Название: Der Schoppenfetzer und die Weindorftoten
Автор: Günter Huth
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783429063986
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Der Mann hinter dem Steuer warf dem Neuankömmling einen zornigen Blick zu. Ohne ein Wort der Begrüßung kam er zur Sache. „Wer von euch Idioten hat uns denn diesen Mist eingehandelt? Hatten wir nicht ausgemacht, dass das alles diskret und ohne Aufsehen ablaufen sollte? Jetzt haben wir eine Leiche und damit die volle Aufmerksamkeit der Presse und der Öffentlichkeit.“ Seine Faust knallte wütend gegen das Lenkrad.
„Tut mir leid, Chef“, gab der Mann auf dem Beifahrersitz kleinlaut zurück, „es ging alles so schnell. Plötzlich stand der Typ vor uns und dann lag er auch schon da. Es war bestimmt keine Absicht …“
„Keine Absicht! Keine Absicht! Das nützt mir gar nichts! Habt ihr wenigstens gefunden, weswegen ich euch beauftragt habe?“
Der Mann wurde noch ein Stück kleiner in seinem Sitz, als er langsam den Kopf schüttelte. „Wir sind wie verabredet reingegangen. Das klappte auch wie geplant. Dann lief jedoch alles schief. Wir hatten erst ein paar Meter zurückgelegt, als die Holzstempel, die wir zur Abstützung eingesetzt hatten, zu knacken begannen. Ehe wir wussten, was los ist, gab plötzlich die Decke nach. Zuerst fielen nur einige Brocken herunter, dann stürzte das ganze Erdreich ein. Wir sind nur noch gelaufen. Es war wirklich verdammt knapp, das können Sie mir glauben. Hinter uns ist vermutlich der ganze Gang zusammengestürzt. Wir waren heilfroh, dass wir noch herausgekommen sind. Durch den Schrecken waren wir völlig panisch und konfus. Dann stand auf dem Platz plötzlich der Wachmann vor uns. Er hat gesehen, von wo wir kamen. Aber das war uns in diesem Augenblick ziemlich egal. Wir wollten nur noch weg! Dabei muss es dann passiert sein. Er verstellte uns den Weg und hat irgendetwas gerufen. Es bestand keine Möglichkeit auszuweichen. Wir haben ihn regelrecht über den Haufen gerannt. Ich konnte sehen, dass er fiel. Vielleicht hat er sich dabei den Kopf gestoßen. Aber wir haben ihn mit Sicherheit nicht absichtlich verletzt … und schon gar nicht umgebracht!“ „Ihr seid solche Vollidioten!“, fauchte der Mann hinter dem Lenkrad. „Ihr habt die ganze Geschichte gründlich vermasselt. Es ist euch ja wohl klar, dass ihr für solchen Mist keinen Cent seht!“ Seine Wangenmuskulatur trat hervor.
„Aber Chef, wir haben doch alles gemacht, was Sie von uns verlangt haben.“ Der Mann rutschte nervös auf dem Sitz herum. „Wie soll ich das denn meinen Kumpels erklären?“ „Das ist mir scheißegal“, fauchte der andere zurück. „Ich muss jetzt erst mal zusehen, was ich noch retten kann. Ihr haltet gefälligst die Klappe. Wenn die Bullen herausfinden, dass ihr am Tod des Wachmanns schuld seid, stecken sie euch in den Knast und werfen den Schlüssel weg.“ Er machte eine kurze Pause, dann fügte er hinzu: „… und kommt nicht auf die Idee, mich da mit reinzuziehen. Ich habe für die Zeit ein hieb- und stichfestes Alibi.“ Er machte ein Zeichen in Richtung Tür. „Los, raus jetzt! Sollte ich noch einmal einen von euch Versagern benötigen, lass ich von mir hören.“
Der Mann auf dem Beifahrersitz öffnete wortlos die Autotür und stieg aus. Die Wagentür war kaum ins Schloss gefallen, als Stadtbaurat Buschwächter den Motor startete und das Fahrzeug aus der Parklücke lenkte. Der andere sah dem Pkw hinterher. Er kochte vor Wut.
Vladimir Müller, Bauhilfsarbeiter, Mitte vierzig, groß, muskulös, einschlägig vorbestraft wegen schwerer Körperverletzung und anderer Delikte, war vor längerer Zeit von Buschwächter, der ihn in einer Kneipe kennengelernt hatte, angesprochen worden. Er hatte ihn gefragt, ob er nicht im Rahmen des Baus des Petrinihauses einige Dinge für ihn erledigen könne. Buschwächter hatte ihm und seinen Helfern für ihren Einsatz eine ordentliche Summe versprochen. Und jetzt sollten sie leer ausgehen? Das würde er nicht schlucken! Er steckte die zur Faust geballte Hand in seine Hosentasche. Jetzt musste er erst einmal mit seinen Kumpels sprechen. Hoffentlich rasteten die nicht aus. Sie würden schon irgendwie an ihr Geld kommen.
