Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz. Christoph Heizler
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СКАЧАТЬ Daseinsakt verstanden werden – als Existenz. Edith Stein versteht unter Existenz „Ins-Dasein-gesetzt sein330. „Sie akzentuiert diesen Gebrauch des Begriffs in Absetzung zu Heidegger, “indem sie der Geworfenheit ins Dasein ihre Einsicht der darin gefundenen Geborgenheit zur Seite stellt“, wie René Raschke ausführt.331

      Die Bezugnahme auf die Pole „Kirche“ und „Existenz“ will somit eine Sehhilfe sein, um die Optik für das Beten der Edith Stein zu schärfen, und zwar indem das erkundende Interesse der Untersuchung den Ort und die Art der Gegebenheit ihres betenden Menschseins stets im Blick zu behalten sucht. Durch die zweifache Rückbindung der Gestaltüberlegungen an die Referenzpunkte „Kirche“ und „Existenz“ versucht die vorliegende Studie somit, eine ungeschichtliche und darin ortlose und so ins Zeitlose entzogene Gestaltformulierung des Betens der Edith Stein schon im Ansatz zu vermeiden. Stattdessen soll mit den beiden Dimensionen „Kirche“ und „Existenz“ das, was an Gestaltformulierungen zum Beten der Edith Stein im Verlauf meiner Studie benannt wird, bleibend zurückgebunden werden an das geschichtlich Konkrete, wie es sich in der Biographie dieser Frau als Prozess und als Werden manifestiert hatte. Die gesuchte Rückbindung dient somit dazu, die Gestaltformulierungen gleichsam zu „erden“ und eine idealisierende Diktion zu vermeiden. Der Verfasser dieser Studie ist bei diesem Anliegen von Johann Baptist Metz und seiner Theologie angeregt, die besonders in frühen Phasen danach suchte, eine „nachidealistische Theologie“ zu verwirklichen.332

      Das Adjektiv „kirchlich“ verweist zunächst unmittelbar sowohl auf den geschichtlich-sozialen Entstehungsort als auch den geistlichen Lebensraum, in den hinein sich das betende Geschehen im Leben der Edith Stein entfaltet hat. Denn zugleich und verbunden mit der sichtbaren Dimension von Kirche ist auch die dem äußeren Blick entzogene, christologisch-pneumatologisch-eschatologische Dimension von Kirche gemeint. Diese ist „im Heiligen Geist geeint“, „dem Sohn Jesus Christus zugestaltet“ und darin im Modus der Pilgerschaft zum „Reich Gottes des Vaters berufen“, wie Medard Kehl mit Bezug auf die Kirchenkonstitution des II. Vaticanums formuliert.333 In diesen umfassenden, eschatologisch geöffneten Raum hinein wirkt das Beten der Edith Stein als geschichtliches Ereignis über ihren Tod hinaus weiter fort. Daher ist mit dem Referenzpunkt „Kirche“ auch der Raum der Wirkungs- und Entfaltungsgeschichte dessen angesprochen, was sich im Leben der Breslauer Philosophin bis hin zu ihrem Tod als Gebet zugetragen hat. In einem bildhaften Vergleich gesprochen markiert das Wort „Kirche“ somit gleichsam den „Klangraum“, aus dem heraus das betende Wort der Edith Stein bis zur heutigen Zeit verlautet. Dabei klingt und „ruft“ das Gebetswort und auf seine Weise das Schweigen der Edith Stein nicht nur aus diesem Raum heraus. Es ertönt auch in einem zeitversetzten Sinn in ihn hinein und in ihn zurück, wo es sich als geschichtliches Zeugnis den damaligen Zeitgenossen vernehmbar machte und darüber hinaus weiterhin bis heute vernehmbar macht.

      „Existenz“334 als das zweite bedeutungsgebende Wort der Formulierung „kirchliche Existenz“ verweist auf die konkrete, raum-zeitlich situierte, individuelle Weise, in der die Entfaltung des Betens der Edith Stein sich ereignete und zur Erscheinung kam. Wie also das Wort „Kirche“ den Blick auf den Entstehungs- und Entfaltungsraum lenken will, so will der Begriff „Existenz“ auf die besondere Art hinweisen, wie etwas in diesen Raum als originäre menschliche Erscheinung eingetreten ist und darin weiter wirksam bleibt. Das obige Bild von der „Kirche“ als „Klangraum“ für das Beten der Edith Stein aufnehmend, könnte man entsprechend sagen, dass das Wort „Existenz“ gleichsam die ursprüngliche, individuelle „Klangfarbe“, seine „Tonalität“ und akustische „Fortdauer“ markiert, in der Beten bei Edith Stein im Raum der Kirche erschien und „zu Gehör“ gekommen ist.

