Tod eines Clowns. Petra Gabriel
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Название: Tod eines Clowns

Автор: Petra Gabriel

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

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isbn: 9783955520250

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СКАЧАТЬ Weise, das musste der Neid ihm lassen. Er hatte im Vorfeld schon einmal heimlich mit den Westalliierten gesprochen, ganz unverbindlich. Als die dann diskret durchblicken ließen, dass sie auch mal wegschauen könnten, ließ er sofort die Wagen umstreichen, so dass man den Namen Barlay nicht mehr lesen konnte, und schmuggelte sie auf verschiedenen Wegen über die innerstädtische Grenze. Zwei dieser Wagen wurden zum Beispiel hinter einen Traktor gespannt. An der Sektorengrenze erfuhren die überaus aufmerksamen Volkspolizisten zu ihrer Beruhigung, dass es sich um Wagen von West-Berliner Schaustellern handle, die man zurückbringen wolle. Damals konnten Schausteller aus dem Westen noch in allen vier Sektoren gastieren. Ein anderes Mal argumentierte Brumbach auf seine übliche joviale Weise und daher besonders einleuchtend, dass man nur deshalb West-Berlin durchqueren wolle, um schneller wieder am anderen Ende Berlins, in der Heimat der Werktätigen, zu sein. Auf Westgebiet wurde dann einer der beiden Wagen ausgehängt – und Brumbach fuhr mit nur einer Karre zurück in die Friedrichstraße, dann natürlich über einen anderen Sektorenübergang.

      Von West-Berlin aus gelangten Tiere und Material, ebenfalls mit diskreter Unterstützung der Westalliierten, nach Helmstedt: 90 Wagen, 35 Pferde sowie Tiger, Bären und andere Tiere. Anschließend ging die Reise in die kleine Industriestadt Eschweiler weiter, östlich von Aachen. In Eschweiler, auf dem dortigen Kasernengelände, war das Winterquartier der Republikflüchtlinge eingerichtet worden. Dort ging Harry Barlay letztendlich das Geld aus.

      Holger Gericke arbeitete damals schon bei Barlay und wusste, was vor sich ging. Er selbst wollte aber in Ost-Berlin bleiben. Er glaubte an eine Zukunft des Zirkus Barlay, war sich sicher, dass es wieder aufwärts gehe, dass der «Restzirkus» an der Friedrichstraße eine gute Überlebenschance habe. Heute fragte er sich, wie er so naiv hatte sein können.

      Im Osten zurückgeblieben war nämlich ein ausgebluteter Zirkus, der zwar über einen Bau an der Friedrichstraße verfügte, ansonsten aber nur noch über wenige, meist kranke Tiere und schrottreifes Material – ein Schatten seiner einstigen Größe. Der Zirkus kam einfach nicht wieder auf die Beine, trotz wechselnder Direktoren und West-Artisten machte er ständig Verluste. Das neue Chapiteau – in Grün, der Farbe der Hoffnung –, die neuen Stallzelte, die zunehmende Zahl der neugestrichenen Wagen, all das half nichts: Barlay schrieb weiter rote Zahlen. Gericke selbst versuchte sich an einer neuen Dressur, einer kleineren, mit Tieren, die ihre besten Zeiten längst hinter sich hatten.

      Der Magistrat war es schließlich leid, die finanziellen Löcher zu stopfen. So wurde der Zirkus Barlay kurzerhand zum volkseigenen Betrieb umgewandelt. Das weckte neue Hoffnungen, mobilisierte noch einmal Kräfte. Und für eine kurze Zeit wurde es tatsächlich besser.

      Holger Gericke verzog den Mund und drehte den Kopf, schaute zum Fenster der Elektrischen hinaus. Er wollte nicht, dass seine Frau Anita ihm ansah, worüber er nachdachte. Er war der Mann, er hatte Zuversicht auszustrahlen – und gab sich deshalb gelassen. Doch seine Gedanken kreisten voller Wehmut um die vergangenen guten Tage. Es brach ihm beinahe das Herz bei der Erinnerung an das, was sie verloren hatten.

      Gustav Brumbach hatte sich nach der Flucht von Barlay getrennt und einen eigenen Zirkus aufgemacht. Holger Gericke hatte gehört, dass auch dieser vor dem Aus stand. Das konnte er kaum glauben. Vielleicht wollte er es auch einfach nicht glauben. Während er seine eigene Flucht plante, hatte er insgeheim gehofft, bei Barlays früherem Kompagnon ein Engagement als Dompteur zu bekommen. Schließlich hatte Brumbach es ihm versprochen. «Sie sind einer der Besten, die ich kenne, Gericke. Wann immer Sie sich entschließen, uns nachzuziehen, kommen Sie zu mir! In meinem Zirkus gibt es immer einen Platz für einen guten Dompteur», hatte er getönt.

      Und dann, vor einigen Tagen, war auch noch der Betriebsleiter des VEB Zentral-Zirkus, Harry Michel, in den Westen geflüchtet. Am 13. März. Holger Gericke würde dieses Datum nicht vergessen. Er verstand Michel sogar. Dieser hatte sich bis zuletzt gegen die Zentralisierung gewehrt. Seine Flucht war ein herber Schlag für Gericke, denn Michel war sein letzter Unterstützer gewesen, einer, der seinen eigenen Kopf hatte. Als ihm die Stellung als Pressechef beim Circus Busch Berlin in Aussicht gestellt wurde, ging er. Mit Werner Weber, Michels Stellvertreter, kam Gericke einfach nicht klar.

