Название: Fremde und Fremdsein in der Antike
Автор: Holger Sonnabend
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783843806756
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Der bärtige Zeus der Griechen mit den Widderhörnern Amuns, römische Marmorbüste des Zeus-Ammon aus der Oase Siwa, 120–160 n. Chr., Metropolitan Museum of Art
Die Sympathiewerte der Griechen waren bei den anderen Völkern nicht so hoch, wie sie es sich selbst vorstellten. Bei vielen waren sie im Gegenteil sehr unbeliebt. Das lag vor allem daran, dass sie der Meinung waren, sie seien in allen Bereichen die Besten. Schlimmer noch: Sie waren in den meisten Bereichen auch die Besten. Aus dieser überlegenen Grundhaltung heraus waren sie auch der Ansicht, dass es neben ihren Göttern keine anderen Götter gebe. Die Götter anderer Völker, so ihre Vorstellung, müssten die griechischen Götter sein, nur mit einem anderen Namen. Das Fremde wurde unter griechischen Vorzeichen interpretiert. So setzten sie etwa den ägyptischen Gott Amun mit ihrem obersten Gott Zeus gleich und nannten ihn Zeus-Ammon. Insofern war die Religion in der Praxis kein wirklich trennendes Element zwischen den Griechen und den Fremden. Die »Barbaren« mussten eben nur einsehen, dass ihre Götter in der Realität die Götter der Griechen waren.
Lebensformen
Um die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. unternahm Herodot, dem die Definition dessen, was einen Griechen und implizit einen Fremden ausmacht, zu verdanken ist, eine Reise nach Ägypten. Von dieser Reise hat er einen umfangreichen Bericht vorgelegt, den er im zweiten Buch seiner Historien veröffentlichte. Er tauchte in die fremde Welt ein und notierte gewissenhaft alles, was ihm dabei auffiel (2,35).
»Sie haben sich in fast allen Bereichen Gewohnheiten und Sitten zurecht gelegt, die denen anderer Menschen gerade entgegen gesetzt sind. So gehen die Frauen bei ihnen auf den Markt und handeln, die Männer aber sitzen zu Hause und weben. Und beim Weben schlagen die anderen den Einschlag nach oben, die Ägypter nach unten. Lasten tragen die Männer auf den Köpfen, die Frauen auf den Schultern. Die Frauen lassen Wasser im Stehen und die Männer im Hocken. Ihre Notdurft verrichten sie in den Häusern und sagen dazu, was unanständig, aber notwendig ist, solle man im Verborgenen tun, was aber nicht unanständig ist, vor aller Augen. Keine Frau versieht Priesterdienste, weder bei einem Gott noch bei einer Göttin, sondern nur Männer, bei allen Göttern und Göttinnen. Die Söhne brauchen ihre Eltern nicht zu ernähren, wenn sie keine Lust haben, aber die Töchter müssen es, auch wenn sie keine Lust haben.«
Alles anders als bei uns, lautet die Botschaft, die Herodot vermitteln will. Nicht alle seiner teils skurrilen Behauptungen halten einer kritischen Betrachtung stand. Wichtiger aber ist der Maßstab, den er anlegt. Er spricht von »anderen Menschen« und meint damit in erster Linie die Griechen. Bei ihnen konstatiert er gemeinsame Formen der Gestaltung des alltäglichen Lebens, mit denen sie sich von den Fremden unterscheiden. Natürlich gehen bei uns die Männer zur Arbeit und die Frauen sitzen zu Hause und arbeiten. Die Söhne kümmern sich um die Eltern, nicht die Töchter.
Tatsächlich – und nicht nur in der durchaus polemischen Auseinandersetzung mit den Gewohnheiten und Praktiken anderer Völker – kann man bei den antiken Griechen eine sie spezifisch prägende Alltagskultur feststellen. Das gilt etwa auch für die Art und Weise des Wohnens, die Kleidung, die Gestaltung des sozialen Lebens, die Grabsitten, das berufliche Leben.
Wie sieht ein Spartaner aus?
Im 2. Jahrhundert v. Chr., als Rom Führungsmacht in Griechenland geworden war, unternahmen die Bewohner von Korinth, in übereifriger Umsetzung römischer Vorgaben, eine Razzia gegen alle Spartaner, die sich gerade in ihrer Stadt aufhielten. Sie griffen jeden auf, »den sie sicher als einen Spartaner erkannten oder den sie wegen des Haarschnittes, wegen des Schuhzeugs, der Kleidung oder des Namens wegen für einen Spartaner hielten.«
Pausanias 7,14,2
Die vier Säulen Abstammung, Sprache, Religion und Lebensformen schufen auch bereits im zeitgenössischen Bewusstsein Identität. Das Fremde konstituierte sich aus dem Gegensatz zum Eigenen. Dieselben vier Säulen kreierten, wenn sie nicht vorhanden waren, Alterität, wie man dieses Phänomen in den modernen Sozialwissenschaften nennt. Keine Identität ohne Alterität, keine Alterität ohne Identität – so lautet eine Botschaft aus der Antike. Erst als die Griechen merkten, dass sie Griechen waren, konnten sie die Fremden als Fremde identifizieren.
