Streben nach der Erkenntnis. Klaus Eulenberger
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Название: Streben nach der Erkenntnis

Автор: Klaus Eulenberger

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783957449665

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СКАЧАТЬ Außerdem solltest du die Gretel mit deinem Geschrei nicht so aufregen! Du weiß genau, wie es in Dresden war, wo sie immer bibberte, wenn Familienstreit bei Tisch war. Sonst fängt das wie damals wieder an und außerdem muss sie jetzt ins Gemeindeamt, wo sie konzentriert arbeiten muss. Komme jetzt bitte her zu deiner Großen, drücke sie und entschuldige dich, damit sie sich wieder beruhigt!“ So hatte ich unsere Tante Friedel noch nicht erlebt. Mir tat sehr gut, dass sie Mama so beistand und von Oma mehr Gefühl einforderte. Nach etlichem Hin und Her, wo Friedel noch einmal wiederholte, Oma zurückschimpfte, stand diese – für mich erstaunlich – doch auf und ging zu Mutti hin. Sie nahm Mamas Hand und sagte mit normaler, einigermaßen ruhiger Stimme: „Nimm dir das bitte nicht so zu Herzen, Gretel. Den Opa muss man aber ab und zu mal anraunzen!“ Friedel drehte den Kopf. „Mutti, eben das sollst du gerade nicht tun! Du sollst den Vater nicht angehen! Wir wollen hier endlich einmal Familienfrieden haben, nicht wahr, Bruder?“ Vieles an diesem Frühstück war neu und erstaunlich, denn Onkel Heinel hatte nicht einen Ton von sich gegeben. Wahrscheinlich infolge Friedels konsequenter Kritik fühlte sich Oma bemüßigt, Mutti zu drücken und ihr sogar einen Kuss auf die Stirn zu geben. Lothar und ich waren erstaunt – das hatten wir noch nie von Oma erlebt. Mama wurde dadurch ruhiger, hörte auf zu zittern. Da sie aber das Gesamte doch sehr bewegt hatte, brach es aber noch einmal mit zittriger Stimme aus ihr hervor: „Mutter, ’s is’ aber auch wirklich wooohr!“ Diesen Satz hatten Lothar und ich schon häufig gehört und deshalb wunderten wir uns nicht. Er kam immer, wenn sie uns fürchterlich aufgeregte Vorträge über schlechtes Benehmen oder dies und das gehalten hatte und noch einmal bekräftigen wollte, dass das auch alles fürchterlich wahr sei. „Es ist doch aber auch wirklich wahr (woooohr).“

      Drei Tage später fuhren wir tatsächlich nach Freiberg. Mutti hatte mit Opa gesprochen. „Es hat doch keinen Sinn, Vater, dass du dich mit Mutter streitest. Auch wenn sie das vielleicht etwas unsachlich getan hat – Recht hat sie aber, denn wir müssen den Getreidesamen und das andere unbedingt holen, da wir es ja für unser Gut dringend brauchen. Was überlegst du denn, Opa?“

      „Ich denke nach, ob ich den Braunen oder den Weißen einspanne.“

      „Siehst du ein Problem, Opa?“

      „Nein, nein, Gretel – ich versuche nur, abzuwägen. Spanne ich die Lore ein, brauchen wir mehrere Tage, bis wir in der BHG eintreffen. Spanne ich den Schimmel ein, wird es mit diesem hochdressierten, sensiblen Zirkuspferd eine aufregende Sache werden. Der Vorteil wäre aber, dass wir schnell an unserem Ziel sind.“

      „Du bist der Fuhrmann, Opa, mach nur, wie du denkst. Kommt, ihr Jungs, Lothar und Klaus, wir gehen noch schnell in die Küche einen Happen essen. Dann geht’s los.“ Als wir wieder auf den Hof traten, hatte Opa schon den Schimmel angespannt. Offensichtlich freute sich dieser unheimlich über die Abwechslung, spreizte die Nüstern und wieherte wild. Es war einfach ein richtig schöner Anblick, aber auch nicht zu verkennen, dass er viel größer, kräftiger und muskulöser als Lore war. Ich bekam schon wieder etwas Respekt und Angst. „Opa, du hast doch alles im Griff? Nicht, dass der Schimmel mit uns ein Wettrennen veranstaltet. Die Frau Mehnert hatte uns vor kurzem noch einmal mitgeteilt, dass Bekannte aus Dresden voll überzeugt sind, dass Frau Sarrasani vom Zirkus in Dresden unseren Schimmel geritten hat.“

      „Ist ja schon gut, Kinder, aufsteigen!“ Lothar und ich ließen uns das nicht zweimal sagen. Wir stiegen auf die Ladefläche des hölzernen Pferdewagens. Dort hatte Opa eine längliche Kiste, auf der mehrere Decken lagen, hingestellt. Opa als Fuhrmann saß vorn auf einem Querbrett und Mutti setzte sich neben ihn. Nun ging das Geholper los. Die kurzen und harten Schläge gingen uns durch Mark und Pfennig und nach fünf Minuten Fahrt sagte auch Mama: „Mein Gott, Vater, das erschüttert einen ja in den Grundfesten. Hier kommen ja die Gedanken von den Füßen im Kopf an und umgekehrt. Ich bin schon mal mit einer Kutsche gefahren – die war wunderbar gefedert.“

