Название: Keiner ist besser als der andere
Автор: Лев Толстой
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: marixklassiker
isbn: 9783843806121
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(Luzern)
Wir sind so verstrickt, daß wir durch jeden Schritt im Leben am Bösen teilnehmen: an der Gewalt, wie der Unterdrückung. Wir dürfen nicht verzweifeln, aber müssen uns langsam aus dem Netz befreien, in dem wir gefangen sind; nicht zappeln – sonst verwickelt man sich noch mehr – sondern langsam entwirren.
(Tagebücher)
Zu etlichen Hunderttausenden hatten sich die Menschen auf einem einzigen kleinen Fleck angesammelt, und wie sehr sie sich auch Mühe gaben, die Erde, auf der sie sich preßten und drängten, zu verunstalten, sie mit Steinen zu verrammeln, damit nichts darauf wüchse, jedes Gräschen, das sich ans Licht wagte, sogleich auszujäten, die Luft mit Steinkohlen- und Naphthadünsten zu vergiften, die Bäume zu beschneiden und alle Tiere, alle Vögel zu verjagen – der Frühling war doch Frühling geblieben, sogar in der Stadt. Die Sonne wärmte, das neubelebte Gras wuchs und grünte überall, wo es nur irgend nicht ausgerissen war, nicht allein auf den Rasenplätzen der Boulevards, sondern auch zwischen den Steinplatten, und die Birken, die Pappeln, die Traubenkirschen entfalteten ihre harzigen, duftenden Blätter, die Linden trieben ihre platzenden Knospen; die Dohlen, Spatzen und Tauben machten schon in froher Lenzstimmung ihre Nester zurecht, und die Fliegen summten im warmen Sonnenschein an den Wänden. Froh waren sie alle, die Pflanzen, die Vögel, die Insekten und die Kinder. Die Menschen aber – die großen, erwachsenen Menschen – hörten nicht auf, einander zu betrügen und zu quälen. Die Menschen waren der Meinung, heilig und wichtig sei nicht dieser Frühlingsmorgen, nicht diese Schönheit der Gotteswelt, die zur Beseligung aller Wesen gegeben ist und alle Herzen zum Frieden, zur Eintracht, zur Liebe stimmt – heilig und wichtig sei vielmehr das, was sie selbst sich ausgedacht haben, um über einander zu herrschen.
(Auferstehung)
Die Zivilisation ist das Gute, die Barbarei das Böse; die Freiheit ist das Gute, die Unfreiheit das Böse. Dieses imaginäre Wissen vernichtet in der menschlichen Natur das instinktive, selige ursprüngliche Streben nach dem Guten. Wer kann definieren, was Freiheit, was Despotismus, was Zivilisation und was Barbarei ist? Wo sind die Grenzen zwischen diesen Begriffen? Wer hat in seiner Seele einen so unfehlbaren Maßstab für Gut und Böse, daß er mit ihm alle die flüchtigen und verworrenen Tatsachen zu messen vermöchte? Wessen Verstand ist so groß, daß er auch nur die Tatsachen der starren Vergangenheit umfassen und wägen könnte? Und wer hat schon je einen Zustand gesehen wo Gut und Böse nicht miteinander vermengt wären? Und wenn ich mehr von dem einen als von dem andern sehe, woher weiß ich denn, daß ich die Dinge vom richtigen Gesichtspunkte aus betrachte? Wer ist imstande, sich im Geiste, wenn auch nur für einen ganz kurzen Augenblick, so vollkommen vom Leben loszulösen, daß er es ganz objektiv von oben herab betrachten könnte? Wir haben nur einen unfehlbaren Führer: den Weltgeist, der uns alle und jeden einzelnen wie eine Einheit durchdringt, der einem jeden das Streben nach dem, was notwendig ist, eingegeben hat. Es ist der gleiche Geist, der dem Baume befiehlt, der Sonne entgegenzuwachsen, der der Blume befiehlt, im Herbste ihre Samen auszustreuen, und der uns befiehlt, uns unwillkürlich aneinanderzuschmiegen.
Diese einzige unfehlbare, himmlische Stimme übertönt die lärmende und hastige Entwicklung der Zivilisation.