Buschwächter starrte grimmig auf die Fahrbahn. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als sich höchstpersönlich der Sache anzunehmen. Ein Umstand, den er eigentlich hatte vermeiden wollen. Auf jeden Fall musste er höllisch aufpassen, dass nicht die Presse von seinen Plänen Wind bekam.
Am Tage nach der Eröffnung des Weindorfes traf sich im Hockerle, einer weinhistorischen Institution der Mainfrankenmetropole, eine Gruppe honoriger Bürger.
Das Hockerle ist in der Stadt ein Weinausschank besonderer Art und auch die Gäste gehören zu einer ganz speziellen Sorte Weingenießer. Das Hockerle gehört zum Bürgerspital, einem der drei großen Weingüter Würzburgs. Es liegt unauffällig unter den Arkaden des zum Weingut gehörenden Altenstifts und bietet Schoppenfreunden einen guten Trinkwein. Dies alles auf kleinstem Raum, in dem man rundherum auf grünen Bänken wie in einem kleinen Warteraum sitzt. Wer hierherkommt, bekommt von Rainer Schlauer, dem Herrscher über dieses kleine Reich, seinen Wein garniert mit flotten Sprüchen kredenzt. Dann sitzt oder steht man zusammen, egal ob fremd oder bekannt, alt oder jung, dick oder dünn, klopft Sprüche, schimpft auf die Politik oder schweigt sich einfach nur aus. Hier wird jeder toleriert.
Die eingangs erwähnte Gruppe hatte sich, soweit das im Hockerle überhaupt möglich war, in einer Ecke zusammengesetzt und bildete eine Art Wall, der verhinderte, dass sich noch andere Gäste zu nahe dazugesellten. Der Rainer warf immer wieder mal neugierige Blicke in die Ecke. Es war schon ungewöhnlich, dass sich diese stadtbekannten Personen hier trafen und auf geheimnisvolle Weise die Köpfe zusammensteckten. Da hätte der Rainer mal gerne für zehn Minuten Mäuschen gespielt, um zu hören, was dort getuschelt wurde. Nach den Mienen und Gesten der Personen zu schließen, handelte es sich um ein höchst ernstes Thema.
„Habt ihr in der Main-Postille gelesen, was der Schöpf-Kelle wieder von sich gegeben hat? Das ist ein schöner Schlamassel! Dieser Schreiberling bringt uns doch glatt mit diesem mysteriösen Leichenfund am Unteren Markt in Verbindung!“ Der Sprecher, ein hochgewachsener Mann mit schlohweißem Haar, hielt die neueste Ausgabe der Main-Postille in der Hand und wies mit dem Finger auf die Titelseite, auf der in großen Lettern über den Leichenfund am Unteren Markt berichtet wurde. Schöpf-Kelle hatte sich ausgiebig über den merkwürdigen Tod eines Mitarbeiters des für die nächtliche Bewachung des Weindorfes zuständigen Sicherheitsdienstes ausgelassen und dabei die Vermutung geäußert, dass dieser Leichenfund mit den Verursachern der Aufsehen erregenden Transparentaktion am Petrinihaus im Zusammenhang stehen könnte. Er hatte die Theorie aufgestellt, dass der Wachmann die Wilden Alten bei ihrer Aktion womöglich gestört hatte und dabei getötet wurde.
Der zweite, deutlich ältere Mann in der Runde winkte ab. „Herrschaften, wir sollten uns nicht verrückt machen lassen. Er stellt nur Fragen. Antworten hat er keine. Diese Aktion zu starten war völlig richtig! Sie hat das Thema vehement in die Medien gebracht! Das war doch unsere Absicht. Das mit dem Toten ist zwar höchst bedauerlich, aber wir wissen ja, dass wir nichts damit zu tun haben. Im Ernstfall können wir uns doch gegenseitig Alibis geben.“
Der dritte, einzig jüngere Mann in der Runde, der durch eine ausgeprägte Solariumbräune auffiel, strich sich die grau melierte Künstlermähne aus der Stirn. „Wir sollten nicht lange fackeln, zur Polizei gehen und uns stellen. Wir machen unsere Aussage, dann haben wir unsere Ruhe.“
„… und morgen stehen wir alle namentlich in der Zeitung“, warf die einzige Frau in der Runde mit ernster Miene ein. „Das gäbe einen ordentlichen Skandal! Wenn die Aktion solche Kreise zieht, werde ich aussteigen.“
Der vierte Mann in der Gruppe, ebenfalls der Altersklasse 60plus zuzurechnen, hatte sich bis jetzt zurückgehalten. Jetzt fuhr er sich mit einer eleganten Geste durch die kolorierten Haare und meinte mit tragender Stimme: „Die Dramaturgie eines solchen Stückes auf die Bühne gebracht, hätte wirklich einiges für sich. Wir könnten das Interesse der Bevölkerung nutzen und unsere Botschaft verstärkt verkünden. Auch eine Verhaftung böte eine Möglichkeit, auf unser Anliegen aufmerksam zu machen. Ich hätte СКАЧАТЬ