Название: Mysteriöse Museumsschätze
Автор: Reinhard Habeck
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783990404720
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Wandgemälde von lebensgroßen Höhlenlöwen in der Cauvet-Grotte (Replik im Ulmer Museum)
Geblieben ist die Faszination des Löwen. Sie zieht sich durch die ganze Geschichte des Homo sapiens und ist immer mit Macht und Königswürde verbunden. In Afrika ist der Löwe noch heute das Symbol der Häuptlingswürde. Die Magie und Stärke der Großkatze blieb auch den Eiszeitkünstlern nicht verborgen. Das bezeugen wiederum viele Höhlengemälde, die mit einer unglaublichen Perfektion an die Wand gepinselt wurden. Die prachtvollsten Meisterwerke besitzt die Grotte Chauvet in der südfranzösischen Region Auvergne-Rhône-Alpes. Mit mehr als 30.000 Jahren gelten sie als die ältesten Wandgemälde aus der Aurignacien-Ära. Das Unfassbare: Die farbenprächtigen Bildwunder haben eine dreidimensionale Wirkung, die im Spiel von Licht und Schatten die Illusion beweglicher Bilder erzeugt! Kunstexperten staunen über die angewendete Maltechnik: perspektivische Wiedergaben, naturgetreue Bewegungsabläufe, eine unglaubliche Vielfalt an komplizierten Studien, plastische Formen, niveauvolle Schattierungen mit klarem Bildaufbau. So etwas hatte man den Menschen der Eiszeit niemals zugetraut. Auf Hunderten Wandbildern sind ganze Tierherden, darunter viele Löwen, verblüffend dynamisch und lebensecht verewigt worden, so als würden sie jeden Moment aus dem Felsgestein springen.
Altersmäßig und geografisch näher im Kontext zum Löwenmenschen stehen figürliche Kunstwerke und Kopfminiaturen in Menschen- und Löwengestalt, die in den Höhlen Vogelherd und Hohle Fels gefunden wurden. Das interessanteste Relikt wurde 1979 in der Geißenklösterle-Höhle, einem Ortsteil von Blaubeuren, ausgegraben: ein geschnitztes 3,8 cm hohes und 1,4 cm breites Mammutelfenbeinplättchen. Mit dem datierten Alter von 35.000 bis 40.000 Jahren liegt es im Zeithorizont der Löwenmensch-Statuette und anderen Kleinplastiken der Schwäbischen Alb.
Die Vorderseite zeigt das Halbrelief eines menschenähnlichen Wesens, mutmaßlich ein „Adorant“, mit zum Himmel erhobenen Armen und gespreizten, unterschiedlich langen Beinen, die eine Bewegung andeuten. Der linke Arm hat – analog zur Löwenmensch-Figur – die gleichen waagrechten Linienmuster eingeritzt. War es das Amulett des Löwenmensch-Schamanen?
Auf den Längs- und Querseiten und auf der Rückseite sind geometrische Kerbreihen mit 86 punktartigen Vertiefungen zu sehen, deren Bedeutung die Archäologen vor ein Rätsel stellt. Der Astronom Dr. Michael A. Rappenglück, freier Forscher mit eigenem „Institut für interdisziplinäre Studien“ in Gilching bei München, glaubt, das Geheimnis der ungewöhnlichen Darstellung zu kennen. Er verglich die Proportionen der Menschenfigur mit der Konstellation des Sternbildes Orion im Zeitalter Aurignacien und stellte verblüffende Übereinstimmungen fest. Die Punkte auf der Rückseite der Tafel könnten gemäß dieser astro-archäologischen These eine Kalenderfunktion gehabt haben. Oder sie dienten als Mess- beziehungsweise Orientierungshilfe beim Anpeilen der Sterne. Sollte sich dieser Verdacht erhärten, wäre das außergewöhnliche Elfenbeinstück nicht nur eines der ältesten Kunstwerke der Menschheit, sondern gleichzeitig die älteste Sternenkarte der Welt! Von Schamanen wird behauptet, sie könnten in veränderten Bewusstseinszuständen zu jenseitigen Geisterwelten reisen. Auch zu den Göttern im Kosmos?
Darstellung auf der Elfenbeinplatte aus der Geißenklösterle-Höhle
Als Gott eine Frau war
Glaubt man den Archäologen, dann stellt der Löwenmensch ein Maskulinum dar. Die jüngst gefundenen und an der Statuette ergänzten Bruchstücke legen wie erwähnt diese Vermutung nahe. An der Vormachtstellung des ewig Weiblichen in der Altsteinzeit ändert das nichts. Das bezeugen kleine weibliche Plastiken, die als Venusfigurinen bezeichnet werden. Sie stellen ein urgeschichtliches Rätsel dar.
