Ein Wandel der Gesinnung. Hanspeter Götze
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Название: Ein Wandel der Gesinnung

Автор: Hanspeter Götze

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная психология

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isbn: 9783957449627

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СКАЧАТЬ bildeten das Zweierteam der Alkoholkranken. In den von einer Psychologin geleiteten Gruppenstunden wurde verallgemeinert über die Sucht gesprochen, sodass wir beide uns letztendlich gegenseitig therapierten. Nach Ablauf der vereinbarten Zeit wollte ich verlängern, doch die Therapeutin gab mir zu verstehen, dass bei der derzeitigen Stabilität eine Arbeitssuche sinnvoller sei.

      Nach der Entlassung hielt ich mich eine längere Zeit an die Vorgaben und Erfahrungen aus Wolfsried, mied Kneipen und begab mich auf Arbeitssuche. Da ich mir für die Rückfälle keine Zeitfenster setzte, waren die folgenden zehn Jahre recht abwechslungsreich. Die Phasen, in denen die Vernunft Oberhand über den Saufdruck behielt, waren zwar dünn gesät, doch immerhin vorhanden. Teils lag es an der beruflichen Tätigkeit, bei der es sich nicht gebührte, nächtelang durchzuzechen, oder aber es sorgten die zahlreichen unfreiwilligen Krankenhausaufenthalte für schöpferische Pausen.

      Unmittelbar nach der Rückkehr in meine Heimatstadt spürte ich einen inneren Weckruf, welcher mich zu einer neuen Lebensführung beflügelte. Ich suchte mir eine passende Wohnung, fuhr Fahrrad oder erkundete zu Fuß die Umgebung. Das Sozialamt vermittelte mir einen geringfügig bezahlten Job beim hiesigen Stadtarchiv und ich versuchte meinerseits, den Kontakt zum Alkohol zu meiden. Bei einem Spaziergang durch die Fußgängerzone entdeckte ich im Schaufenster eines Mobiltelefonanbieters ein Stellenangebot als Verkäufer für dessen Filialen in Augsburg und Füssen. Sogleich betrat ich den Handyladen und konnte ein klärendes Gespräch mit dem Besitzer führen, welcher mich aufgrund der Messeerfahrung und des erlernten Berufes einstellte. Die Verkaufslage befand sich in der Hauptgeschäftsstraße mitten im Zentrum der Stadt Augsburg. Alles klang sehr verheißungsvoll, zumal mir auch die Fahrtkosten erstattet wurden und ich erstmals wieder Anspruch auf ein normales Leben anmelden konnte.

      Derartig motiviert und ausgeglichen begann ich die Arbeit und fand mit dem Filialleiter einen sehr netten, kumpelhaften und alteingesessenen Vorgesetzten, welcher mir in der Anfangszeit in allen Belangen mit Rat und Tat zur Seite stand. Die einstündigen Zugfahrten überbrückte ich mit Lesen und alles schien in geordneten Bahnen zu laufen. Natürlich sprach man auch über gesellige Trinkgelage und die Ausgelassenheit in der Jugendzeit. Schon während meiner schulischen Ausbildung hatte ich an freien Wochenenden oder in den Ferien einem Architekten in Königsbrunn bei Augsburg bei anfallenden Büroarbeiten geholfen und durch dessen Sohn, der in der Innenstadt wohnte, auch das Nachtleben zur Genüge kennengelernt. Daher war im Laufe des Arbeitstages immer für Gesprächsstoff gesorgt. Mein Aufgabenbereich erstreckte sich von der Reparaturannahme und dem Kassendienst bis hin zur Mittagsvertretung in den anderen Filialen. Bei der nahen Bäckerei versorgten wir uns mit Kaffee und Brotzeit und mein Verlangen nach Alkohol war ausgebremst.

      Damals versäumte ich es, ihn über meine zurückliegende Therapie zu unterrichten, was sich später rächen sollte. Es kam nämlich der Tag, an dem ein alter Jugendfreund von meinem Vorgesetzten den Laden betrat und sie aus dem Nähkästchen plauderten. Die anstehende Mittagspause gab Anlass zu einem geselligen Abstecher in sein Lieblingsbistro, welches sich zwei Straßen weiter befand. Der erste Gang führte mich auf die Toilette, während die anderen beiden Herren schon einmal freie Plätze anvisierten. Bei meiner Rückkehr befanden sich derweil schon drei Weizenbiere auf dem Tisch und ich fehlte noch zum Zuprosten. Es klingelten bei mir zwar sofort die Alarmglocken, doch wollte ich mir auch nicht die Blöße geben und trank nach Monaten erstmals wieder Alkohol. Gedanklich sah ich bei diesem kleinen Ausrutscher keine Gefahr für das weitere Abstinenzverhalten und folglich hatte ich auch bei den nächsten Bestellungen kein schlechtes Gewissen. Die vorherige Zurückhaltung in Sachen Trinken meinerseits hatte auch den Chef von seiner Lieblingsbeschäftigung abgehalten. Jetzt, da er wusste, dass ich auch zum Kreis der Auserwählten gehörte, tauschten wir die eine oder andere Kaffeerunde mit einem frisch eingeschenkten Weizenbier.

