, dass es Sie nicht begeistern wird, was ich Ihnen jetzt sage. Aber als einer der erfahrensten Polizisten der Kremser Polizei kann ich aus dem, was Sie mir СКАЧАТЬ