Название: Tore zur Freiheit
Автор: Andrea Dinkel-Tischendorf
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783964420077
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Die drei Sprachen: Englisch durfte ich mir während meiner Zeit in Florida aneignen, und naja, mein Französisch ist gegangen, wie es gekommen ist. Aber auch das ist nicht tragisch, und schließlich bin ich noch nicht zu alt, um eine neue Sprache zu lernen. Okay, auf meinem Zettel stand: bis 30 …, aber: welche Bedeutung hat das schon … man muss ja nicht immer im ICE fahren!
Endlich finde ich Zeit zum Malen. Kreativ und somit schöpferisch tätig sein zu können und zu dürfen, liegt in der Natur des Menschen; es sind Gottesgeschenke an uns. Dieser Gabe Raum zu geben und meiner Seele trotz der vielen Arbeit Zeit zu schenken, ist eine bedeutungsvolle Aufgabe, derer ich mir bewusst bin.
An Heiligabend werde ich 46 Jahre alt und während ich mein Leben Revue passiere, denke ich an Mayas Worte im Jahr 2008, als ich Volker kennenlernte, zurück. Mit dem Hinweis auf diese Beziehung gab sie mir zu bedenken: »Wenn du es jetzt nicht schaffst, schaffst du es nie!« Merkwürdig, dass ich gerade jetzt daran denke.
Es wird mir klar, dass sie die Liebe und das Leben meinte. Ich bin mir sicher, dass sie mit ihrem durchdringenden Blick und ihren ungewohnt strengen Worten eine Anspielung auf die damals nicht vorhandene Wertschätzung von Liebe und Leben machte. Meine kluge Freundin, die mit ihrer Ehrlichkeit und Klarheit und vor allem ihrer Liebe mein Leben so reich beschenkt hat. Jetzt fühle ich sie, die Dankbarkeit und Wertschätzung, ohne die sich ein Mensch nicht als glücklicher Mensch bezeichnen kann.
Bevor ich meine alte Heimat verlassen habe, um mit meinem Mann an der Grenze von Österreich und Deutschland zu leben, gab es noch einen Wehmutstropfen: Ich musste Abschied nehmen von Gina, meinem kleinen Dackelmischlingsmädchen, meiner geliebten und treuesten Weggefährtin, und auch diese Erinnerung kehrt zurück:
Ich sitze am Schreibtisch in meiner alten Wohnung und schaue mir Häuser unserer jetzigen Heimat an. Fünf Jahre suchen wir nun schon nach einem gemeinsamen Domizil. Als ich das Haus im Internet finde, das wir heute bewohnen, kehrt die Vorahnung zurück, die ich einige Monate zuvor spürte. Damals wusste ich: »Wenn ich Richtung Österreich ziehe, wird es Gina nicht mehr geben!« Ein Stich fährt mir ins Herz, und mit Schrecken und Tränen in den Augen betrachte ich meine innig geliebte Hündin, die unter meinem Schreibtisch sitzt. »Ach, Gina!«, seufze ich und blicke in ihre warmen, braunen Augen, die mich ebenso traurig ansehen. Da sie kein gewöhnlicher Hund ist, weiß sie natürlich wie ich Bescheid.
Es kam wie vorhergesehen: Im Sommer 2012 zogen wir ein, im Februar zuvor verstarb meine engste Begleiterin seit sieben Jahren. Ohne ihre Freundschaft, Loyalität und ihre großzügige Liebe hätte ich es nicht bis hierher geschafft. Jetzt ist sie im Himmel, wo wir uns eines Tages wiedersehen, und zwischenzeitlich steht sie mir immer noch treu zur Seite ‒ als Engel im wahrsten Sinne des Wortes. Ab und an sehe oder spüre ich sie, und hin und wieder macht sie sich über unsere neue Hündin Amira bemerkbar. Auch bei Botschaftsabenden, wenn verstorbene Tiere Kontakt aufnehmen, ist sie meist diejenige, die mich zu ihren trauernden Besitzern führt.
Gina kündigte mir Amira an, die gemäß meinem Wunsch, ein wirklicher Hund zu sein, auf wundersamen Weg zu uns kam. Kurz nachdem Gina verstarb und ich hierher zog, hörte ich bei einem Spaziergang plötzlich ihre Stimme in mir: »Eine neue Hündin wird kommen! Sie wird, wie ich, eine Dackelmischlingshündin sein und durch eine österreichische Freundin zu euch geführt. Ihr Name ist Mia!«
Ich war mir nicht sicher, ob ich richtig hörte … Mia oder Mira? »Na, egal, wenn es so ist, werde ich sie Amira nennen.« Das bedeutet auf Arabisch ›Prinzessin‹ und ist die weibliche Form von Amir, einem indischen Yogi, der im Himalaya lebt und dessen Stimme ich erstmals 2008 wahrnahm.
