Название: Dürnsteiner Himmelfahrt
Автор: Bernhard Görg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783990014493
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Da stehen die Kunstgegenstände haufenweise herum.«
»Und hat Doktor Haberl eine Angabe über den Wert der gestohlenen Plastik gemacht?«
Felix Frisch war dankbar für die kurze Rast. »Selbstverständlich habe ich ihn danach gefragt. Höchstens fünfzehntausend, hat er gemeint.«
»Wissen Sie was?« Der Landespolizeidirektor hob das Kinn. »Ich glaube, die Plastik war in Wahrheit viel teurer und der Einbrecher hat um ihren wahren Wert gewusst. Sie würden ja nicht glauben, Herr Kollege, was diese alten Sachen heute kosten. Je wurmstichiger, umso teurer. Da gibt es jetzt in einer Ausstellung in Florenz eine alte Zeichnung von Raffael – schon einmal von dem Namen gehört?«
Der Gruppeninspektor bemühte sich um einen Gesichtsausdruck, der ihn von der Peinlichkeit einer ehrlichen Antwort bewahren sollte. Vergebens.
»Na, macht nichts. Woher soll ein kleiner Streifenpolizist auch einen Raffael kennen. Jedenfalls hat mir der Chef der Ausstellung in Florenz – tolle Stadt, kann ich Ihnen sagen – erzählt, dass er diese Zeichnung auf mindestens zehn Millionen schätzt. Und das, obwohl sie einen großen Brandfleck hat. Brandflecken sind bei Papier das, was Wurmstiche bei Holz sind, müssen Sie wissen.«
Kleiner Streifenpolizist. Das wurde ja immer schöner. »Das ist ja hochinteressant, Herr Landespolizeidirektor.« Er sah sofort, dass diese Bemerkung dem hohen Herrn gut gefiel. Aus dem forschenden Blick wurde ein freundlicher. Allerdings ein bisschen sehr gönnerhaft, wie es dem Gruppeninspektor schien.
»Ja. Bei mir kann man immer etwas lernen.«
»Davon bin ich überzeugt, Herr Landespolizeidirektor. Zu Ihrer Theorie vom hohen Wert der Plastik …«
Der Polizeidirektor unterbrach. Mit erhobenem Zeigefinger. »Nicht Theorie, mein Lieber. Sondern knallharte Tatsache.«
Felix Frisch begann, sich unwohl zu fühlen. Er ertappte sich bei der Hoffnung, der Polizeidirektor würde sich wieder bergwärts drehen und den Aufstieg fortsetzen.
»Jedenfalls würde dazu passen, was Frau Haberl gesagt hat. Dass ihr Mann seit dem Einbruch ein anderer Mensch gewesen ist. Ganz deprimiert.«
Wolfgang Marbolt drehte sich abrupt um und sprintete los. »Was sage ich die ganze Zeit. Da habe ich wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen. Ohne die Dame je gesehen zu haben. Die Sache ist so klar wie Quellwasser. Wenn Menschen deprimiert sind, machen sie leicht einen falschen Schritt. Wie weit ist es noch?«
»Wir sind gleich da. In maximal zwei Minuten.« Dem Gruppeninspektor war in der Zwischenzeit klar geworden, dass er sein Atout besonders vorsichtig ausspielen musste. Die letzten fünf Minuten hatten ihm genügt, um sich darüber klar zu werden, dass sein oberster Chef nicht jemand war, der sich gern von anderen die Show stehlen lassen würde. Er war froh, dass Dr. Marbolt schwieg, bis er die Stelle erreichte, die mit einem Band aus roter Folie umfriedet war.
Der Landespolizeidirektor begutachtete den Platz.
Jetzt schien Felix Frisch die Gelegenheit günstig zu sein. Aber er würde es sehr geschickt einfädeln müssen. Der Chef musste quasi selbst darauf kommen. »Der Pathologe hat angemerkt, dass ein Genickbruch bei solchen Stürzen doch ungewöhnlich ist«, begann er vorsichtig. »Weil der Herr Haberl mit dem Kopf voran … verstehen Sie?« Er machte mit der flachen Hand eine kippende Bewegung, als würde jemand einen Kopfsprung ins Wasser machen.
Der Landespolizeidirektor runzelte die Stirn und besah sich die drei Meter hohe Mauer, von der Herr Haberl heruntergestürzt war.
»Herr Haberl war laut seiner Frau nach dem Einbruch sehr deprimiert«, setzte Felix Frisch fort.
»Mit dem Kopf voran, sagen Sie?« Der Landespolizeidirektor ahmte mit seiner Hand die Kopfsprunggeste nach.
