Название: Fremde und Fremdsein in der Antike
Автор: Holger Sonnabend
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783843806756
isbn:
Herodot 7,35
Das griechische Perserbild war natürlich mehr Propaganda als Realität, doch geeignet, den Führungsanspruch Athens als Garant für Sicherheit vor den Persern zu untermauern. Wir gegen die Barbaren, Freiheit gegen Despotie, lautete die nun politisch korrekte, antithetische Devise. Die persischen Barbaren sind gefährlich, zu dekadent, wir haben die Verpflichtung, gegen sie unsere Freiheit zu verteidigen. Ab jetzt hatten die Perser keine Chance mehr, unvoreingenommen betrachtet zu werden. Sie kamen in eine Ablage mit der Aufschrift »dekadente, versklavte Barbaren«. Der Barbarenbegriff hatte damit eine neue Dimension erreicht. Bis dahin galt er als Synonym für Andersartigkeit, in sprachlicher, aber auch in kultureller Hinsicht. Durch die Kriege der Griechen gegen die Perser und vor allem den Umgang der Griechen mit den Kriegen gegen die Perser wurde der Barbar politisiert.
»Dass Griechen über Barbaren herrschen, ist recht und billig, nicht aber Barbaren über Griechen. Die einen nämlich sind Sklaven, die anderen Freie.«
So sprach im 4. Jahrhundert v. Chr. der berühmte griechische Universalgelehrte Aristoteles (Politik 1252 b8). Er formulierte damit kurz und knapp die Konsequenz aus einer Lehre, die nachweisen sollte, dass die Menschen nicht alle gleich seien. Um 430 v. Chr. erschien unter dem Namen des berühmten Arztes Hippokrates – aber sicher nicht aus seiner eigenen Feder – eine Schrift über den Einfluss von Klima und Umwelt auf die Konstitution und die Mentalität der Menschen. Der Autor leitete die von ihm postulierte Verschiedenheit der Völker von dem Klima und den relevanten Umweltfaktoren in den jeweiligen Regionen der Welt ab. Das Klima in Europa schwanke zwischen Hitze und Kälte. Daraus resultiere ein robuster Körper, geistige Beweglichkeit, Tapferkeit und Freiheitsliebe. Das Klima in Asien sei von einer großen Gleichförmigkeit gekennzeichnet. Weil es keine Schwankungen zeige, seien die Menschen schlaff, träge, ängstlich und daher auch bereit, sich Despoten zu unterwerfen. Diese Theorie war politisch höchst willkommen. Nun hatte man den »wissenschaftlichen« Beweis, dass Europäer den Asiaten überlegen waren. Freie Europäer befehlen, geknechtete Asiaten gehorchen.
Aristoteles entwickelte diese Lehre weiter (1327 b21 ff.), indem er eine Grenzlinie durch Europa zog. Menschen im Norden Europas seien mutig, aber hätten keinen Sinn für Geist und Kunst. Sie verfügten nicht über das Talent, ihre Nachbarn zu beherrschen. Die Menschen in Asien seien intelligent und hätten künstlerische Begabung, aber sie seien furchtsam und lebten daher in ständiger Sklaverei.
Und was ist mit den Griechen? Sie leben genau in der Mitte zwischen den Nordeuropäern und Asiaten. Sie teilen alle Vorzüge und sind frei von allen Nachteilen. Mutig, intelligent, befähigt zu Staatlichkeit und zum Herrschen. Die Römer haben diese Lehre später übernommen – nur mit dem Unterschied, dass sie sich selbst als Maß aller Dinge sahen und die Griechen in die zweite Reihe versetzten.
Wer sich gegenüber den Persern freundlich zeigte, riskierte, in den Verdacht der Kollaboration und des Abfalls von griechischen Werten zu geraten. Die Griechen sprachen in diesem Fall von Medismos – der Hinwendung zu den Sitten der Meder, wie die Perser alternativ genannt wurden. In der Realität schätzten viele aristokratische Griechen den ausschweifenden, repräsentativen Lebensstil der persischen Oberschichten und versuchten, diesem nachzueifern. Dem Spartaner Pausanias wurde vorgeworfen, sich persisch zu kleiden und mit einer persischen Leibgarde zu umgeben. Er soll sogar dem persischen Großkönig angeboten haben, ihm die Herrschaft über die Griechen zu verschaffen, wenn er ihm seine Tochter zur Frau gebe.
