Название: Geist & Leben 1/2019
Автор: Verlag Echter
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783429064273
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– Die Praktike (πρακτική) bezeichnet die Askese, durch die der Mönch die körperlichen und geistigen Begierden beherrschen lernt und zur Leidenschaftslosigkeit, der Apatheia (ἀπάθεια) gelangt. Diese ist das Tor zur Kontemplation.
– Die Physike (φυσικὴ) ist die Kontemplation der geschaffenen Wirklichkeiten. Durch sie erlangt der Mönch eine indirekte, mittelbare Gotteserkenntnis: Gott wird in den irdischen Wirklichkeiten wahrgenommen.
– Die höchste Stufe ist jedoch die Theologike (θεολογικὴ) als ungegenständliche Kontemplation. Sie führt zur direkten, unmittelbaren Gotteserkenntnis und ist der „beste Teil“, den es zu erwählen gilt (Johannes Cassian, Collationes Patrum = CP 1,8 in Auslegung von Lk 10,38–42).
Apatheia als Ziel der Askese
Schon früh in der christlichen Spiritualität wird die Apatheia als Ziel des asketischen Übens angesehen. Apatheia ist ein „völliges Beherrschen der affektiven Seite des Menschen, so dass die störenden Gemütsregungen einem Zustand tiefen Friedens gewichen sind“.9 Wer die Apatheia erreicht hat, ist unerschütterlich gleichmütig (Evagrius Ponticus, De oratione = Or 2). Ihn erfüllen „unerschütterliche Ruhe des Geistes und immerwährende Reinheit“ des Herzens (CP 9,2). Das asketische Leben ist daher „die geistliche Methode, den leidenschaftlichen Teil der Seele (τὸ παθετικὸν μέρος τῆς ψυχῆς) zu reinigen“ (Pr 78). Ein „erfolgreicher“ Asket, also ein Praktikos, ist, „wer allein den leidenschaftlichen Teil der Seele leidenschaftslos besitzt (τὸ παθητικὸν μέρος τῆς ψυχῆς μόνον ἀπαθὲς κεκτημένος)“ (Evagrius Ponticus, Gnostikos = Gn 2). Für Evagrius ist die Apatheia der gesunde Zustand der Seele (Pr 56; Or 15310). Beim Gebet ist man von Ablenkungen frei und ohne Zerstreuung (Pr 63; 65). Im Schlaf hat man keine unruhigen Träume und bleibt in aufregenden Situationen oder in der Erinnerung an solche ruhig und gelassen (Pr 64; 67). Überhaupt haben die Sinneswahrnehmungen keinen Einfluss auf den Verstand und können keine Leidenschaften wecken (Pr 66).
Die stoisch geprägte Apatheia sehen Evagrius und Cassian biblisch in Jesu Rede vom reinen Herzen ausgedrückt: „Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.“ (Mt 5,8) Der leidenschaftslose Mensch ist für sie folglich derjenige, der wahrhaft lieben kann. Daher sollen wir „unser Herz gegen alle Leidenschaften rüsten, es unverletzt bewahren und zur Vollkommenheit der Liebe emporsteigen.“ (CP 1,7) Die Liebe, die die Bibel ganzheitlich versteht, wird so auf eine intellektuelle Aktivität reduziert: Die Apatheia „führt den Menschen, der die Weisheit liebt und der durch eine tiefe Liebe (ἔρωτι) wahrhaftig vergeistigt ist (πνευματικὸν νοῦν), zu den höchsten Höhen der Wirklichkeit“ (Or 53).
Diese Umdeutung der stoischen Apatheia ist höchst ambivalent. Apatheia und Agape sind bei Evagrius und Cassian zwei Seiten einer Medaille und dürfen nicht getrennt werden.11 Denn die Apatheia ist „ein Zustand, der es erlaubt, alle Menschen wenigstens in dem Maß zu lieben, dass man friedlich mit den Menschen lebt und keinen Groll gegen sie hegt.“12 Andererseits wird die Liebe, die biblisch den Menschen „mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ (Dtn 6,5) beansprucht, also intellektuell (Herz), emotional (Seele) und praktisch (Kraft), zu einem rein intellektuellen Tun umgedeutet und damit ihrer Ganzheitlichkeit beraubt.