Bisher sind rund 200 Fundorte bekannt, die von Westeuropa bis ins Tausende Kilometer entfernte Sibirien reichen. Es gibt zudem zwei bekannte Sonderfälle, die wegen ihres hohen Alters aus dem Rahmen fallen. Der eine ist die 3,5 cm große „Venus von Berekhat Ram“, die 1981 von der israelischen Archäologin Naama Goren-Inbar in einer vulkanischen Schicht in Syrien entdeckt wurde. Das gute Stück ist aus rotem Tuff, lag neben Steinwerkzeugen und ähnelt einer Frauenfigur mit Kopf, Armen und Brüsten. Mikroskopische Analysen konnten bestätigen, dass der Stein von einem frühen Urmenschen mit Werkzeugen bearbeitet wurde. Das Mysteriöse: Das Kunstwerk ist laut den Untersuchungen mindestens 230.000 Jahre alt und könnte vielleicht sogar 800.000 Jahre auf dem Buckel haben. Die handwerkliche Fähigkeit, solche Artefakte herzustellen, trauen Anthropologen nur dem Homo sapiens zu. Wenn die Datierungen stimmen, wäre die Statuette bereits ein Produkt des Homo erectus, dem Vorläufer des Neandertalers! Oder der Homo sapiens ist älter als bisher angenommen und drang bereits früher in Gebiete vor, als die Lehrmeinung behauptet.
Links: die Venus von Tan-Tan
Rechts: wertvollster Schatz im Naturhistorischen Museum Wien: die Venus von Willendorf
Die andere Dame, die für Fassungslosigkeit unter Archäologen sorgt, wird „Venus von Tan-Tan“ genannt. Sie wurde 1999 in 15 Metern Tiefe unter der erodierten Oberfläche beim Fluss Draa in Marokko ausgegraben. Der Fund besteht aus Quarzit, ist sechs Zentimeter groß, hat klar ersichtliche Arme und Beine. Nur bei der Festlegung des Geschlechts hat der Betrachter Mühe. Farbpartikel, die auf der Steinfigur hinterlassen wurden, lassen darauf schließen, dass sie ursprünglich übermalt war. Umso drastischer ist auch hier der zeitliche Unterschied: Die Entstehungsepoche der „Venus von Tan-Tan“ muss vor 300.000 bis 500.000 Jahren gewesen sein! Beide Stücke könnten somit die ältesten bekannten Kunstwerke menschlich geformter Figuren sein. Doch die Mehrheit der Wissenschaftsgemeinde ziert sich, will des hohen Alters wegen die Funde nicht als Artefakte anerkennen. Sie erklären das Unerklärliche als „Pseudoartefakte“ oder „zufällige Spiele der Natur“.
Im Alter wesentlich geringer, aber in der Charakteristik vollendeter und wissenschaftlich als Werke des Homo sapiens anerkannt sind die Venusfigurinen im Alpenraum. Die niederösterreichische „Venus von Willendorf“ ist das wohl berühmteste Modell. Am 7. August 1908 kam sie bei Bauarbeiten in der Wachau zum Vorschein. Die nackte Frauenfigur besteht aus Kalkstein, ist 11 cm hoch und trägt eine eigenwillige Frisur oder Kopfbedeckung. Statt einem Gesicht sind konzentrische, waagrechte Linien rund ums Haupt modelliert. Die Arme sind hauchdünn gestaltet, während Gesäß und Brüste üppig hervorgehoben sind. Man kann es nicht verleugnen, die Willendorfer Lady ist ein altsteinzeitliches Busenwunder. Farbreste zeigen, dass die üppige Buhlschaft einst in rötlichem Ocker strahlte.
Weitere plumpere Figurinen aus Willendorf. Unfertige Relikte?
Venus vom Hohle Fels aus verschiedenen Perspektiven
Ihr Alter wird seit den 1950er-Jahren mit 25.000 Jahren angeführt, doch das Prachtweib ist älter als gedacht. Das bestätigten neue Analysen der Forscher Philip Nigst von der Universität Cambridge und Bence Viola vom Max-Planck-Institut für Anthropologie in Leipzig. Demnach ist die „Venus von Willendorf“ bereits vor 29.500 Jahren hergestellt worden. In diesem Zusammenhang interessant: Es existieren etwa 25.000 Jahre alte russische Venusfigurinen aus Awdejewo, Kostjonki und Gagarino, die in Größe, Alter und Aussehen der Willendorfer Frauenfigur verblüffend ähneln. Exemplare entdeckt man im Kunstmuseum Eremitage in St. Petersburg oder als Replik in westeuropäischen naturkundlichen Sammlungen.
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