Название: Ein Wandel der Gesinnung
Автор: Hanspeter Götze
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783957449627
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In den letzten Wochen vor der Therapie verzichtete ich angesichts des verletzten Stolzes auf jegliche Veranstaltung und nahm lieber die Rolle eines stillen, trinkenden Beobachters ein. Die unter ständigem Alkoholeinfluss entstandenen Konzentrationsschwächen bildeten die Grundlage für auftretende Gedächtnislücken, welche dann unter Mithilfe von Beteiligten wieder einigermaßen geschlossen werden konnten. Daher glich die peinliche Befragung von Bekannten zu den verpassten Abläufen einer momentanen Bestandsaufnahme, welche jedoch mit Vorsicht zu genießen war. Es war einfach, mir als Unwissendem etwas unterzujubeln, da ich durch die vielen Blackouts dem mir Zugetragenen notgedrungen Glauben schenken musste.
Diese Ereignisse durchlebte ich immer wieder mit einem Schamgefühl in den zerrissenen Träumen. Dieses permanente nächtliche Abspielen der schlechten Filme führte zu zeitweiligem Aufrechtsitzen während der Schlafphase und hinterließ mir für die darauffolgenden Tage eine große Last an Reumütigkeit. So wurde aus einer lebensbejahenden Person ein Häufchen Elend, das sich überall für das unpassende Auftreten entschuldigen musste. Reuezeigen gehört zu einem typischen Gebaren eines Alkoholabhängigen und machte auch vor mir nicht Halt. Mit der Zeit werden solche Aktionen einfach weggesteckt und man agiert als gesellschaftlicher Spaßmacher, sogenannter Vollgasdepp. Das Selbstwertgefühl war dahin, das Ansehen ruiniert und die wahren Freunde wandten sich zunehmend von mir ab. Ich wurde zu einem Objekt der Begierde, man verfolgte akribisch jede von mir begangene Handlung, um an Gesprächsstoff für die Nichtanwesenden zu gelangen. Mit dem Gefühl der ständigen Beobachtung schlichen sich letztendlich dumme Fehler ein, woraus wiederum eine totale Verunsicherung entstand. In diesen Momenten sehnte ich mich nach Rehabilitierung, doch war diese bei der labilen Lebensweise in weite Ferne gerückt.
Bei den getätigten Recherchen in puncto Erkundigung nach dem Wohlbefinden eines Menschen fielen mir gravierende Unterschiede in anderen Ländern auf. Während der US-Amerikaner bei seiner Fragestellung „How are you doing?“ immer mit der gleichen Antwort: „Thanks, I am fine“, rechnen kann, erfährt man bei der gleichen Anfrage bei einem Bundesbürger die wichtigsten Auszüge aus dem Krankenbericht der letzten drei Wochen. Durch die in den Staaten gemachten Erfahrungen gehörte es für mich nicht zum guten Ton, andere mit meinen Problemen zu belästigen. Trug ich den Kopf unter dem Arm, erübrigte sich eine Nachfrage von ganz allein.
Heutzutage bietet sich dank der neuesten Technik die Möglichkeit, seine Wissbegierde mit einer SMS zu stillen. Daher kann ich einen Bekannten, welcher sich im Bus nur drei Sitzreihen vor mir aufhält, problemlos nach seinen Gefühlsregungen befragen, ohne ihm vor dem Aussteigen ins Gesicht blicken zu müssen. Die Anpassung an amerikanische Verhältnisse kann man in der Alkoholgesellschaft ab und an erkennen. Da bei der tristen Lebensführung kaum Bewegung eintritt, erhält man nach der üblichen Floskel „Wie geht’s?“ immer das Gleiche als Antwort: „Wie soll’s schon gehen?“
Dies beschreibt exakt den Zustand, welcher einem vor dem ersten Bier zugrunde lag. Die Redseligkeit trat in den meisten Fällen erst dann ein, wenn die anderen einen in Anbetracht der Artikulation sowieso nicht mehr verstanden. Man war nicht mehr gefragt und versuchte mit überholten Geschichten die Gunst der anderen Gäste zu gewinnen. Dass man mit alten Kamellen nicht mal mehr einen Hund hinter dem Ofen hervorlocken konnte, war den meisten in ihrem Brausekopf nicht mehr bewusst und endete in Selbstgesprächen. Die einstige Überzeugungskraft erlahmte zunehmend und das Gerüst zur Stabilisierung der eigenen Person fing an zu schwanken.
Die Zeiten, in denen man sich mit sich selbst beschäftigte, hingen vom jeweiligen Suchtverhalten ab. Tage der Einsicht gerieten nach einem erneuten Rauschzustand in Vergessenheit. Es ist schwer, jemandem Einblick in das Leben eines Suchtkranken zu verschaffen, da der Betroffene meist selbst nicht weiß, inwieweit er vom Teufel geritten wird oder aber die wahren Gründe verschweigt. Die letztere Variante wendete ich in meiner schlimmen Zeit des Öfteren an und verteidigte mein Verhalten mit paradoxen Ausreden. Mit jedem Bier wuchs der Ideenreichtum an Entschuldigungen, welche vor allem beim täglichen Arbeitseinsatz vonnöten waren. Die zu erwartenden Folgen kaute ich im Schlaf schon einmal vor, um gegen eventuelle drastische Arbeitgebermaßnahmen gewappnet zu sein.