»Sie kommt früher als du denkst ... noch vor eurem Indienurlaub!«
»Oh weh!«, dachte ich, »Wie soll das funktionieren?« Es kam 1:1 genauso, wie es mir Gina angekündigt hatte. Selbst der Name des Tieres war der gleiche.
Nun, im 47. Lebensjahr angekommen, beginne ich meine persönliche Aufgabe anzugehen: Neben meiner Arbeit, die ich liebe, auch zu leben und mich selbst genauso wichtig zu nehmen wie jeden anderen. Kaum zu glauben, dass ich hierfür 46 Jahre gebraucht habe, um das zu tun, was ich mir persönlich vorgenommen habe, oder besser gesagt: meine Seele!
Frühe Kindheit
Meine Eltern waren noch sehr jung, als ich in ihr Leben trat, und man kann nicht behaupten, dass ich eine unbeschwerte Kindheit hatte. Meine Mutter war Alkoholikerin, eine sogenannte Quartalstrinkerin, die sich seit ihrem vierzehnten Lebensjahr immer wieder aus dem realen Leben in den Alkohol flüchtete. Häufig saß meine Oma stundenlang am Fenster, um auf ihren Mann, ihre Tochter und ihren Sohn zu warten. Mein Halbonkel war der Grund dafür, dass meine Mutter alkoholabhängig wurde. Jahre des Missbrauchs durch ihn und seine Freunde hatten sie beinahe zerstört; ein normales Leben war nicht mehr möglich.
Angefangen hatte der Missbrauch bereits mit elf Jahren, als ein ›Freund‹ der Familie sie erstmals vergewaltigte. Ich weiß noch, dass ich mir Kinderbilder meiner Mutter ansah, speziell ihr Konfirmationsfoto, und dabei dachte: »Wie traurig sie doch ausschaut!«
Mein Opa, ein warmherziger, kluger und sensibler Mann, entdeckte meine Oma beim Spaziergang, als sie damit beschäftigt war, den Garten umzugraben und alle anderen im Haus feierten. »Schön blöd sind Sie!«, sprach er meine Oma an. »Da drinnen wird gefeiert, und Sie sind mit Umgraben beschäftigt!« Er brachte damit zum Ausdruck, was allen Angehörigen der weiblichen Ahnenreihe meiner Großmutter zu eigen war, und das galt auch für mich: Arbeit bekam im Leben absolute Priorität.
Als ich dreizehn Jahre alt war, sprach meine Mutter erstmalig über ihre traurige Vergangenheit. Anlass war ein Übergriff auf mich selbst, den ich glücklicherweise verhindern konnte. Ein Polizist hatte sich, während ich schlief, an mich herangemacht. Eine Freundin der Familie, die aufgrund eines stationären Aufenthalts meiner Mutter im Krankenhaus auf meine jüngere Schwester und mich aufpasste, brachte ihn mit ins Haus. Als ich spürte, dass mich etwas am Körper berührte und ich deshalb aus dem Schlaf gerissen wurde, um sogleich in ein fremdes Gesicht zu blicken, schrie ich im Schock nach Leibeskräften aus und schlug den Mann damit in die Flucht.
Meine Mutter spürte im Krankenhaus, dass etwas vorgefallen sein musste, und nachdem ich widerwillig aussprach, was geschehen war, packte sie kurzerhand ihre Sachen und eilte vorzeitig nach Hause. Dort angekommen, erzählte sie mir ihre deprimierende Geschichte, die mich erschütterte und mir die Tränen in die Augen trieb.
Nach einer langen Pause, in der ich ihr voller Mitgefühl den Arm streichelte, fragte ich sie: »Warum hast du Oma nichts davon gesagt?«
»Oh, das habe ich versucht. Aber sie hat mir nicht geglaubt, und bevor ich zu Ende reden konnte, hat sie mich als Spinnerin abgetan. Kurz darauf schickte sie mich zu Verwandten an die Ostsee. ›Zwangsausweisung‹! Ich habe nie wieder versucht, mit ihr darüber zu reden.« Meine Oma und meine Mutter hatten deshalb ihr Leben lang ein schwieriges Verhältnis.
Ich denke, dass ich in meiner medialen Tätigkeit deshalb auch immer wieder vielen Frauen begegne, die das gleiche Schicksal wie meine Mutter teilen, weil ich durch diese Erfahrungen sensitive Antennen für das Erkennen von Missbrauch und Alkoholismus entwickelt habe. Und natürlich, weil ich am eigenen Leib erlebt habe, was dies für den Betreffenden selbst sowie für seine Angehörigen bedeutet.
Mein Vater hatte eine gleichermaßen schwierige Kindheit. Bereits als Baby wurde er zur Adoption freigegeben. Er kam in eine Pflegefamilie, СКАЧАТЬ