Lebendige Seelsorge 5/2019. Verlag Echter
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Lebendige Seelsorge 5/2019 - Verlag Echter страница 4

Название: Lebendige Seelsorge 5/2019

Автор: Verlag Echter

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783429064259

isbn:

СКАЧАТЬ eine vergangene Sozialform.

      THESE 2: EIN SOZIOLOGISCHER BLICK AUF DIE DREIFACHE STRUKTUR LOKALER KIRCHENGEMEINDEN

      Wer eine überzeugende Antwort auf die Frage nach der Zukunft der Gemeinde als Basisstruktur des Christlichen finden will, muss sich ihrer komplexen Struktur bewusst sein (vgl. Geller). Historisch über Jahrhunderte gewachsen, verschränken sich in der sozialen Realität der Kirchengemeinden heute drei Systeme. Im Westen Europas mit einem gewissen Vorsprung vor dem staatlichen Verwaltungsaufbau stellten Kirchengemeinden seit den gregorianischen Reformen des 11. Jahrhunderts die unterste Ebene im Verwaltungsaufbau der Kirche dar. Für die kirchliche Verwaltung der Heilsgüter kam der lokalen Struktur mit der Inklusion jedes zur Christenheit gehörenden Ortes eine zentrale Bedeutung zu. Sie sollte den Zugang und die Sicherstellung des Heils für jede und jeden garantieren. Bis heute bildet die lokale Kirchengemeinde die unterste Verwaltungsebene eines an der ordnungsgemäßen Spendung der Sakramente orientierten Systems.

      Karl Gabriel

      Dr. Dr. theol. habil., 1998-2009 Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

      Um die Kirchengemeinde als Ort der Heilsverwaltung haben sich zwei weitere Systeme angesiedelt. Kirchengemeinden sind heute Zentren vielfältiger Dienstleistungen. In diesem Systemzusammenhang wird auch die Spendung der Sakramente zu einem zentralen Teil der von der Kirchengemeinde und ihrem Personal bereitgestellten Dienste. Sie werden eingebettet in eine Vielzahl von religiösen, sozialen und kulturellen Dienstleistungen angeboten und vom Publikum mehr oder weniger stark in Anspruch genommen.

      Kirchengemeinden sind aber nicht nur Verwaltungs- und Dienstleistungseinheiten, sondern verbinden auch Menschen zu einer sozialen Gemeinschaft miteinander. In dieser Dimension werden sie durch das Bewusstsein einer spezifischen Zusammengehörigkeit und der Zugehörigkeit zu einer Gruppe bzw. Gemeinschaft konstituiert. Es handelt sich um eine symbolische Gemeinschaft, die fiktive Anteile besitzt und sich in unterschiedlichen realen Kommunikations- und Interaktionsprozessen realisiert. Nicht erst heute gestaltet sich das Verhältnis der drei Strukturkomponenten der Kirchengemeinde untereinander höchst spannungsreich.

      THESE 3: GEWICHTSVERSCHIEBUNGEN

      Ein komplexes System, das eine lange Geschichte besitzt, wird von heute auf morgen nicht verschwinden. Fraglich erscheint, ob die verschränkte Dreifachstruktur der lokalen Kirchengemeinde eine Zukunft hat. Die Bruchstellen des prekären Gesamtsystems Kirchengemeinde werden heute sichtbar. Die drei Systeme sind offenbar auf Gleise gesetzt, die zunehmend auseinander streben.

      Angesichts des schon länger anhaltenden und auch für die absehbare Zukunft zu erwartenden Mangels an Priestern ist die Tendenz unverkennbar, die Räume der untersten Verwaltungsebene der Kirche zu vergrößern. Die Heilsverwaltung im klerikalen System der katholischen Kirche ist an die Praxis von Priestern gebunden, die dem Gottesdienst vorstehen, die Wandlungsworte sprechen, Gelegenheit zur Ohrenbeichte geben, taufen, beerdigen und bei der Eheschließung assistieren. Bei sinkenden Zahlen von Gläubigen lassen sich diese Aufgaben von einem Priester für mehrere bisherige Gemeinden gleichzeitig erfüllen. Neben dem Einsatz ausländischer Priester und der vorsichtigen Öffnung priesterlicher Aufgaben für theologisch ausgebildete Laien war die Zusammenlegung von Gemeinden in den letzten beiden Jahrzehnten die Hauptstrategie der Kirchenleitenden im Umgang mit dem Priestermangel (vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz).