Askese als Weg zur Apatheia
Wie aber sieht der Weg des Menschen zur Apatheia und von dieser weiter zur Kontemplation aus? In der ersten Phase geht es für Betende darum, durch Askese von sämtlichen Leidenschaften frei zu werden. So wie Mose seine Schuhe auszieht, um Gott zu begegnen (Gen 3), sollen sie ihre Gedanken von jeder Verunreinigung durch Gefühle freimachen (Or 4). Gefühle werden aber oft durch Gedankenhervorgerufen. Daher sollen Betende auch den Intellekt „taub und still werden lassen“, um frei von ablenkenden Gedanken beten zu können (Or 11). Sie sollen „sich von allem befreien, das auf irgendeine Weise mit den Leidenschaften zu tun hat“ (Or 53), und sei es „auch nur dem Anschein nach“ (Or 54). Denn: „Wenn jemand gefesselt ist, kann er nicht weglaufen. Genau so wenig kann ein Geist, der Sklave der Leidenschaften geworden ist (πάθεσι δουλεύων), den Ort des spirituellen Gebets sehen. Er wird zum Spielball solcher leidenschaftserfüllter Gedanken (ἐμπαθοῦς νοήματος) und wird so seine Beständigkeit und Ruhe einbüßen.“ (Or 71)
Hier wird deutlich, dass die monastische Tradition gut stoisch, aber wenig biblisch in der Apatheia den Inbegriff der Freiheit sieht. Nicht der ist frei, der sich mit seiner ganzen Existenz in Liebe an andere bindet (Dtn 6,5), sondern der,der alle Leidenschaften losgelassen hat. Freiheit ist vor allem Autarkie. „Was der Empfindung((αἴσθησις) nicht unterworfen ist, ist auch frei von Leidenschaft.“ (Pr4) Die Apatheia ist die „Trennung der Seele vom Leib“ (Pr 52) im Sinne ihrer Befreiung von den Leidenschaften.
Evagrius und Cassian beschreiben den Weg der Askese als sehr sensiblen Vorgang. Er braucht eine gesunde Mitte zwischen Laxheit und Rigorismus. Kämpferisch wird das Vokabular der beiden allerdings bei der Entfaltung der Acht-Laster-Lehre, als deren geistige Väter sie gelten. Zentraler Gedanke dieser klassischen monastischen Lehre ist die These, dass alle Sünden auf acht tiefsitzende Fehlhaltungen zurückgeführt werden können: Gaumenlust, Unkeuschheit, Habsucht, Traurigkeit, Zorn, Akedia, Ruhmsucht, Stolz (Pr 6–14). Diese gilt es zu bekämpfen, will man das Übel an der Wurzel packen und „ausreißen“ (CP 9,3), nicht gleichzeitig, sondern nacheinander.
Die Spannung zwischen dem sanften „Loslassen“ der Leidenschaften im Kontext der stoischen Apatheia-Lehre und dem harten Bekämpfen und Ausreißender Laster in der monastischen Acht-Laster-Lehre wird von Evagrius und Cassiannicht aufgelöst. Theologisch gewendet könnte man darin zumindest für den rund zwanzig Jahre später lebenden Cassian eine gewisse Unentschiedenheit zwischen Pelagianismus und Augustinismus sehen – eine Kontroverse, die Evagrius nicht mehr erlebt hat. In jedem Fall aber wird im Nebeneinander von Apatheia-Lehre und Acht-Laster-Lehre die Spannung von göttlicher Gnade (Loslassen) und menschlicher Leistung (Kampf) sichtbar. Dass das Loslassen der Leidenschaften tatsächlich im Sinne eines Sich-Fallen-Lassens in die Hand Gottes verstanden wird, kann folgendes Zitat verdeutlichen: „Wenn du wirklich betest, entsteht in dir ein tiefes Gefühl des Vertrauens. Engel werden dich begleiten und dir den Sinn der ganzen Schöpfung erschließen.“ (Evagrius, Über das Gebet, 80) Apatheia und Gotteserkenntnis werden hier als Geschenk sichtbar, als Gabe dessen, dem der Mensch vertraut und der seine Engel als Überbringer der Gaben schickt.
Gotteserkenntnis in der Kontemplation als Ziel des geistlichen Lebens
Die Apatheia, deren andere Seite die rein intellektuelle Liebe ist, ist das Tor zur Kontemplation. Solange noch Leidenschaften im Menschen sind, er also nicht reinen Herzens ist, kann er – ganz nach Mt 5,8 – Gott in der Kontemplation nicht schauen (CP 1,15). Umgekehrt: „Sind Liebe und Enthaltsamkeit Gäste der Seele, dann ruhen die Leidenschaften“ (Pr 38) und der Weg zur Kontemplation steht offen. Aber auch diese ist kein Selbstzweck: „Das Ziel des asketischen Lebens ist die Liebe und das der Kontemplation ist die Erkenntnis Gottes (θεολογία).“ (Pr 84)
Eine erste Stufe der Kontemplation (Physike), schaut auf die geschöpflichen Wirklichkeiten und entdeckt in ihnen vermittelt den Schöpfer. Die zweite Stufe hingegen (Theologike), zielt darauf, Gott unmittelbar zu schauen. Daher soll der kontemplative Mensch selbst die reinsten und frömmsten Gedanken loslassen, seien es gegenständliche oder ungegenständliche (Or 55–57):„Selig ist jenerGeist, der, während er betet, frei ist von allem Gegenständlichen, ja СКАЧАТЬ