      „Gretel, wir sind hier auf keinem Fest, sondern auf einer Versorgungstour – das müsstest du doch als landwirtschaftliche Sachbearbeiterin der Gemeinde Klewado wissen.“ Lothar und ich unterhielten uns noch darüber, dass die Holzräder eisenbereift sind und dadurch die Unebenheiten der Straße noch härter zu spüren sind. Der Kommentar von Lutt war: „Nützt alles nichts, wir müssen das nun ertragen!“ Wir fuhren die gesamte Dorfstraße bis zum Ende des Oberdorfs, wo unsere Kirche stand. Dann ging es links herum auf die Hainichener Straße bis nach Freiberg. Es war schon eine ziemliche Tortur, dauerte fürchterlich lange und war recht langweilig. Erst in Freiberg wurde es interessant. Der Betrieb und die Hektik (so meinten wir) waren enorm und als wir am Ende der Hainichener Straße waren, wurde es so richtig interessant, da wir den Schwanenteich sahen. Auf ihm fuhren relativ viele Boote und in dem Schwanenteich sahen wir ein äußerst interessant aussehendes Holzgebäude. Opa erläuterte uns, dass dies das Schwanenschlösschen sei, ein bekanntes Restaurant, was schon über einhundert Jahre auf dem Buckel hat und wie Venedig auf Holzpfosten im Wasser ruht. Autos waren wenig zu sehen, etliche Fahrräder und viele Pferdegespanne, so wie wir. Wir fuhren auf der Burgstraße entlang, Richtung Obermarkt, Kopfsteinpflaster. So sachte gewöhnten wir uns an das Gerüttel und Geschüttel. Plötzlich hörten wir, erst leise, dann wurde es doch beträchtlich laut, Blasmusik, irgendein Marsch. Es war schön anzuhören und Opa rief begeistert: „Gretel, schön, höre mal – das ist der Schützen-Defiliermarsch.“ Er konnte es kaum zu Ende sprechen, denn, als unser Schimmel dies hörte, muss er sich wie im siebten Himmel bei seinem Zirkus Sarrasani gefühlt haben. Wiederum spreizte er unheimlich die Nüstern, machte das Maul auf, wieherte leidenschaftlich in den Himmel und ging vorn hoch. Er blieb auch mit den Vorderläufen oben und lief nur auf den Hinterbeinen, wie ein Mensch. Die Muskelpakete auf Schimmels Hinterläufen und auch vorn an der Brust waren in voller Anspannung zu sehen. Es war begeisternd – diiiiese Kraft. Uns verging aber sofort die Bewunderung, denn unser Holzwagen ging ruckartig vorwärts, blieb stehen, ruckte nach vorn, neigte sich stark zur Seite, nach links, dann nach rechts, dann zurück und dann kam das Schlimmste, der Wagen ging vorn hoch, dermaßen hoch, dass Lutt und ich auf unserer Kiste nach hinten rutschten. Meine Mutter schrie in Panik: „Opa, halte den Schimmel! Das geht nicht gut – das ist unser Ende!“ Trotz der riesengroßen Not, in der wir zweifellos hingen, ließ er sich aber zu der Bemerkung hinreißen: „Gretel, so ein Quatsch – du denkst immer gleich an den Tod und das Schlimmste. Halte deine Schnute (hochdeutsch Mund)!“ Mit fester, ruhiger und tiefer Stimme, kommandierte er: „Schschiiiiimmmel, ruuuuhhhig, ruuuuhig, mache nicht einen solchen Zirkus!“ Lothar und ich dachten: Gerade das will aber unser Schimmel, Opa! Der denkt, er ist in Dresden bei Sarrasani. Opa zog an der Leine und wir sahen, wie es Schimmel im Maul schmerzte. Obwohl Lothar und ich schreckliche Angst hatten, tat uns der Schimmel leid, denn mit seinem Zerren an der Leine musste das dem armen Hengst unheimlich weh tun – der Speichel floss und spritzte aus seinem Maul nur so heraus, ohne dass er von seinem Tanz abließ. Parallel dazu versuchte Opa, mit einer Leier den Wagen abzubremsen. Wir waren kurz vor dem Umschlagen des Wagens. Selbst Lothar sah leichenblass aus. Ich konnte mich ja, Gott sei Dank, nicht sehen. Offensichtlich war der Marsch zu Ende, denn unser Schimmel ließ in seinen Eskapaden nach und kam wieder auf vier Beinen zu stehen. Von seinem leidenschaftlichen Wiehern ließ er allerdings nicht ab und schmiss den Kopf hin und her, hoch und runter. Wir fuhren weiter. Keiner sagte ein Wort und hing seinen Gedanken nach. Was wäre nur aus uns geworden, wenn die Musik weitergespielt hätte?

      Wir zwei Jungs waren nun öfter bei Tante Frida, vor allem nachmittags nach der Schule. Bei ihr war Ruhe und Geborgenheit und wir vermieden so die ständigen Aufrufe von Oma an uns, irgendetwas aus dem Keller zu holen, aufzuwaschen, abzutrocknen oder irgendetwas irgendwohin zu schaffen. Mitunter erledigten wir sogar unsere Hausaufgaben bei ihr. Viele Schätze hatte Tante Frida nicht, die sich für uns gelohnt hätten – sie hatte keine Karl May-Bände, kein Lederstrumpfbuch – das einzige, was uns reizte, war ein dickes, fettes Doktorbuch. Dieses befand sich in einem Schrank um die Ecke rum, das heißt, wenn man aus Fridas großem Zimmer hinaustrat auf den langen Flur, musste man nur um die Ecke zu dem großen Podest gehen, wo mehrere Schränke dann, eigentlich mit dem Rücken СКАЧАТЬ