Oder in den Worten des klugen Thukydides (1,3): Die frühen Griechen hatten »für die Barbaren noch keinen Begriff, weil auch die Hellenen, wie ich meine, noch nicht unter einem gegensätzlichen Namen zusammengefasst waren.«
Jedenfalls gilt die Erkenntnis, dass Identität und Alterität sich gegenseitig bedingen, für das Verhältnis von Völkern. Individuell fremd hingegen konnte man, wie der Blick auf die Anfänge der griechischen Geschichte gezeigt hat, auch schon sein, als es die Barbaren-Typologie noch nicht gab.
4. Griechen und Barbaren
Das 5. Jahrhundert v. Chr. war die »klassische« Zeit der Griechen. Hier vollbrachten sie jene viel bestaunten Höchstleistungen in Politik, Kultur und Wissenschaft, die ihnen den bis heute anhaltenden und niemals verblassenden Ruf der ersten großen Zivilisation Europas einbrachten. Sich mit den Griechen zu befassen, schließt automatisch die Verpflichtung ein, sie zu bewundern. Dafür sorgten in der Neuzeit berühmte Antikenfreunde wie der Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann, der im 18. Jahrhundert mit Bezug auf die Kunst der Griechen das eindrucksvolle Bild der »edlen Einfalt und stillen Größe« prägte – eine Charakterisierung, mit der die Griechen selbst allerdings wenig hätten anfangen können, sahen sie doch die im Übrigen original bunten Kunstwerke nicht als überzeitlich-entrückte Artefakte, sondern als hoch lebendige, auch politisch kontextualisierte Gegenstände an. Aber da die Griechen nun einmal als vorbildlich galten, wurde diese exzeptionelle Position auch auf viele andere Lebensbereiche ausgedehnt.
Die Griechen waren politisch vorbildlich: Sie waren es, die die erste Demokratie der Weltgeschichte gründeten, im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. in Athen. Während alle anderen Staaten und Völker von Monarchen oder Adligen regiert wurden, bestimmte in Athen das Volk – allerdings mit Ausnahme der Frauen, Sklaven und auch der Fremden, die keine Mitwirkungsrechte hatten. Die Griechen waren philosophisch vorbildlich: Griechische Gelehrte machten sich tiefschürfende Gedanken über Gott, die Welt, den Staat, den Menschen und hinterließen den späteren Europäern einen wahren Schatz an Ideen, Gedanken, Prinzipien, Impulsen. Die Griechen waren literarisch vorbildlich: Im alten Griechenland entstanden unsterbliche Werke, Tragödien wie Komödien, Epen, Gedichte, Dramen. Die Griechen waren architektonisch vorbildlich: Ihre Architekten setzten mit ihren genialen Bauwerken Maßstäbe – Tempel, Gymnasien, Stadien, Marktplätze, Wohngebäude. Noch heute kann man an vielen Orten diese Meisterleistungen bewundern.
Die Griechen haben sich diese Wertschätzung natürlich auch ehrlich und redlich verdient. Sie waren sich ihrer Bedeutung und ihrer Qualitäten bewusst. Sie wussten, wie gut sie waren, und entwickelten ein an Arroganz grenzendes Selbstbewusstsein, dass in der Vorstellung gipfelte, es gebe kein anderes Volk und keine andere Kultur auf der Welt, die es mit ihnen aufnehmen könne. Eine solche Haltung ist, wie man zugeben muss, grundsätzlich nicht geeignet, anderen Völkern, Kulturen, Nationen mit Respekt und Achtung zu begegnen, ihre Leistungen und Errungenschaften zu schätzen und zu würdigen.
Das war bei den Griechen nicht immer so gewesen. In der Frühzeit waren sie anders gestrickt. Als sie die Bühne der großen Geschichte betraten, waren sie neugierig und lernwillig. Sie gingen mit offenen Augen in die Welt hinaus, begierig zu erfahren, wie die Welt funktionierte und wie die Welt beschaffen war. Insbesondere hatten es ihnen die hochentwickelten Kulturen des Orients angetan – in Ägypten, Anatolien, Mesopotamien. Ex oriente СКАЧАТЬ