Название: Spielen! Was sonst?
Автор: Erny Hildebrand
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783960088073
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Viel zu oft habe ich allein gespielt
Gerda Blume
1942 in Delmenhorst geboren. Ihr Vater war schon vor ihrer Geburt gefallen. Als sie sieben Jahre alt war, heiratete die Mutter ein zweites Mal. Der neue Vater brachte einen zwei Jahre älteren Bruder mit. Ein Jahr später wurde noch ein gemeinsamer jüngerer Bruder geboren. Nach dem Abitur studierte sie Jura und wurde Rechtsanwältin. Sie ist mit einem Arzt verheiratet und hat drei Söhne und sieben Enkel, für die sie ihre Geschichten schreibt.
Nikolaus
Es muss in der Mitte der fünfziger Jahre gewesen sein, jedenfalls war ich schon lange aus dem Alter heraus, in dem man noch an den Weihnachtsmann und ähnliche Märchengestalten glaubte. Es geschah auch sicher schon zu einer Zeit, als ich begann, einen gewissen Freiheitsdrang zu entwickeln und gegen die vielen starren Verhaltensmuster meiner Familie zu rebellieren. Es gab ziemlich viel Ärger, weil ich nicht pünktlich zu den Mahlzeiten da sein konnte – oder wollte – und weil ich meinen Kopf durchsetzen wollte. Wir saßen am Abend – es war der 5. Dezember – zusammen beim Abendessen, als es an der Haustür klingelte. Überrascht sahen wir alle auf und die Gespräche am Tisch verstummten. Wer mochte das noch sein so spät? Ich erhob mich schließlich, weil ich der Tür am nächsten saß, um nachzusehen. Als ich aus dem Esszimmer in die Diele trat und zur Haustüre ging, fiel mir erstmals auf, dass es draußen offenbar recht stürmisch geworden war und der Wind heulte. Ich hatte die Haustür schon fast erreicht, als es nochmals sturmklingelte und ein kräftiger Windstoß die große Haustür förmlich im Rahmen knacken ließ. Gleichzeitig flog ein weißes Blatt Papier unter dem Türschlitz hindurch und rutschte vor meine Füße. Ich hob es auf und öffnete die Tür, um zu sehen, wer davor stand. Es war niemand da. Verblüfft rannte ich die äußeren Treppenstufen hinab, schaute nach links und rechts und die Auffahrt hinunter, niemand, nur der Sturm heulte plötzlich mächtig in den alten Bäumen. Ich lief ins Haus zurück, schloss die Tür wieder und warf erst jetzt einen Blick auf das weiße Blatt in meiner Hand. Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen. „Liebe Gerda“, stand da „wer sich so benimmt wie Du in letzter Zeit, wer so wie Du meint, auf nichts und niemanden in der Familie Rücksicht nehmen zu müssen, der kann auch keine Rücksicht und kein Verständnis erwarten. Ich hätte nicht gedacht, dass ich Dir das einmal sagen müsste. Denk mal darüber nach. Nikolaus.“
Zitternd faltete ich das Blatt zusammen und schob es in die Hosentasche. Dann ging ich ins Esszimmer zurück und überflog die Reihe meiner Familie. Es fehlte keiner, keiner, der sich aus dem Zimmer hätte stehlen und mir einen Brief unter der Haustür hätte hindurchschieben und gleichzeitig draußen klingeln können.
„Wer war da?“, fragte mein Vater und ich versuchte, möglichst gleichgültig mit den Schultern zu zucken und antwortete: „Niemand.“ Die Familie wunderte sich und diskutierte, wer das wohl gewesen sein mochte, zumal ich hinzufügte, dass ich auch die Treppe hinabgelaufen sei und vor dem Haus nachgesehen hätte. Ich schämte mich entsetzlich und konnte gar nichts mehr essen. Am späten Abend beichtete ich meinem älteren Bruder das Erlebnis und zeigte ihm den Brief. Er war genauso ratlos wie ich, aber er tröstete mich, was ich gehofft hatte, sodass ich wenigstens halbwegs beruhigt ins Bett gehen konnte.
Wir haben nicht mehr darüber gesprochen, aber gelöst wurde dieses Rätsel nie.