      Zu allem Übel meldete der Firmeninhaber nach drei Monaten Konkurs an und ich saß wieder auf der Straße. Anstatt zu resignieren, verfolgte ich intensiv den Arbeitsmarkt und wurde schon einige Zeit später fündig. Ein Callcenter, nur 200 Meter von meiner Wohnung entfernt, suchte einen Mitarbeiter für den Verkauf von Weinen. Auch hier verlief die Einstellung problemlos und ich sah in der neuen Tätigkeit eine Herausforderung für das vorhandene kaufmännische Talent. Das reichhaltige Sortiment umfasste Produkte aus verschiedenen Ländern, welche ausschließlich über das Telefon angeboten wurden. Die zweistündige Mittagspause verbrachte ich anfangs in meiner Wohnung und auch der Alkoholverbrauch hielt sich in Grenzen. Gleich zu Beginn der Beschäftigung setzte ich bei den Verkaufsgesprächen erste Akzente, welche den Niederlassungsleiter beeindruckten. Das nötige Wissen über die verschiedenen Rebensäfte eignete ich mir als Nicht-Weintrinker von den Topverkäufern an. Alles verlief wunschgemäß und ich fand schnell Anschluss zu der bestehenden Verkaufsgruppe.

      Nach der dreimonatigen Probezeit war jedoch Schluss mit lustig. Schlagartig wurde das persönliche Plansoll angehoben und der auf einem lastende Druck wurde von Mal zu Mal stärker. Um die Mitarbeiter bei der Stange zu halten, fanden wöchentliche Verköstigungen der neu ins Programm aufgenommenen Spirituosen statt, die von der Mehrheit dankend angenommen wurden. So langsam kristallisierte sich heraus, dass ich in eine Firma geraten war, in der ein Teil der Belegschaft aus sogenannten verkrachten Existenzen bestand, welche in diesem Job eine letzte Chance sahen, sich in der Arbeitswelt zu beweisen. Ich passte mich diesen Gepflogenheiten uneingeschränkt an und fand auch unter den Mitarbeitern Freunde, mit denen ich nach Feierabend einige Biere trank. Die guten Vorsätze schwanden von Tag zu Tag, die Wohnung verkam zu einer einzigen Schlafstätte und das Wochenende diente zur Einhaltung des benötigten Alkoholbedarfs.

      Dem Verkaufsleiter gab man von oberster Stelle zur Vorgabe, möglichst Mitarbeiter anzuwerben, welche gezwungenermaßen auf diese unterbezahlte Arbeit angewiesen waren. Um in solch einer Gruppe bestehen zu können, bedurfte es eines Ablegens der erlernten gesellschaftlichen Umgangsformen und der Bereitschaft zum Trinken. So diente die Mittagspause zum geselligen Fitmachen mit zwei, drei Bieren für den anstehenden Nachmittag. Da der Chef auch kein Kostverächter war, zählte im Endeffekt nur der Umsatz von jedem Einzelnen, egal, in welchem Zustand dieser erreicht wurde. Der telefonische Verkauf ermöglichte es, auch mit einem schweren Kater oder zusammengefallenen Gesicht zu arbeiten. Wurde bei den veranstalteten Verkaufswochen das Soll erfüllt, erhielt man die ausgesetzte Prämie in Form von Wein oder Likör, welches den lästigen Gang zum Getränkemarkt überflüssig machte.

      Wurde jedoch das Ziel verfehlt, geriet man unter starken Druck, welchem einige der Mitarbeiter nicht standhielten. Daher kam es zu einem ständigen Wechsel der Arbeitnehmer innerhalb unseres beschaulichen Büros. Die Annoncen in der hiesigen Tageszeitung erhöhten sich zunehmend und der Niederlassungsleiter verbrachte den größten Teil des Tages mit Ein- und Ausstellungsgesprächen. Als männlicher Mitarbeiter musste man gegenüber dem Verkaufsleiter und dem nächsthöheren Gebietsleiter seine Trinkfestigkeit unter Beweis stellen, um zum Kreis der Auserwählten zu gehören. Demgegenüber besaßen die Verkäuferinnen eine weitere Option, um sich hochzuarbeiten.

      Dreimal im Jahr fuhren die Topverkäufer für eine Woche zu den Verkaufsmeetings in entlegene Städte, wo man innerhalb einer Hotelanlage zusammen mit den anderen fünf bundesweiten Verkaufsbüros eine Art Wettbewerb veranstaltete. Das Telefonieren fand auf engstem Raum in einem gesondert angemieteten Saal statt und begann mit einem Prosecco-Frühstück. Im Laufe des Tages wurden kurze Trink- und Rauchpausen eingehalten und man legte großen Wert auf ein gemeinsames Mittagessen mit anschließender eineinhalbstündiger Mittagspause. Die Übernachtungen und Mahlzeiten sowie zwei Getränke nach Wahl übernahm die Firma, welche auch bei der Freizeitgestaltung die Angestellten finanziell unterstützte. Obwohl die ganze Woche mit Stress verbunden war, feierte man nach getaner Arbeit noch überschwänglich in der Hotelbar, bis das Personal das Licht ausknipste. Es waren schlicht und einfach unbeobachtete Saufwochen, bei denen man sich als Trinker pudelwohl fühlte.

      Bei den abendlichen Gesprächen erfuhr ich von einigen Mitarbeitern die Gründe für deren Eintritt in diese Firma. Man war hoch verschuldet, bekam von der Bank keinen Dispokredit und benötigte den Job, um nicht noch tiefer zu sinken. Hinzu kamen familiäre Gründe und das Alter, da man mit 45 aufwärts auf dem СКАЧАТЬ