Название: SIN SOMBRA - Hölle ohne Schatten
Автор: Joachim Gerlach
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783960087731
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Wortlos blieben sie unter den fleischigen Blättern einer Agave hocken und warteten die Geschehnisse ab, währenddessen die Dornen an den Blattspitzen ihnen zu schaffen machten.
Die Männer arbeiteten sich planmäßig durch das Gebiet. Zum Glück für Gabriel und Pepa waren sie nicht viele in der Anzahl, so dass der Ring viele Lücken aufwies, durch die vielleicht hindurchzuschlüpfen war. Immer näher kamen die Soldaten an ihr Versteck heran. Von überall her drangen, da die Männer nicht sonderlich um Lautlosigkeit bemüht waren, Geräusche von knackenden Zweigen und raschelnden Blättern an Pepas und Gabriels Ohren.
Jetzt sind die Männer auf ihrer Höhe angelangt.
Keine zehn Meter links von ihnen schleicht eine Gestalt vorbei.
Von der rechten Seite nähern sich auch Schritte.
Zusammengeduckt erwarten Gabriel und Pepa ihr Schicksal. Jeden Moment können sie entdeckt werden. Jetzt bloß keinen verräterischen Laut von sich geben. Das kleinste Geräusch kann ihr Verderben sein.
Die Männer ziehen vorbei. Weitere Anspannung. Noch sind sie nicht in Sicherheit.
Ein, zwei Minuten später aber konnten sie aus ihrem Versteck herauskriechen, ohne Gefahr zu laufen, gehört zu werden.
»Rasch fort jetzt!«
So brachen sie in eine unbekannte Welt und in eine ungewisse Zukunft auf: ein zehnjähriges Mädchen, das in ihrem ganzen Leben nur den Innenhof eines Klosters als die Welt da draußen erlebt und kennengelernt hatte und ein geschwächter Junge, der furchtsam ahnte, dass der Weg zur Heimat ein endlos langer sein würde. Zwei Geschicke, miteinander verwoben, mit nichts ausgestattet, dem Untergang näher als dem Dasein und deren einziger wohlwollender Begleiter die kindliche Hoffnung sein konnte.
Die Hoffnung, die schwache, die Geborgenheit zurückzufinden, mit welcher sie aufgewachsen waren.
*
Der Tag brach ohne Dämmerung an, so als müssten die Spuren von allem, was in der tiefen dunklen Nacht geschehen war, sehr rasch bei hellem Lichte betrachtet und geprüft werden.
Das Kloster lag in der aufsteigenden Sonne wie eine unerschütterliche Festung.
Allein das herrenlose Gespann von Alberto, das nahe dem Tor im Innenhof stand, störte das gewohnte Bild. Die Mönche verrichteten ihr Gotteswerk wie an jedem anderen Tag.
Unmenschlichkeit unter dem Deckmantel der Frömmigkeit.
Alfonso de Torquemada, der die ganze Nacht mit Beten und Grübeln zugebracht und kein Auge geschlossen hatte, durchschritt das Tor und schaute unablässig von der Stelle, an der dieser verräterische Mönch sein teuflisches Werk vollbracht hatte, bis hinüber nach Jerez de la Frontera in die Weite der Landschaft, die jetzt zu dieser frühen Stunde klar war und nicht in der flirrenden Hitze verschwamm.
Geieraugen, die sich in die tote Landschaft bohrten und sie verschlangen, nicht aber den geringsten Funken menschlichen Lebens aus ihr herauszupressen in der Lage waren.
*
Joaquin, der Sohn des alten Luis, kam trotz seiner nachlassenden Kräfte aus dem Staunen nicht heraus.
Soeben hatte er seine tägliche Mahlzeit erhalten. Eine kalte Suppe, auf der ein paar Fettaugen schwammen, mit hartem Brot dabei, das erst durch Einweichen genießbar wurde. Er hatte sich schon gewundert, warum so lange an der Tür gearbeitet wurde, bis sie sich endlich geöffnet hatte.
Die Erklärung hierfür war einfach, aber nicht zu begreifen.
Die Wache, welche das Essen gebracht hatte, war, das hatte er selbst in seinem geschwächten Zustand bemerkt, total betrunken und tat sich mit allem schwer.
Obendrein war sie redselig, was den Alkoholgenuss noch umso mehr offenbarte.
Das hatte Joaquin so noch nicht erlebt. Er war es gewohnt, dass kein Wort gewechselt wurde, ein hartes Schweigen herrschte, und dass die Stille nur durch das Knarren der aufgehenden und sich schließenden Tür und durch die Betätigung des schweren Riegels unterbrochen wurde.
Und dass hier in dieser strengen Hölle eine Nachlässigkeit solch einer Art Einkehr fand, damit hatte Joaquin schon gar nicht gerechnet. Alles was sich ihm bisher dargeboten hatte, war militärische Genauigkeit.
Jeder Schritt und jede Bewegung schienen vorgegeben.
Tagtäglich hatten sie sich wiederholt.
Und nun kam die Wache betrunken daher. Unglaublich!
Und was noch eklatanter war und seinen Puls zum Rasen brachte: die Wache hatte vergessen, den Riegel wieder vorzuschieben.
Konnte das überhaupt sein?
Spielten seine Sinne ihm vielleicht einen bösen Streich?
Er ließ sich die Ansammlung der Geräusche, die eben seine Ohren erreicht hatte, mehrmals durch den Kopf gehen. Keine Frage: Das Geräusch, welches das Vorschieben des Riegels verursachte, war nicht dabei gewesen.
Er schlich zur Türe und lauschte in die Stille.
Nichts zu hören? – Oder etwa doch? Ein Schnarchen vielleicht?
Er lauschte noch angestrengter an der Zellentür. Ja, es war ein Schnarchen.
Offensichtlich schlief die Wache da draußen auf dem Gang ihren Rausch aus.
Vorsichtig schob er seine Finger zwischen das Gemäuer und die Zellentür, um zu prüfen, ob sie offen stand.
Welch ein Wunder? Sie bewegte sich.
Unfassbar! Die Tür war offen!
Joaquin bekreuzigte sich und dankte allen Heiligen, insbesondere dem heiligen Rochus, dem Schutzpatron der Gefangenen, der vor Hunderten von Jahren selbst im Gefängnis gestorben war.
»Heiliger Rochus, danke für dieses Wunder!«
Was aber tun?
Er würde mehr als eine Tür und mehr als eine Wache überwinden müssen.
War das Ganze vielleicht auch nur eine Falle?
Er konnte sich nach allem, was geschehen war, keine Erklärung geben. Er hatte doch ein Geständnis abgegeben. Sie hatten das zu hören bekommen, was sie wollten.
Wochenlang, eine gefühlte Ewigkeit, hatte er in diesem dunklen Loch verbracht, und niemand hatte sich um ihn und seinen Vater gekümmert, außer dass man ihnen durch Wasser und karge Mahlzeiten das Leben erhielt. Die ersten Tage schien er allein in diesem Trakt des Gefängnisses, der unmittelbar am Ozean liegenden Burg des Heiligen Sebastian, untergebracht zu sein. Für einen jungen Mann, der gerne unter seinesgleichen war und schon immer die Gemeinschaft geschätzt hatte, die pure Hölle.
»Man wird dich totschweigen, Amigo! Ganz langsam wird es geschehen!«
Diese Worte, die einer der Wachleute herablassend an ihn gerichtet hatte, verstärkten sich rasch zu einer ihn immer mehr beherrschenden Empfindung.
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