Dieser Vorwurf war unberechtigt. Allem Anschein nach war Pausanias einigen seiner griechischen Gegner zu mächtig und einflussreich geworden, sodass sie eine Intrige starteten. Dass sie bei dem Versuch, ihn zu diskreditieren, gerade in die Schublade »Perserfreund« griffen, spricht aber Bände, was die Haltung zu den Persern während der Perserkriege und nach den Perserkriegen angeht. Der Begriff »Perser« war zu einem politischen Schimpfwort geworden.
Dass es in der Realität auch anders aussehen konnte, beweist eine wirklich schöne Episode, von der der griechische Historiker Xenophon berichtet (4,1,39). Sie handelt von dem spartanischen König Agesilaos und einem jungen persischen Adligen. Sie spielt gut hundert Jahre später, zu Beginn des 4. Jahrhunderts v. Chr., als Agesilaos militärische und diplomatische Aktionen in Kleinasien durchführte. Einmal traf er mit dem persischen Statthalter Pharnabazos zu einer Besprechung zusammen. Als das Gespräch beendet war, geschah etwas Unerwartetes:
»Pharnabazos bestieg sein Pferd und ritt davon. Aber sein Sohn, den er von der Parapita hatte, noch jugendlich und schön, blieb zurück und lief auf Agesilaos zu mit den Worten:
›Agesilaos, ich mache dich zu meinem Gastfreund.‹
›Und ich nehme es an.‹
›Denke also daran‹, sagte er.
Und darauf gab er seine Lanze – er hatte eine sehr schöne – dem Agesilaos. Der nahm sie an, zog den wunderschönen Schmuck ab, der an dem Pferd seines Schreibers Idaios angebracht war, und reichte ihm den als Gegengeschenk. Da sprang der junge Mann auf sein Pferd und jagte dem Vater hinterher.«
So harmonisch und freundschaftlich verliefen die Kontakte zwischen Griechen und Persern aber nur im Ausnahmefall. Gastfreundschaften dieser Art, durch ritualisiertes Handeln wie den Austausch von Geschenken begründet, schlossen die griechischen Eliten eher untereinander. Die meisten griechischen Spitzenpolitiker verfügten über ein breites Netzwerk persönlicher Kontakte zu Führungspersonen in anderen griechischen Stadtstaaten. Aber eine Freundschaft mit einem Perser war doch etwas anderes – zumal in Zeiten, in denen das politische Klima zwischen Griechenland und Persien sich dem Tiefpunkt näherte.
Auch Herodot konnte oder wollte sich der nach den Perserkriegen politisch geforderten Barbaren-Interpretation nicht entziehen. In der jüngeren Forschung hat man viel Energie in das Bestreben investiert, ihn zu einer weltoffenen Ikone und einem von Vorurteilen freien, global denkenden Kosmopoliten zu stilisieren. Richtig daran ist, dass er sich mehr als andere für fremde Völker, deren Sitten, Gebräuche, Lebensformen interessierte. Um sie kennenzulernen, unternahm er viele Reisen. So hat er in dieser Hinsicht auch einige Informationen über die Perser zusammengetragen und präsentiert sie seinem griechischen Publikum gerne und ausführlich (1,133–136).
Banales …
»Unter allen Tagen hält nach dem Brauch ein jeder den besonders in Ehren, an dem er geboren ist. An ihm muss ein reicheres Mahl als gewöhnlich aufgetragen werden. Da lassen die Reichen auftragen Rind und Pferd und Kamel und Esel, im Stück im Ofen gebraten, die Armen aber tragen kleines Vieh auf. Speisen aus Getreide sind wenig im Gebrauch, desto mehr Nachspeisen, die nacheinander vorgesetzt werden. Deshalb sagen die Perser auch, die Griechen müssten hungrig sein, wenn sie mit der Hauptspeise Schluss machten, weil ihnen ja nichts Ordentliches mehr vorgesetzt werde. Setzte man ihnen was vor, würden sie kaum Schluss machen mit dem Essen.«
… wechselt darin mit Erstaunlichem:
»Es ist ihre Gewohnheit, die ernstesten Angelegenheiten in betrunkenem СКАЧАТЬ