      Verdrängt wurde von den Verantwortlichen, dass sich die Bedingungen und Voraussetzungen des heilsverwaltenden Handelns der Priester radikal verändert haben. Nachdem der Glaube seine Selbstverständlichkeit verloren hat, macht die Heilsverwaltung der Priester erst Sinn, wenn vorher Entscheidendes in punkto Glauben geschehen ist. Deshalb überrascht es nicht, dass die Konzentration auf die Sicherstellung der Heilsverwaltung durch vergrößerte pastorale Räume zum Niedergang des kirchlichen Lebens in den letzten Jahren beigetragen hat.

      Was die räumlichen Strukturen angeht, drängte neben der Heilsverwaltung auch das Dienstleistungssystem Gemeinde auf eine Vergrößerung bzw. Hinausschiebung seiner Grenzen. Die Qualitätsanforderungen an Dienstleistungen aller Art sind enorm gestiegen. Das heute erforderliche Mindestmaß an Differenzierung nach Zielgruppen, Spezialisierung und Professionalisierung des Personals lässt sich im Rahmen einer einzelnen Kirchengemeinde nicht sicherstellen. Aus der Dienstleistungsperspektive liegt es nahe, auf feste Grenzen einer Gemeinde ganz zu verzichten und je nach Art der Aufgabe die räumliche Struktur zu bestimmen (vgl. Ebertz 2011). Der Umstand, dass die Gleise der Systeme von Heilsverwaltung und Dienstleistung eine gewisse Parallelität aufweisen, hat in den letzten Jahren die Veränderungsdynamik in Richtung Großgemeinden bewegt.

      Unter die Räder gekommen ist vielerorts die Gemeinde als symbolisch konstituierte Gemeinschaft. Gegen gesellschaftliche Tendenzen der Individualisierung mühsam erkämpfte Gemeinschaftsbildungen haben ihre Zentralität und ihre Legitimation verloren. Wo Kirchengebäude zum Abriss freigegeben wurden, hat sich vielerorts erst gezeigt, welche Bedeutung der Beheimatung und Zusammengehörigkeit sie repräsentierten. Symbolische Gemeinschaftsbildungen von einiger Stabilität kommen nicht ohne Erzählungen aus, die Erklärungen für die Besonderheit und Existenznotwendigkeit einer Gemeinschaft liefern. Sie sind auf Akteure angewiesen, die ein besonderes Interesse an der Aufrechterhaltung der Gemeinschaft entwickeln.

      Die Strukturveränderungen der letzten Jahre haben die Kirchengemeinden als Gemeinschaften in einen Zustand der Verwirrung versetzt. Gewachsene Gemeinschaftsbildungen haben ihre Grundlage verloren, während für Neukonstruktionen die notwendige Zeit und auch die Motivation fehlten (vgl. Gabriel/Geller). Die Folge ist eine Gewichtsverlagerung innerhalb der dreifachen Struktur der Kirchengemeinde von der Gemeinschaft hin zu Heilsverwaltung und Dienstleistung.

      THESE 4: GEMEINDE UND GEMEINSCHAFT ALS ORT DER RELIGION IN DER ENTFALTETEN MODERNE

      Der Niedergang der Kirche in ihrer gegenwärtigen Sozialgestalt, gegen den offenbar kein Gegenmittel zu finden ist, fordert heute dazu heraus, Kirche von ihrer gemeindlichen Basis und diese von der Dimension lokaler Gemeinschaftlichkeit her zu denken. Die schon seit dem 19. Jahrhundert beobachtbaren Bemühungen der Kirche, sich partiell modernen gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen, haben eine falsche Richtung genommen. Gerade die katholische Kirche hat sich gegenüber der funktionalen Differenzierung als dem zentralen Entwicklungstrend moderner Gesellschaften ambivalent verhalten.

      Religion benötigt Felder undifferenzierten sozialen Lebens.

      Die spezifische Entwicklung des Katholizismus in der Moderne lässt sich als empirischer Beleg dafür betrachten, dass die funktionale Differenzierung negative Wirkungen auf die Religion ausübt (vgl. Pollack, 502-516). Insofern ist der Säkularisierungstheorie recht zu geben. Als Konsequenz ergibt sich, dass unter vollständig funktional differenzierten gesellschaftlichen Bedingungen Religion Felder undifferenzierten sozialen Lebens benötigt, um existieren zu können.

      Für das Christentum kommt die Familie als Basisstruktur nicht in Frage, wohl aber die lokale Gemeinde. Auf der Ebene der lokalen Gemeinde laufen die unterschiedlichen Funktionszusammenhänge der Gesellschaft СКАЧАТЬ