»Der Ausblick von da oben ist noch grandioser. Wirklich ein schöner Platz zum Sterben.« Er wusste, dass er die Selbstmordthese nicht aussprechen durfte. Aber nun hatte er keine Idee mehr, wie er dem eitlen Herrn noch weiter auf die Sprünge helfen konnte. Der brauchte doch jetzt wirklich nur mehr eins und eins zusammenzuzählen.
Da ging ein sichtbarer Ruck durch den Landespolizeidirektor. Offenbar ein Geistesblitz.
Felix Frisch drückte sich die Daumen, dass es derselbe Geistesblitz war, den er vorhin bei Frau Haberl gehabt hatte.
»Herr Kollege«, hob der Polizeidirektor an. »Ich bin der festen Überzeugung: Das Rätsel rund um diesen Todesfall ist gelöst. Herr Haberl hat sich offensichtlich das Leben genommen.«
Felix Frisch versuchte, erstaunt zu schauen.
»Eigentlich braucht man nur eins und eins zusammenzuzählen«, fuhr der Landespolizeidirektor fort. »Haberl ist zutiefst deprimiert wegen des Diebstahls der wertvollen Statue, steigt hier herauf an diesen wunderschönen Ort abseits aller Spazierwege und springt mit dem Kopf voran in den sicheren Tod.«
Felix Frisch schaute noch leicht zweifelnd, während er innerlich jubilierte. »Sie könnten tatsächlich recht haben«, formulierte er vorsichtig und dachte an Frau Haberl, die ihm wegen der Selbstmordthese ein Nachspiel angedroht hatte. Dieses Nachspiel entschied er gerade für sich. »Ja, wenn ich es recht überlege, ist das die einzig logische Schlussfolgerung.«
Der Landespolizeidirektor strahlte. »Es tut gut, dass meine Idee von einem Mann aus dem Fußvolk geteilt wird. Da fühlt man sich gleich besser. Aber natürlich auch nur, wenn man so wie ich Wert auf die Meinung der unteren Schichten legt.«
Felix Frisch bemühte sich, sich seinen Ärger nicht ansehen zu lassen. Dass der feine Herr einen Gruppeninspektor zum sogenannten Fußvolk zählte, war schon heftig. Aber ›untere Schichten‹ war eine echte Frechheit. Der hielt sich offensichtlich für etwas Besseres. Vielleicht hätte er ihm die Idee vom Selbstmord doch nicht eingeben sollen.
»Wissen Sie, ich komme vor lauter Gesprächen mit Landeshauptleuten und Ministern überhaupt nicht dazu, mit einfachen Inspektoren zu reden. Dabei wäre das so wichtig. Man soll gerade die sogenannten kleinen Leute nicht unterschätzen, sage ich immer zu meiner Frau. Gehört zu meinen persönlichen zehn Geboten.« Der Polizeidirektor streckte die Brust heraus, stemmte die Arme in die Hüften wie ein Feldherr und blickte auf das Donautal hinunter. »Wirklich schöne Gegend hier. Dürfte eine ideale Lage für Riesling sein.« Noch einen Moment genoss er in dieser Pose die Aussicht. Dann warf er einen Blick auf seine Uhr. »Ich glaube, ich habe genug gesehen. Sie sind ein guter Mann. Ich werde Sie in meinem Bericht an den Landeshauptmann lobend erwähnen. Wie war doch gleich Ihr Name?«
Mittwoch, 22. Juni 12 Uhr 48
Selbstverständlich war auf der Terrasse des Schlosshotels ihr Lieblingsplatz reserviert. Ohne dass Franziska Schremser bei ihrem Anruf extra darauf hätte hinweisen müssen. Im Schatten des Blutahorn-Baumes an der Brüstung mit dem besten Blick donauaufwärts. Warum sie lieber die Donau hinauf als hinunter schaute, konnte sie schwer fassen. Vielleicht waren es die Schiffe. Die einen kamen ihr stromabwärts schnell entgegen, während die anderen stromaufwärts nur mit Mühe entschwanden. Der Strom verstärkte gleichsam ihre magnetische Wirkung, die sie ihr ganzes Leben lang zu nutzen gewusst hatte. Auch jetzt registrierte sie die verstohlenen Blicke so mancher Herren. Ihr wurde bewusst, wie gut das kräftige, samtene Grün ihres neuen Kleides mit den roten Blättern des Baumes über ihr harmonierte; und mit dem rötlichen Klinker-Fußboden. Inszenierung war ihr eben zur zweiten Natur СКАЧАТЬ