Название: Kaltfront
Автор: Petra Gabriel
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955520236
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«Glaub ich nicht. Höchstens die mit den Bananen und Apfelsinen oder den Kartoffeln, weil die kälteempfindlich sind. Komm jetzt, du alter Nieselpriem!», sagte Klara betont fröhlich. Doch in ihrer Stimme war ein Unterton, der Kappe klarmachte, dass sie in dieser Angelegenheit nicht mit sich spaßen ließ.
Er versuchte es dennoch und verwies auf den Wetterbericht des Instituts für Meteorologie der Freien Universität im Telegraf. Die Karte mit den Hochs und Tiefs sowie den Isobaren prangte direkt über der Anzeige von Wertheim zum Winterschlussverkauf: Für unsere Stammkunden die richtige Lösung gefunden.
Kappe ignorierte Wertheim. Er las laut vor: «Unverändert liegt das Zentrum des Kälteblocks Xanthos über Nordskandinavien. Dabei rückt jetzt der Kältepol selbst, der ganz Mittel- und Westrussland mit Extremtemperaturen bis unter minus 40 Grad heimsucht, direkt auf Mitteleuropa vor und wird uns heute oder morgen überqueren. Glücklicherweise wird der sibirischen Luft aber über dem schneefreien Boden in der Umgebung Berlins auch einige Wärme zugeführt, so dass hier die Tiefsttemperaturen nicht diesen Grad erreichen werden.»
«Na siehste!», sagte Klara. «Außerdem scheint draußen die Sonne.»
«Aber hier, hier steht es», fuhr Kappe in einem letzten verzweifelten Versuch fort, den Gang in die Kälte doch noch abzuwenden. «Vorhersage für Berlin und die weitere Umgebung bis Donnerstag früh: Bei anhaltend stark böigem Ost- bis Nordwind noch fortschreitende Frostverschärfung und in der weiteren Umgebung sogar bis minus 25 Grad und selbst Tagestemperaturen trotz Sonnenscheins nicht viel höher als minus 20 Grad. Weitere Aussichten: Auch nach dem jetzt zu erwartenden Höhepunkt der Kältewelle nur geringe Frostveränderung.»
«Dann sollten wir schnellstens los und einkaufen, ehe es noch kälter wird. Auf dem Wochenmarkt am Rathaus Steglitz gibt es nun mal einfach die Bücklinge, die du am liebsten magst, Kappe.»
Wenn Klara ihn Kappe nannte statt Hermann, war jeder Widerspruch zwecklos. Das wusste er aus langjähriger Eheerfahrung. Und so fanden sich Hermann und Klara Kappe eine Stunde später bei minus 15 Grad auf dem Wochenmarkt am Steglitzer Rathaus wieder, vermummt wie die Teilnehmer einer Polarexpedition.
Die Eierhändlerin war da und fror ebenso erbärmlich wie Kappe, während Klara das alles nichts auszumachen schien. «Dienst am Kunden», erklärte die Eierfrau auf seine knurrige Nachfrage, warum sie diese ungemütliche Situation auf sich nehme. Klara strahlte sie freundlich an und kaufte zehn Eier.
Auch der Knoblauch- und Majoranspezialist war gekommen. Er wärmte seine Hände an einem unter der Markise baumelnden Konservendosen-Holzkohleöfchen. Kappe sah ihm neidvoll zu. Dann hustete er betont laut. Der Kräutermann hatte auch Hustenbonbons. Klara kaufte ihm welche ab und zog Kappe dann vorbei an den Ständen der Rosinen-, Nudel-, Wollsocken- und Bohnerwachsbranche. Der weiße Käse, das Gewürzgurkenwasser, die Sülze, selbst das Salatöl waren gefroren, sah Kappe und tat sich selbst leid. Die Händler standen bibbernd hinter ihren Tischen, teils in Holz-, teils in Filzschuhen, und trösteten sich über die ausbleibende Kundschaft mit heißem Kaffee aus Thermosflaschen hinweg. Der einzige Stand, der gute Geschäfte machte, war der mit den heißen Würstchen und dem Glühwein.
Doch Klara strebte auch daran vorbei zu ihrem Lieblingsfischstand. «Kann ich zwei Bücklinge mit Rogen haben?»
«Welche hätten Se denn gerne, Jnädige?», nuschelte die Fischfrau hinter ihrem Schal hervor.
Klara Kappe schaute sich alle genau an. «Den da. Und den.»
Die Fischfrau nickte, legte die Fische auf Zeitungspapier, schlug sie aber noch nicht ein, sondern streckte sie Klara entgegen. «Rogen in Hülle und Fülle. Wolln Se mal drückn?»
