Название: Geist & Leben 1/2019
Автор: Verlag Echter
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783429064273
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Dieses geistliche Unterscheiden ist kein Trick für meine Gefühls-Wellness. Es ist eine Möglichkeit, wie ich verantwortlicher leben kann. Solche Schätze überlieferter Weisheit liegen in all unseren Traditionen. Wir müssen sie denen vermitteln, die uns anvertraut sind und die uns vertrauen. Wir müssen diese Schätze auch selbst heute neu entdecken und auf uns wirken lassen; und wir können sie auch einander erklären und miteinander einüben, über die Grenzen hinaus, die zwischen unseren Traditionen zu verlaufen scheinen.
Ich freue mich, dass mit den Muslimen zu uns auch „der Islam“ mit seinen verschiedenen geistlichen Traditionen gekommen ist. Viele von uns haben schon eindrucksvolle Gläubige und hochspannende Autoren einer fremden Spiritualität kennenlernen dürfen; aber es gibt für uns alle noch viel zu entdecken und zu vermitteln. Es gibt in unseren theologischen, mystischen, asketischen, philosophischen, dichterischen und volksfrommen Traditionen überlieferte Weisheiten, die das Miteinander hierzulande mitprägen können, die das religiöse Denken tragen und weiterentwickeln können, die uns neue Gesichtspunkte in der Ethik aufzeigen können, die neue Ideen für die Wertevermittlung und Lebensgestaltung einbringen können. Ich kann mir ein Deutschland vorstellen, in dem verschiedene Traditionen ausstrahlende Institutionen pflegen, etwa Häuser für geistliche Übungen, Lehrstühle für geistliche Theologie, Lernorte für geistliche Begleiter(innen). Ich kann mir ein Zusammenleben vorstellen, das von geistlichen Zentren verschiedener Religionen inspiriert ist, mit gut ausgebildeten Begleiter(inne)n; ausgebildet, damit sie den empfindlichen Raum des Seelenlebens, des geistlichen Gesprächs, des persönlichen Vertrauens nicht für eigene Zwecke missbrauchen, sich nicht als manipulative Gurus aufspielen, sondern zurückhaltend das persönliche Wachstum der Menschen begleiten, die sich auf die Gottsuche gemacht haben. Ich kann mir eine Gesellschaft vorstellen, in der verschiedene Stile, jüdisch oder christlich oder muslimisch „geistlich“ zu leben, sich gegenseitig herausfordern und beschenken. Wenn wir unsere Verantwortung ernst nehmen, brauchen wir das; und Gott ruft uns in die Verantwortung.
1. Vortrag beim ersten „Dialogempfang“ der Deutschen Bischofskonferenz für Muslime unter dem Titel „Überlieferte Weisheit für den interreligiösen Dialog. Was ist geistliche Unterscheidung?“ (13. April 2018, Haus am Dom, Frankfurt am Main).
2. In einem Koranvers lautet die Frage sogar: „Warum helft ihr einander nicht?“ (as-Saffat 37:24). Allerdings kann der Vers auch anders verstanden werden, nämlich als Spott: Worauf man sich fälschlich im Diesseits statt auf Gott verlassen hatte, das hilft im Endgericht rein gar nichts.
3. Ein frühes Beispiel: Paulus betet, dass die Gemeinde den Willen Gottes ganz erkennen kann „in aller Weisheit und geistlichen Einsicht“ (Kolosser 1,9).
4. Gaudete et exsultate, Nr. 170. Deutsche Übersetzung weicht von der offiziellen ab.
5. Das Gnadengeschenk (chárisma) der Unterscheidungen (Plural: diakríseis) der Geister, 1 Korinther 12,10.
6. 1 Johannes 4,1 (dokimázein, wie etwa auch Metall im Feuer auf seine Reinheit zu prüfen ist). Ebendort heißt es auch ausdrücklich, dass es viele Pseudopropheten gibt.