(Luzern)
Ich hatte schon mehrmals Gelegenheit, den Gedanken auszusprechen, daß der Patriotismus für unsere Zeit ein unnatürliches, unvernünftiges, schädliches Gefühl sei, welches einen großen Teil der Übel verursache, unter denen die Menschheit leidet, und daß daher dieses Gefühl nicht genährt und großgezogen werden dürfte, wie es jetzt geschieht, sondern im Gegenteil unterdrückt und durch alle Mittel, die vernünftigen Menschen zugänglich sind, vernichtet werden sollte.
(Patriotismus und Regierung)
Die elende Lage der Fabrik- und Stadtarbeiter liegt nicht darin, daß er lange arbeitet und wenig bekommt, sondern darin, daß er der natürlichen Bedingungen des Lebens inmitten der Natur beraubt ist, daß er keine Freiheit hat, daß er zur unfreien, fremden und eintönigen Arbeit gezwungen wird.
(Die Sklaverei unserer Zeit)
Die Bedingungen des Lebens aber, an welche die Menschen aus den begüterten Klassen gewöhnt sind, bildet eben jene reiche Produktion der verschiedenartigen Gegenstände, die für ihre Bequemlichkeiten und Vergnügungen nötig ist und die nur dank den jetzt bestehenden Fabriken und Werkstätten und unter ihrer jetzigen Organisation möglich ist. Wenn nun die Männer der Wissenschaft über die Verbesserung der Lage der Arbeiter diskutieren, so schlagen sie als Vertreter der begüterten Klasse immer nur solche Verbesserungen vor, unter denen die Fabrikproduktion fortbestehen, und die Bequemlichkeiten des Lebens, die sie dadurch genießen, dieselben bleiben sollen.
(Die Sklaverei unserer Zeit)
Wenn die Menschen nur begreifen werden, daß man kein Recht hat, seine Mitmenschen für die eigenen Vergnügungen auszunutzen, so werden sie alle Fortschritte der Technik so anzuwenden verstehen, daß sie das Leben ihrer Brüder nicht vernichten. Sie werden lernen, das Leben so einzurichten, daß sie alle technischen Machtmittel über die Natur benutzen, die man benutzen darf, ohne ihre Mitmenschen zu Sklaven zu machen.
(Die Sklaverei unserer Zeit)
Worin besteht denn die Sklaverei unserer Zeit? Wodurch werden die einen Menschen Sklaven der anderen? Wenn wir die Arbeiter in Rußland sowie die in Europa und Amerika, die in Fabriken und bei den verschiedenen Dienstleistungen in Stadt und Land beschäftigt sind, fragen, was die Menschen gezwungen hat, jene Lage zu wählen, in der sie sich befinden, so werden sie alle sagen, daß sie dazu geführt hat: entweder, daß sie keinen Boden haben, auf dem sie leben und arbeiten können; oder daß man von ihnen Steuern fordert, direkte und indirekte, die sie nicht anders bezahlen können, als durch Verrichtung fremder Arbeit; oder auch, daß die Versuchungen der luxuriösen Gewohnheiten, die sie sich angeeignet haben und die sie nur durch den Verkauf ihrer Freiheit und ihrer Arbeit befriedigen können, sie in den Fabriken zurückhalten.
(Die Sklaverei unserer Zeit)
Wir sind sehr besorgt um die Sonntagsruhe der Handlungsgehilfen, noch mehr um die Nichtübermüdung unserer Kinder in den Gymnasien, wir verbieten den Lastfuhrleuten aufs strengste, ihre Pferde zu überlasten, wir richten sogar Schlachthöfe ein, in denen die Leiden der zum Schlachten bestimmten Tiere auf das Minimum reduziert werden sollen.
Was ist denn das für eine sonderbare Umnachtung, die uns befällt, sobald es sich um die Millionen von Arbeitern handelt, die sich überall langsam und oft qualvoll zugrunde richten durch jene Arbeiten, deren Erzeugnisse wir zu unserer Bequemlichkeit und zu unserem Vergnügen gebrauchen?
(Die Sklaverei unserer Zeit)
Es offenbart sich immer mehr und mehr, daß die Kultur nur dank dem Zwange der Arbeiter zur Arbeit existieren kann.
(Die Sklaverei unserer Zeit)
Je mehr sich die Lage der Arbeiter verschlechtert, desto mehr wächst ununterbrochen ihre Abhängigkeit von den Reichen, und mit derselben Gleichmäßigkeit und Stetigkeit wächst der Reichtum der Reichen, ihre Macht über das Arbeitervolk, ihre Furcht und ihr Haß.
(Das Gesetz der Gewalt und das Gesetz der Liebe)
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