Название: Pläne sind zum Ändern da
Автор: Dorina Kasten
Издательство: Автор
Жанр: Современная зарубежная литература
isbn: 9783961451258
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„Ja, und die Alten hatten keine Altersdemenz, sondern waren einfach nur wunderlich.“
„Stimmt“, nickte Otto, „Demenz hatten wir auch noch nicht. Die wurde erst später erfunden, nich‘, Else?“
Die lächelte verschmitzt, und Nora fragte sich, ob ihre Eltern sie gerade veralberten, als ihr Handy klingelte. Sie kramte in ihrer Tasche danach.
Es war Ralf. „Hallo, Schatz, ich wollte dir nur sagen, dass ich heute später komme. Warte nicht auf mich, es kann ein langer Abend werden. Du weißt doch, die Dienstversammlung ist heute.“ Nein, wusste sie zwar nicht, aber vielleicht hatte er es erwähnt. Nora hörte im Hintergrund lautes Muhen. Dann war er also in irgendeinem Kuhstall.
Noch bevor sie antworten konnte, raunzte Ralf genervt seinen Praktikanten an: „Meine Güte, wie oft hab ich Ihnen schon gesagt, wo Sie die Kanüle ansetzen sollen? So wird das nie was! Entschuldige, Nora, ich muss hier dringend eingreifen, dann also bis morgen. Kuss.“
Nora steckte das Handy zurück in die Tasche. Ihr stand mal wieder ein einsamer Abend bevor. Es wurde wirklich Zeit, dass sie wegkamen von diesem ganzen Stress.
„Musst du schon los?“, fragte Noras Mutter, als sie eine halbe Stunde später aufstand und nach ihrem Autoschlüssel griff. „Ja, aber du weißt doch, Mutti, dass ich nächste Woche wiederkomme.“
„Wann geht eigentlich eure Weltreise los?“ Die Frage ihrer Mutter klang etwas ängstlich.
Nora hatte sie auch schon mehrmals beantwortet. „Wenn alles klappt im Oktober. Und bevor du fragst: in sechs Monaten sind wir wieder hier.“
„Sechs Monate sind eine lange Zeit“, sagte ihre Mutter leise.
„Denn kann ick all dot sin!“ Ihr Vater wechselte ins Plattdeutsche, was in letzter Zeit öfter vorkam.
Ihre Eltern hatten miteinander immer Platt gesprochen, mit Nora und ihrer drei Jahre jüngeren Schwester Hanna aber nie. Sie sollten es in der Schule nicht so schwer haben und etwa Hochdeutsch als erste Fremdsprache lernen müssen.
„Vorhin wolltest du noch hundert werden, Papa.“ Sie verkniff sich das „schon vergessen?“ und fügte noch hinzu: „Ihr wisst doch, dass Hanna sich dann um euch kümmern wird. Im Herbst zieht sie wieder nach Friedrichshagen, das Haus ist ja schon fast fertig.“
Manchmal dachte Nora wirklich mit schlechtem Gewissen an ihr Vorhaben, so lange wegzufahren. Was, wenn ihre Eltern inzwischen starben? Aber letztendlich hatten Else und Otto ihre Töchter von jeher ermuntert, ihr eigenes Leben zu führen. Beide waren früh aus dem Haus gegangen. Und einsam waren ihre Eltern nicht. Sie hatten einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, glücklicherweise auch unter jüngeren Leuten. Ihre Mutter hatte bis zur Rente in einem Waisenhaus gearbeitet. Viele ihrer damaligen Schützlinge hielten Kontakt und besuchten sie mit Kindern und Enkeln. Außerdem wurde Nachbarschaftshilfe in Friedrichshagen großgeschrieben.
„Ach ja, was ich noch sagen wollte, Uwe kümmert sich um euren Garten, ich habe beim Klassentreffen mit ihm gesprochen.“
„Oh, das ist schön“, freute sich ihre Mutter, „ob er auch ein paar Schalen bepflanzt?“
„Sicher, alles, was du willst, Mutti, er macht uns einen Freundschaftspreis.“
„Der hat doch keine Ahnung, das kann ich alles machen“, krähte ihr Vater entrüstet.
Leider nicht mehr, dachte Nora, laut sagte sie: „Er kann dir ja ein bisschen helfen.“ Sie zwinkerte ihrer Mutter zu. „Jetzt muss ich aber los. Falls ich noch was einkaufen soll bis nächsten Mittwoch, ruft mich an.“ Im Rückspiegel sah sie ihren Vater mit dem Stock in Richtung Hühnerstall humpeln.