      Die Wortverbindung „kirchliche Existenz“ mag auch Sensibilität wecken für eine von vorne herein möglichst weiträumig angelegte Sicht des Gebets bei Edith Stein. Diese Sicht entgeht einer Einengung der Perspektive und Verkürzung der Sehweise auf das rein Individuelle, Private und Innerliche an ihrem Beten. Vielmehr öffnet eine von den Perspektiven „Kirche“ und „Existenz“ orientierte Sicht den Blick für den Aspekt des Gemeinschaftlichen und des sich nach außen hin im Raum der Kirche datierbar Zeigende ihres Betens. Wenn Edith Stein im philosophischen Denken den Einzelnen nie in Absehung von seiner sozialen Verwobenheit335 und gemeinschaftlich-staatlichen Verfasstheit336 begreift, sondern vielmehr direkt darauf bezogen und davon getragen, dann scheint es angemessen, entsprechend auch mit Blick auf ihr Beten vorzugehen und es mithin als soziales Geschehen im Raum der eschatologisch weit gefassten Kirche zu begreifen und von vorne herein auch so zu sichten. Denn es eignet dem Beten der Edith Stein ein durchgängig kirchlicher Zug: „Ihre Beziehung zur Kirche ist sehr lebendig, wobei die Kirche als Leib Christi ein bevorzugtes Bild war: Da hatte jedes Glied seine Aufgabe. Erstaunlich war, wie sehr sie die Kirche nicht als starre, sondern als geschichtsbezogene Wirklichkeit sah. […] Das Gebet – nicht nur das liturgische ist ein Gebet der Kirche, sondern auch das private – hat seine unersetzbare Bedeutung.“337

      Edith Stein lässt eine (bisweilen in ihren Schriften implizite) Ekklesiologie erkennen, bei der zwei Merkmale auffallen: universale Weite und christologische Zentrierung. Beide Gravitationsfelder des Denkens und Sprechens von der Kirche hängen bei ihr zusammen. Das hat seinen Grund darin, dass ausgehend vom Gedanken einer universalen Bedeutung des Christusereignisses für alle Menschen,338 und der Überzeugung, als Glied am Leib Christi an der proexistenten Seinsweise des erhöhten Herrn für die Welt teilzuhaben,339 sich für Edith Stein eine weiträumig angelegte Ekklesiologie nahe legt, bei der Kirche als Moment an der Wirksamkeit Gottes in den Blick rückt. Daher kann sie 23. 3. 1938 an Adelgundis Jaegerschmid mit Blick auf Edmund Husserl schreiben: „Um meinen lieben Meister habe ich keine Sorge. Es hat mir immer sehr fern gelegen zu denken, daß Gott sich an die sichtbaren Grenzen der Kirche binde. Gott ist die Wahrheit. Wer die Wahrheit sucht, sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht.“340

      Eine genauere inhaltliche Klärung dessen, was mit Existenz gemeint ist, steht am Ende der Begriffsklärungen, die zur Sichtung der Konturen des Betens im Leben der Edith Stein hinführen. Nachstehend wird in gebotener Kürze dargestellt, was mit Existenz bedeutet wird, und welche Aufnahme der Begriff im Rahmen der Existenzphilosophie gefunden hat. Was dabei zutage tritt, kann im Fortgang der vorliegenden Untersuchung eine Hilfe sein, das Geschehen des Gebets als Prozess zu begreifen, in dem der Mensch fundamental in seiner zeitlichen Verfasstheit, seiner Transzendenzfähigkeit und seiner Anlage zu Entscheidungen und zur Übernahme seines Daseins angesprochen ist. Der geschichtlich konturierte, je einmalige „Augenblick“, der dem Menschen widerfährt, gewinnt für ein zeitsensibles Verständnis von Gebet an Bedeutung.

      Lexikalische Definitionen von „Existenz“341 illustrieren eine Begriffsgeschichte342, bei der etymologisch ein „Hervorgehen“ und „Herausgehen“ von etwas in den Blick kommt: „Die volle Schreibweise ex-sistere gibt zu erkennen, daß mit diesem Wort anfänglich ein Ortssinn verbunden war: aus der Erde, aus dem Fluß herausbrechen, aus dem Mutterleib hervorgehen, aus dem Hinterhalt hervorbrechen u.ä. […] Schließlich wird die lokale Herkunft ganz fallen gelassen, und existere rückt in die Bedeutung von vere esse ein.“343 Der Inhalt des Begriffs konzentriert und konkretisiert sich immer mehr auf das spezifisch menschliche Dasein in seiner Entfaltung: „Das Wort E. wird auf vielfache Weise verwendet: in seiner Grundbedeutung besagt es, daß etwas ist im Gegensatz dazu, was es ist. In einem weiteren Sinn ist E. gleichbedeutend mit ‚es gibt‘, in einem engen mit ‚als selbständiges Etwas da sein‘. Eine spezif. Bedeutung gewinnt E. in der Existenzphilosophie, indem es auf die unableitbare individuelle Daseinsweise des Menschen beschränkt und dem dinglich-gegenständl. Vorhandensein entgegen gestellt wird.“344 Geschichtlich-raumzeitlich erfahrbares Menschsein wird betont zum Ausgangspunkt der Frage nach dem Sinn des Seins. Mit Existenz und existentia ist СКАЧАТЬ