Fremde und Fremdsein in der Antike. Holger Sonnabend
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Название: Fremde und Fremdsein in der Antike

Автор: Holger Sonnabend

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783843806756

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      Die Minoer auf Kreta, die um 2000 v. Chr. eine blühende Zivilisation hervorbrachten, profitierten entscheidend von Impulsen, die sie aus Ägypten und aus dem innovativen Mesopotamien empfingen. Auch die kriegerischen Mykener, die der griechischen Geschichte danach ihren Stempel aufdrückten, pflegten enge Kontakte zu den Völkern des östlichen Mittelmeerraumes und des Vorderen Orients. Nach dem Zusammenbruch der mykenischen Macht folgte eine längere Phase des Stillstands, die man gerne und etwas dramatisch als die »Dunklen Jahrhunderte« zu bezeichnen pflegt. Zum Glück wussten die damaligen Griechen nicht, dass sie in einer dunklen Zeit lebten. Sie werden sie auch nicht als so dunkel empfunden haben wie spätere Historiker und Archäologen. Richtig ist aber, dass zwischen 1100 und 800 v. Chr. die kulturelle Entwicklung nicht mehr den vorherigen Standards entsprach. Das gilt für die materielle Kultur, die wirtschaftlichen Strukturen, die Außenbeziehungen. Die Griechen der Dunklen Jahrhunderte verlernten die Schrift, die in den mykenischen Palästen zur Regulierung der Verwaltung gedient hatte.

      Nach 800 v. Chr. tauchen die Griechen wieder aus der Isolation auf. Es entfalten sich neue, stadtstaatliche Strukturen. Die Große Kolonisation führt sie in die große, weite Welt hinaus. Sie treiben umfangreichen Handel, lernen wieder neue Ideen und Technologien kennen. Von den Phöniziern, die vom Libanon aus ein mediterranes Handelsimperium aufbauten, übernehmen sie die Schrift, die bis heute die Grundlage des griechischen Alphabets bildet. Die ionischen Naturphilosophen um Thales von Milet ließen sich bei ihren revolutionären Lehren über die Natur und den Kosmos von Erkenntnissen inspirieren, die babylonische Wissenschaftler gewonnen hatten. Jedoch blieb es nicht nur bei der reinen Übernahme: Die Griechen waren in der Lage, aus diesen Ideen etwas zu machen, sie im ständigen Austausch, aber auch im gegenseitigen Wettbewerb, weiterzuentwickeln.

      Im 5. Jahrhundert v. Chr., der »klassischen« Zeit, war es mit der Offenheit für das Andere und mit der Bereitschaft zu lernen, vorbei. Die Griechen hielten sich für die Größten und grenzten sich von der übrigen Welt ab. Jetzt waren auch die fremden Völker, denen man so viel zu verdanken hatte, nur noch »Barbaren«. Der Begriff an sich war nicht neu. Erstmals taucht er in den Epen Homers auf. In der Ilias, die um 720 v. Chr. schriftlich fixiert wurde, nennt der Dichter (2, 867) die Karer im südwestlichen Kleinasien ein »Volk barbarischer Mundart«. Damit ist noch keine dezidiert negative Konnotation verbunden. Es soll nur darauf hingewiesen werden, dass die Karer kein Griechisch sprachen. Die Beherrschung der griechischen Sprache ist hier noch kein Privileg oder kultureller Qualitätsnachweis. Wer nicht Griechisch spricht, ist kein schlechterer Mensch, sondern nur anders.

      In der klassischen Zeit hat »Barbar« einen deutlich abwertenden Klang und wird als Schimpfwort verwendet. Der Barbar ist ein Fremder, der charakterlich und kulturell weit unter dem Griechen steht. Dieser Wandel in der Einstellung zu Fremden war nicht das Resultat einer plötzlich auftretenden neuen genetischen Disposition. Vielmehr hatte er konkrete politische Ursachen. Die entscheidende Zäsur, die dazu führte, dass der Fremde zum Barbaren im negativen Sinn wurde, waren die Kriege der Griechen gegen die Perser.

      »Dies ist die Darlegung der Erkundung des Herodot aus Halikarnassos, auf dass, was von Menschen geschehen, nicht mit der Zeit verblasse, noch Taten, groß und des Staunens wert, vollbracht von Griechen und von Barbaren, ihren Ruhm verlieren – manches andere und so auch, warum die Krieg gegeneinander führten.«

      Mit diesen Worten beginnt das Geschichtswerk des Herodot über die Kriege zwischen Griechen und Persern, die in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. das große Thema der griechischen Außenpolitik waren. Herodot, dessen Lebensdaten etwa zwischen 485 und 424 v. Chr. liegen, wurde später von dem Römer Cicero mit dem Ehrentitel pater historiae, »Vater der Geschichtsschreibung«, geadelt. Diesen Titel hat er absolut verdient. Er erforschte die Vergangenheit als erster kritisch, rational und analytisch, überprüfte die Quellen und fragte nach den Gründen und Ursachen historischen Geschehens. Er beschränkte sich nicht allein auf die politische und militärische Geschichte, sondern interessierte sich auch für Kultur, Religion und Alltag. Insofern war er auch nach heutigen Kategorien ein moderner Autor. Zudem war er gebildet und kenntnisreich, was, wie man weiß, eine gute, wenn nicht gar unabdingbare Voraussetzung für eine verantwortungsvolle, seriöse publizistische Tätigkeit bildet.