Die Unehrlichkeit gegenüber mir und anderen kostete etliche Jahre an ungenutzten Möglichkeiten zu einer sorgenfreien Lebensführung. Weil man aber das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen kann, hilft in meinem Alter auch kein Wenn und Aber. Sieht man einmal von den finanziellen Einbußen ab, welche durch mein uneinsichtiges Verhalten entstanden, schädigte ich durch die Trinkerei meine Psyche sowie lebenswichtige Organe. All dies versucht man mit dem nächsten Bier zu verdrängen und verspricht sich selbst Besserung, ohne jedoch einen Zeitpunkt zu nennen. Beim sogenannten Freundeskreis konnte ich mit dieser Erkenntnis nicht punkten. Jeder Versuch eines vorzeitigen Austritts aus dem Klub der Säufer wurde durch die Mitglieder schon im Ansatz zu Fall gebracht. Den Begriff „Alkoholiker“ redete man sich mit der Bezeichnung „Freizeittrinker“ schön und betonte dabei die Zeiten der Enthaltsamkeit, welche niemand nachprüfen konnte.
Durch den Verlust des eigenen Ichs endeten viele weitere Aktionen in meiner genierlichen Vergangenheit in einem Chaos. Die von mir selbst herbeigeführte Unbeständigkeit am Arbeitsplatz stürzte mich zusehends in eine schwere finanzielle Misere, deren Höhepunkt mit einer Räumungsklage erreicht wurde. Dank eines Darlehens vom Jobcenter, konnte diese zwar noch rechtzeitig abgewendet werden, doch erhöhten sich damit gleichzeitig die Verbindlichkeiten, welche ich bis zum heutigen Tag abstottere.
Die Abhängigkeit vom Wohlwollen anderer gehörte in der Zeit des übermäßigen Bierkonsums zu einem Privileg und war gleichzeitig ein Indiz für die Handlungsunfähigkeit. Ein Abhängiger lebt in den Tag hinein und befasst sich mit aufkommenden Problemen ausschließlich während der Schlafphase in der Hoffnung, dass sich diese bis zum nächsten Morgen von alleine lösen. Da ich nur noch wenige Haare auf dem Kopf hatte, wurde mir die Möglichkeit eines eigenständigen Herausziehens aus dieser Misere vorenthalten.
Die steigende Resignation war der ideale Unterbau für die erlebte Gutgläubigkeit, welche den bisherigen Enttäuschungen noch weitere folgen ließ. Dadurch hatte der Alkohol einen großen Schritt in Richtung Totalzerstörung gemacht. Willenlos und ohne Aussicht auf Besserung führte man mich, vergleichbar mit einer Marionette, zu den verschiedenen Trinkquellen. Die Freude auf einen neuen Tag war nicht mehr gegeben, da die seelischen Belastungen wie Kletten an mir hafteten. In dieser Lebenslage war es für Dritte ein Leichtes, die Oberhand über meine Person zu bekommen. So setzte ich aufgrund der Leichtgläubigkeit ständig meine Paraphe unter Verträge, welche zu meinen Ungunsten abgefasst wurden. Dies zog sich wie ein rotes Tuch durch die Trinkerzeit und ließ mich unbeachtet von den Urhebern ein ums andere Mal auf die schon wunde Nase fallen. Auch einige der sogenannten Kumpels nutzten die Momente meiner Unachtsamkeit, um sich an dem wenigen, was mir noch blieb, zu bereichern.
Doch trotz dieser Niederschläge glaubte ich weiterhin an das Gute im Menschen. Als Ausgleich zu den unterdrückten Gefühlen sorgte dann wiederum der Suff, welcher nach einigen Bieren den seelischen Schmerz betäubte und einen beruhigt auf das nächste Missgeschick vorbereitete. Die Fehlstunden bei der aktiven Teilnahme am normalen gesellschaftlichen Leben häuften sich, sodass ich mich immer öfters den Gepflogenheiten des Trinker-Klüngels anpasste, welche vom Inhalt her leicht zu verstehen waren. Als Zielsetzung galt, den Körper in ständigen Ausnahmezustand zu bringen. Hierbei wurde der Alkohol zu unserem Schutzpatron auserkoren, welcher auch hilfsbereit für den ständigen Nachschub sorgte.
In dieser Elitegruppe war auch keine höhere Bildung vonnöten, da sich nach jedem zweiten Satz eh alles wiederholte. Ein damaliger Bekannter wurde von dem Wort „kompensieren“ dermaßen inspiriert, dass dieses СКАЧАТЬ