Klaras prüfender Daumendruck scheiterte am Glatteis auf den Bücklingsbäuchen, die Finger rutschten ab. Sie hatte ein Einsehen. «Ich nehm sie», erklärte sie. Sodann sagte sie in Richtung ihres Ehemanns: «Lass uns heimgehen!»
Kappe war sehr erleichtert und erinnerte sein Eheweib lieber nicht daran, dass sie eigentlich noch zu Wertheim gewollt hatte. Er hasste die Drängelei und das Einkaufen in Kleidergeschäften, erst recht, wenn er so dick vermummelt wie jetzt in die Wärme eines Ladens sollte. Im Schlussverkauf an den Wühltischen war es immer besonders schlimm.
Seine Erleichterung währte nicht lange. Als sie vor dem Haus an der Wartburgstraße ankamen, in dem ihre Wohnung lag, trafen sie Otto vor der Haustür an.
«Was machst du denn hier?», nuschelte Kappe mit halberfrorenen Lippen und schaute seinen Neffen erstaunt an.
«Ich brauch deine Hilfe, Onkel Hermann. Dringend!»
«So, so», meinte Hermann Kappe.
«Das können wir bereden, wenn wir in der Wohnung sind», fuhr Klara dazwischen. «Im Warmen.»
«Ach nee, guck an, jetzt frierst du auch!», konstatierte Kappe nicht ohne eine gewisse Befriedigung. «Dann lass uns mal nach oben gehen.» Oben, das bedeutete dritter Stock rechts.
«Ich bin suspendiert», war das Erste, was Otto sagte, nachdem sie sich aus ihren Winterklamotten geschält hatten und er seinem Onkel in der Stube gegenübersaß. Er auf dem Sofa, Hermann Kappe in seinem Lieblingssessel. Klara werkelte in der Küche. Sie hatte den Männern einen heißen Grog versprochen.
Kappe traute seinen Ohren nicht. «Wie bitte?»
«Du hast richtig gehört: Ich bin suspendiert.»
«Aber um Himmels willen, Junge, was ist denn passiert?»
Hermann Kappe nannte seinen Neffen noch immer Junge, obwohl der inzwischen auch schon Mitte vierzig war. Otto hatte mit 25 Jahren als Kriminalassistent bei der Kriminalpolizei angefangen, damals noch am Alexanderplatz. Dort gab es nun seit 1948 ein Polizeipräsidium Ost: in der Neuen Königstraße 27 bis 37, im ehemaligen Karstadt-Haus. Das Präsidium West war 1951 in einen Gebäudeteil des Flughafens Tempelhof gezogen, die Adresse lautete: Tempelhofer Damm 1 bis 7, Berlin 42. Die Kriminalpolizei war noch in der Friesenstraße geblieben, doch ein Umzug nach Schöneberg stand bevor. In Hermann Kappes letzten Dienstjahren als Kriminaler hatten Onkel und Neffe Kappe zusammengearbeitet.
Hartmut, Hermann Kappes ältester Sohn, tat in der Zone Dienst und war aufgrund seiner guten Arbeit sogar schon zum Major aufgestiegen. Hermann Kappe war sich nicht sicher, ob das nun ein Grund war, stolz auf seinen Ältesten zu sein. Zumindest in dieser einen Hinsicht war er froh, seit nunmehr zwei Jahren pensioniert zu sein: Endlich arbeiteten er und sein Sohn nicht mehr für «feindliche Lager». Die Teilung Berlins hatte Vater und Sohn einander entfremdet. Das schmerzte.
Um sein Verhältnis zu Heinzi, seinem Jüngsten, stand es auch nicht zum Besten. Karl-Heinz würde wohl für immer das Sorgenkind bleiben. Der Junge war nach dem Krieg vollends in ein zwielichtiges Milieu abgerutscht. Eigentlich wusste Kappe gar nicht genau, was sein Heinzi tat, wovon er lebte, und vor allem, was er fühlte. Zwischen ihm und seinem einstigen Liebling hatten die Jahre ebenfalls eine tiefe Kluft entstehen lassen. Zurzeit verkaufte Heinzi, nach außen ganz der seriöse Geschäftsmann, Kies aus seiner Grube am Teufelsberg. Ganz so seriös schien es allerdings bei seinen Kieslieferungen an Mitglieder der Berliner Baumafia nicht zuzugehen. Jedenfalls verdiente er offenbar viel Schotter mit dem Kies. Immerhin konnte Heinzi sich eine schicke Wohnung an der Steglitzer Ahornstraße leisten.
Mit Otto war das anders, der stand ihm näher. СКАЧАТЬ