Gefährliches Spiel
Im heimatlichen Dorf Hude, nördlich von Bremen, bestand meine Welt aus dem Elternhaus, dem Garten und dem angrenzenden Wald. Hier durften wir Kinder mit unseren Freunden, und wir waren oft eine ganze Menge, spielen und toben, soviel wir wollten. Aber mit zunehmendem Alter vergrößerte sich der Aktionsradius bis zu dem Gelände der alten Klosterruine, die damals noch frei begehbar war. Heute ist alles eingezäunt und mit Verbotsschildern versehen. Viele Geschichten und Legenden ranken sich um das vom Bischof von Bremen schon Ende des 13. Jahrhunderts zerstörte große Backsteinanwesen und seine Mönche. Es hieß, es gäbe einen geheimen Gang vom Kloster bis weit ins Moor hinaus, durch den sich die Mönche seinerzeit vor dem Bischof gerettet hätten.
Wir Kinder fanden die Ruinenanlage spannend und auch unheimlich. Wir spielten dort Verstecken, Räuber und Gendarm und Gespenster je nach Tages- und Jahreszeit. Wir versuchten, mit Seilen an den alten Mauern emporzuklettern und gruben Löcher. Alles konnten wir recht ungestört tun, denn die Ruine lag am Rande des Dorfes und es kamen nur wenige Leute vorbei. Eines Tages entdeckte einer von uns zwischen zusammengesunkenen Mauerstücken ein Loch. Eine Höhle, vielleicht ein Gang … vielleicht der Gang der Mönche! Wir waren wie elektrisiert und begannen zu buddeln. Nur mit Tonscherben war das nicht sehr erfolgreich. Am nächsten Tag brachten wir Schüppen und Spaten mit, was nicht so ganz einfach war; denn es war die Parole ausgegeben worden, dass nichts zu Hause verraten werden durfte. Uns war wohl allen klar, dass die Herrlichkeit dann schnell ein Ende haben würde. Wir gruben und schaufelten nach der Schule einige Tage lang angestrengt und drangen tatsächlich immer tiefer in einen Hohlraum unter den großen Gesteinsbrocken ein. Man konnte in das Loch hineinsteigen und in dem dunklen Gang auch sogar gebückt stehen. Wir waren fest überzeugt, den Geheimgang der Mönche von vor 700 Jahren gefunden zu haben.
Klosterruine in Hude
Ich hatte schon keinen Mut mehr, in das Loch zu steigen, aber die Jungen, vor allem mein älterer Bruder, fanden es toll, bis eines Tages, als wir alle gespannt vor dem Loch hockten und Steine von denen in Empfang nahmen, die innen arbeiteten, eine Stimme hinter uns erscholl: „Was macht ihr da eigentlich?“ Hinter uns stand mein Großvater und sah zu, wie wir uns aufrichteten. „Ist da jemand drin?“ fragte er auf das Loch deutend und dann im uns nur zu gut bekannten Befehlston: „Kommt sofort da raus!“. Dann hielt er uns eine Standpauke über die Gefährlichkeit solcher Spiele. Wie leicht hätte die Höhle oder der Gang über uns zusammenbrechen und uns begraben können. Wenige Tage später veranlasste die Gemeinde, dass unser Gang zugeschüttet und jeder Einstieg unmöglich gemacht wurde. Die Geschichte aber, dass Kinder den sagenhaften Klostergang gefunden hätten, hielt sich lange in der Gemeinde.
Worüber wir gelacht haben
Wir sechs Konfirmanden unseres Dorfes, die aufs Gymnasium gingen, hatten jeden Dienstagnachmittag Konfirmandenunterricht im Studierzimmer unseres Pastors. Zu den anderen Konfirmanden ging der Pastor morgens in die Volksschule. Es war im Spätherbst und schon dunkel, als wir um 18:00 Uhr die Pastorei verließen und uns auf den Heimweg machten. Einer der Jungen hatte in seiner Hosentasche vier Kerzenstummel mitgebracht, die wir in die Augenhöhlen der beiden steinernen Totenköpfe klebten, die rechts und links die Steinpfosten des Friedhofstores flankierten. Wir zündeten kichernd die Kerzen an und versteckten uns dann hinter einem Gebüsch, um zu warten, ob jemand vorbeikäme, der sich erschrecken könnte. Es dauerte gar nicht lange, da kam eine dicke Frau auf einem Fahrrad angefahren. Sie stoppte abrupt, als sie die leuchtenden Augenpunkte rechts und links vom Friedhofseingang sah. Dann begann sie laut zu schreien „Hilfe“ und „Herr Pastor, Hilfe“. Sie kam kaum wieder auf ihr Fahrrad und rannte mehr schiebend als fahrend schreiend auf die Pastorei zu. Wir platzten fast vor Lachen, sodass auch wir Mühe hatten, unsere Räder zu besteigen. СКАЧАТЬ