7. Römer 12,2: „Und gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene!“
8. Das dokimázein aus Römer 12,2 („prüfen und erkennen, was der Wille Gottes ist“) und/oder aus Römer 2,18 („beurteilen, worauf es ankommt“) geben eine ganze Reihe von Übersetzungen mit Formen von discern- wieder: z.B. die New Revised Standard Version und die New American Bible, La Palabra, die Traduction Œcuménique de la Bible, die Bible de Genève von 1669 und die Nouvelle Édition de Genève sowie die Bibbia CEI in alter und neuer Ausgabe.
9. Auch die Unterscheidung der Geister nach Ignatius von Loyola († 1556) lässt sich aus der Erfahrung Jesu im Garten Gethsemani verstehen. Denn Ignatius nennt den Übergang von der Stimmungsbestimmtheit zum Vatervertrauen: „Trost“. Trost ist für ihn Wachstum von Glaube, Hoffnung und Liebe (Geistliche Übungen, Nr. 316). Damit fasst er den Mittelpunkt des geistlichen Lebens nicht als Zustand, sondern als Bewegung. Wenn er von „Bewegungen“ (mociones) in der Seele spricht (Geistliche Übungen, Nr. 313), steht er in aristotelischer Tradition, wo der Affekt eine Seelenbewegung ist (tes psyches kinesis), versteht und unterscheidet die Bewegung nun aber aus ihrer Orientierung auf Gottes Willen.
Michael Rosenberger | Linz
geb. 1962, Priester, Dr. theol., Professor für Moraltheologie an der KU Linz
Indifferenz statt Apatheia
Zwei Modelle der Kontemplation
Noch immer ist in Kreisen, die das kontemplative Gebet pflegen, die Überzeugung weit verbreitet, das ignatianische Beten sei bestenfalls eine Vorstufe zum eigentlichen kontemplativen Beten, und das, was Karl Rahner 1937 durch Übernahme eines ihm vorgeschlagenen Vortragstitels „die ignatianische Mystik der Weltfreudigkeit“ nennt1, in Wirklichkeit keine echte Mystik. Stellvertretend und viel zitiert steht für diese Linie Frank Houdek SJ (1935–2009). Er kritisiert v.a. folgende Aspekte: Die ignatianische Gebetsweise sei
– diskursiv „und daher in sich begrenzt“.2
– aktiv und daher „bei einem stärker für das passive oder nicht-diskursive Beten begabten Menschen unpassend“.3 Denn „Intention und Dynamik“ ihrer Übungen seien „gewöhnlich direkt auf eine Passivität im Gebet ausgerichtet und ein schrittweises Ausschalten aller Gedanken, Bilder und Symbole aus dem Bewusstsein der betenden Person“.4
– christozentrisch und daher „zahlreichen Männern und Frauen in unserer heutigen Kultur fremd. Hier ist die anhaltende Kraft der pneumatischen oder charismatischen Bewegung bedeutsam.“5
Houdek hält die „Geistlichen Übungen“ eher für für Anfänger hilfreich.6 „Das Ignatianische Gebet besitzt, obwohl es begrenzt ist, das innere Potential, die tieferen personalen Gaben des kontemplativen Gebets zu entfalten. Das heißt: die Übungen des Exerzitienbuchs sind auf die Wirklichkeit des kontemplativen Gebets hingeordnet.“7
Houdek argumentiert fast ausschließlich pastoralpragmatisch: Was kommt bei den Menschen an? Aber eine Gebetsform rein pragmatisch zu beurteilen ist nicht angemessen. Entscheidend ist vielmehr ihre systematisch-theologische Reflexion durch Dogmatik („lex orandi est lex credendi“) und Moraltheologie („lex orandi est lex vivendi“). Hier möchte ich die moraltheologische einschließlich der anthropologischen Frage stellen: Welches der beiden Modelle von Kontemplation entspricht mehr einer zeitgemäßen Anthropologie? Und: Welches dient dem Menschen besser zu einem gelingenden Leben?
Umzu einer Antwort zu gelangen, vergleiche ich die jeweils ältesten Quellentexte der beiden Modelle geistlichen Lebens – des monastischen, stark neuplatonisch und stoisch geprägten, und des ignatianischen, stark aristotelisch und biblisch geprägten. Mit den beiden Schlüsselbegriffen Apatheia versus Indifferenz stelle ich sie einander fokussiert gegenüber.
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