      Herodot kann man sich also anvertrauen, wenn es darum geht, ein historisch einigermaßen zuverlässiges Bild von den Perserkriegen zu gewinnen. Und er müsste auch, wie man zumindest annehmen darf, eine kompetente Quelle für den Wandel im Fremdenbild der Griechen sein. Neben seiner historiografischen Kompetenz brachte er auch gute persönliche Voraussetzungen mit. Seine Heimat war Halikarnassos, das heutige Bodrum im Südwesten der Türkei, seine Familie hatte vermutlich sogar einheimisch-karische Wurzeln.

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      Marmorbüste Herodots, römische Kopie eines griechischen Originals aus dem 4. Jh. v. Chr.

       imageGriechen und Perser

      Das kurze Vorwort, das Herodot seiner Darstellung der Perserkriege vorausgeschickt hat, ist bemerkenswert. »Taten, groß und des Staunens wert, vollbracht von Griechen wie von Barbaren«, heißt es dort. Von Griechen und Barbaren? Also waren auch Barbaren in der Lage, Großes und Bedeutendes zu leisten? Früher hatte kein Grieche daran Zweifel gehegt. Erst in dem Maße, wie die Griechen sich ihrer Qualitäten bewusst wurden, distanzierten sie sich von der Außenwelt, spielten sich, einst gelehrige Schüler, nun als deren Lehrmeister auf. Gutes kann nur von Griechen kommen, lautete die Devise der klassischen Zeit.

      Eine politische Dimension erhielt das Barbarenbild in den Kriegen gegen die Perser. Diese regierten damals ein Weltreich, das sich vom Mittelmeer bis nach Indien erstreckte. Gründer war im 6. Jahrhundert v. Chr. der legendäre König Kyros gewesen. Kyros? Das hört sich nicht sehr persisch an. Und tatsächlich hieß Kyros auch nicht Kyros, sondern Kurusch. Die Kriege gegen die Griechen fanden statt, als Darajavausch und Chschajarscha auf dem Thron der Herrscherdynastie der Achämeniden saßen. Wir kennen sie besser unter den Namen Dareios und Xerxes. Eine ihrer Residenzstädte hieß Persepolis – Griechischer kann ein Name nicht sein: die »Perserstadt«. Der richtige iranische Name lautet Parsa. Die Griechen, und auch der so weltläufige Herodot, pflegten fremde Namen – seien es Personen, seien es Orte – konsequent zu gräzisieren. Das hatte zum einen phonetische Gründe. Die fremden Namen klangen in den feinen Ohren der Griechen zu exotisch. Zum anderen aber stand dahinter auch das griechische Überlegenheitsgefühl. Jemanden bei seinem richtigen Namen zu nennen, bedeutet, ihn anzuerkennen und zu respektieren. Den Namen in die eigene Sprache zu transkribieren, heißt, auch die Person, die diesen Namen trägt, zu vereinnahmen.

      Die Kriege der Griechen gegen die Perser dauerten mit Unterbrechungen von 500 bis 479 v. Chr. Verbunden sind sie mit den von den Griechen gebührend gefeierten Schlachten von Marathon (490 v. Chr.), Salamis (480 v. Chr.) und Plataiai (479 v. Chr.). Viele griechische Stadtstaaten waren an der Abwehr der persischen Militäraktionen beteiligt. Doch verstanden es speziell die Athener, sich als diejenigen in Szene zu setzen, die den meisten Anteil am Sieg hatten, weil es ihre Flotte gewesen sei, die den Vormarsch der Perser letztendlich gestoppt habe. Gleich nach dem Abzug der Perser gründeten sie den Attischen Seebund, dessen Zweck darin bestand, sich vor weiteren Angriffen der Perser zu schützen. Die Partner Athens zahlten Geld oder stellten Schiffe – und wollten natürlich wissen, warum sie das tun mussten. Weil, so die Antwort der Athener, die Perser eine nach Expansion strebende Macht seien; weil sie den Westen vor dem Osten schützen müssten; weil die Perser von hybriden, blasphemischen, dekadenten Despoten regiert würden.

       Der Perserkönig lässt das Meer auspeitschen

      Als die persische Armee 480 v. Chr. auf dem Weg nach Griechenland die Dardanellen (von den Griechen СКАЧАТЬ