5
Zu Hause angekommen, fütterte Nora als Erstes die Pferde. Wenn Ralf spät heimkam, war das ihre Aufgabe. Weil es nachts noch ziemlich kalt werden konnte, entschloss sie sich, die beiden Stuten von der Weide zu holen. Sie machte in der Futterkammer zwei Eimer mit Hafer fertig und kippte sie in die Krippen der beiden Boxen. Als Nächstes öffnete sie das Tor zur Koppel. Als die Pferde das Klappern hörten, kamen sie erst langsam angetrottet und wurden dann immer schneller. Auf dem Platz vor dem Stall hielten sie an und ließen sich von Nora über die Nasen streicheln. Sie schmiegte sich an die warmen Leiber und genoss den vertrauten Geruch der Tiere. Jedes ging in seine Box und machte sich über das Futter her. Die beiden Füchse gehörten Ralf. Sie waren zwar seine alten Turnierpferde, aber noch jung genug, um Fohlen zu bringen. Er war nie wirklich erfolgreich gewesen und hatte auch viel zu wenig Zeit für das Training gehabt. Irgendwann hatte er die Turnierreiterei ganz aufgegeben. Jetzt ritt er nur noch selten. Schon das Aufsteigen bereitete ihm große Mühe. Nora fand das schade, denn etwas Sport würde ihm guttun. Vielleicht konnte sie ihn auf Island dazu überreden.
Sie gähnte. Es wurde langsam dunkel. Eine Weile sah sie den Pferden noch beim Fressen zu und ging dann zum Haus zurück. Der Katzennapf vor dem Eingang war noch halbvoll. Den würde sie erst morgen früh wieder auffüllen müssen. Sie selbst hatte auch keinen Hunger. Der Kuchen vom Nachmittag reichte völlig aus.
In der Küche las sie kurz Zeitung und räumte den Geschirrspüler ein. Anschließend ging sie durch alle Zimmer und schloss die noch geöffneten Fenster. Das alte Bauernhaus war viel zu groß für sie und Ralf geworden. Als Bea noch zur Schule ging, hatten hier öfter ihre Freundinnen übernachtet und sich in allen Räumen breitgemacht, sodass Nora ihr Schlafzimmer beinahe verteidigen musste. Wenn Bea am Wochenende mal von der Uni nach Hause kam, hatte sie in fast jedem Zimmer irgendwelche Dinge fallen lassen. Überall lagen Haarklammern, Bürsten, Unterwäsche, Taschen, Schmuck oder Bücher von ihr herum. Im Gegenzug benutzte sie alle Sachen ihrer Mutter, die dann fehlten, wenn sie wieder weg war. Ralf hatte scherzhaft erklärt, sie hinterlasse ihre Duftmarke. Nora räumte entnervt hinter ihr her und fand sie einfach nur unordentlich. Jetzt musste sie manchmal feststellen, dass ihr diese gewisse Unordnung fehlte, weil sie Lebendigkeit und Dynamik bedeutete und das Gegenteil von Einsamkeit war, die sie in diesem Riesenhaus manchmal empfand. Sie verzehrte sich als Mutter sicher nicht über ein gesundes Maß hinaus nach ihrer Tochter, aber manchmal vermisste sie die Zeit, als Bea klein gewesen war. In diesen Momenten wurde ihr schmerzlich bewusst, wie lange das schon her war. Der oft geseufzte Satz ihrer Mutter fiel ihr ein: „Kinder, wo ist die Zeit geblieben?“ Mehr als einmal fragte sie sich, was wohl noch kam in ihrem eigenen Leben. War es das jetzt? Eilte ihr Zug weiter auf seinem eingefahrenen Gleis oder wurde noch eine Weiche gestellt, die in eine unbekannte Richtung wies? Aber in welche? Eine unbestimmte Sehnsucht machte sich breit in ihrer Brust und drohte, ihr die Luft zu nehmen. Verwirrt brach sie ihre Gedankengänge ab. Vielleicht sollte sie einfach zufrieden sein mit dem Leben, das sie hatte. Eine Viertelstunde später stieg Nora in die Badewanne. Das Wasser war ziemlich heiß, aber nach dem kühlen Regenwetter tat das gut. Sie hatte eine Kerze angezündet und das Radio eingeschaltet, damit es nicht so still war. Sie war nicht gern allein in dem großen Haus. Seit Beas Auszug kam das natürlich oft vor, denn Ralf wurde manchmal mitten in der Nacht zu Notfällen gerufen und musste ja auch regelmäßig am Wochenende arbeiten. Dass er, so wie heute, zur Versammlung fuhr, war seltener. Sie hätte gern mit ihm über die neuesten Ereignisse in der Galerie gesprochen, ihm ihre Sorgen hinsichtlich der Ausstellungseröffnung mitgeteilt. Aber daraus wurde, wie so oft, nun nichts. Morgen würde es neue Ereignisse, möglicherweise neue Sorgen oder auch Lösungen geben, und irgendwann verpasste man dann den Zeitpunkt, dem Partner alles, was einen bewegte, zu erzählen. Ging das nur ihnen so? Oder war das ein Problem einer langjährigen Beziehung? Früher hatten sie sich alles erzählt. Oder hatten sie damals mehr Zeit gehabt? Oder den Drang, СКАЧАТЬ