      Da hatten er und seine Frau gewusst, dass auch für sie der Zeitpunkt gekommen war, ihr Zuhause zu verlassen und in den Westen zu gehen.

      Müller hatte ihn sofort nach Michels Flucht zu sich zitiert und ihm einen gehörigen Warnschuss verpasst. Anfangs hatte Gericke nur mit halbem Ohr hingehört. Hauptsache, er nickte an den richtigen Stellen. Jeder wusste, dass Müller einer war, der im Dienste der Staatssicherheit große Ohren machte. Doch dann hatte er gesagt: «Gericke, denken Sie nicht mal an Flucht! Sie würden es bereuen. Barlay hat es bereut, und Brumbach wird es bereuen. Ebenso wie Michel. Sie werden sehen, der bleibt nicht lange Pressechef bei Busch. Auch in Westdeutschland erkennen sie Verräter. Unser Land blutet aus. Zu viele gute Leute gehen, angezogen von den Verlockungen eines ausbeuterischen, kapitalistischen Systems. Statt beim Wiederaufbau unseres Landes zu helfen, laufen sie feige davon. Geben Sie uns keinen Anlass zu glauben, dass Sie solche Pläne hegen! Gericke, ich spreche zu Ihnen als Freund. Seit dem Zusammenschluss von Barlay und Busch zum VEB Zentral-Zirkus im Januar hat sich vieles geändert. Ich rede jetzt mal Klartext: Sie sind ein guter Artist, wir wollen Sie nicht verlieren. Und was ich über Ihren Sohn höre, klingt auch sehr vielversprechend. Ich habe erst neulich mit einem Freund geredet, der im Gebäude des Kulturzentrums sitzt. Der behauptet, der Leiter der Staatlichen Artistenschule habe Thomas in den höchsten Tönen gelobt. Gericke, die Mutter Ihrer Frau wird ohnehin bald sterben. Soweit ich weiß, hat sie Krebs. So hart das vielleicht klingen mag, aber die Zukunft Ihres Sohnes ist doch wichtiger als eine alte Frau, die nicht mehr lange zu leben hat.»

      Es war absurd. So richtig und so falsch zugleich. Aber wie auch immer die Situation sein mochte – Anita würde ihre Mutter nie im Stich lassen. Er wusste das und hatte sich sofort heimlich Arbeit im Westen gesucht. Aus dem einst gefeierten Dompteur einer gemischten Raubtiergruppe würde ein Pausenclown und Stallarbeiter auf Probe bei Reiz werden. Der kleine Familienzirkus hatte sich draußen in Kladow ein Winterquartier in einem alten Bauernhof eingerichtet und tingelte das ganze Jahr über durch die West-Berliner Bezirke, um Vorführungen zu geben – mit einem Zweimastzelt, einer kleinen Manege, einem Pony, Kamelen, einem Lama, einer Hundedressur, Clowns, Jonglagen und einer Seiltänzerin, die ihre besten Jahre bereits hinter sich hatte und viel Schminke benötigte, um jung zu wirken. Dann war da noch der alte Braunbär mit den grauen Haaren an der Schnauze, der in seinem Käfig sehnsüchtig in die Ferne starrte oder rhythmisch den Kopf hin und her schwang, um den Hals eine Eisenkette, die an einem Betonklotz befestigt war.

      Bei Reiz packte jeder überall mit an. Viel Geld gab es nicht. So hatte sich Gericke für ein paar Stunden die Woche eine Stelle als Aushilfstierpfleger im Zoologischen Garten verschafft.

      Und nun saßen sie hier in der Elektrischen. Ob seine Tiere im Zentral-Zirkus ihn schon vermissten? Ein wenig vielleicht. Doch bald hätten sie ihn vergessen. Der bereits lendenlahme Leopard, die beiden alten Löwinnen und der Bär hatten stets fleißig mitgemacht – und er ließ sie für eine einzige Hoffnung im Stich: dass in West-Berlin nicht die politische Überzeugung ausschlaggebend war, sondern das, was ein Mensch leistete, und dass man für sein Geld auch etwas bekam. Vielleicht würde er ja irgendwann wieder in den Raubtierkäfig zurückkehren können und einen Zirkus finden, der ihm eine neue Chance gab. Dieser Wunsch trieb ihn an. Immerhin durfte er im Zoo aufgrund seiner Erfahrungen bei den Raubtieren mithelfen.

      Gericke schaute wieder zu seiner Familie. Sie hatten in der Elektrischen sogar alle vier Sitzplätze beieinander bekommen. Jetzt mussten sie nur noch diese Fahrt, nur noch eine einzige Kontrolle überstehen, dann waren sie West-Berliner. Er beugte sich vor, nahm die Hand seiner Frau Anita und küsste sie.

      In ihren Augen schimmerten Tränen, doch sie hielt sie zurück und lächelte ihrem Mann erneut zu. «Wir konnten nichts anderes tun, Holger. Es ist schon richtig so. Wenn wir mal alt sind, wollen wir bestimmt auch nicht, dass unsere СКАЧАТЬ