Название: Federspuren
Автор: Birgit Rentz
Издательство: Автор
Жанр: Короткие любовные романы
isbn: 9783957441010
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Ich hatte nie Angst vor Gewitter. Auch wenn es manchmal nur so kracht, blitzt und donnert. Ich muss mich der tödlichen Gefahr eines Gewitters nicht aussetzen und weiß, wo ich mich sicher fühlen kann. Wie oft schon habe ich mir, wenn ich vor stickiger Hitze nicht schlafen konnte, gewünscht, es würde endlich ein Gewitter kommen und der Luft die Schwüle nehmen, sie reinigen und abkühlen. Es ist faszinierend, der Urgewalt beizuwohnen, die sich entlädt und in Form eines Blitzes zur Erde zischt.
Was wäre denn unser Leben ohne Gewitter? Ein Leben ohne Streit, wäre das überhaupt denkbar? Wir Menschen sind zu verschieden, als dass wir stets und ständig in Frieden miteinander leben könnten. Meinungsverschiedenheiten werden lautstark ausgetragen und enden nicht selten in Handgreiflichkeiten, Schlägereien, Krieg. Auch mit Worten, Fäusten oder Waffen entladen sich Urgewalten oder besser gesagt: Aggressionen. Nicht selten herrscht anschließend eine nie geahnte Stille und die Luft ist gereinigt, alles ist gesagt. Die Basis für einen Neustart ist geschaffen, auch wenn der Weg aus den Trümmern mühsam erscheint. Mit dem ersten Zwitschern eines Vogels nach Blitz und Donner erwacht die Welt zu neuem Leben.
Wolken nehmen die kuriosesten Gestalten an. Sie ziehen über das Land und lassen sich nicht aufhalten. Wolken sind weder planbar noch vorhersehbar. Sie gehorchen eigenen Gewalten. Stets verändern sie ihr Bild und beflügeln die Fantasie des Betrachters. Nie wird er zweimal dasselbe sehen, wenn sein Blick gen Himmel geht.
Ich habe meine eigenen Fantasien, meine eigenen Träume. In einem dieser Träume werde ich vom Wind hinaufgetragen und stehe vor einer Wolke, die wie ein Fahrrad aussieht. Ich steige auf, trete in die Wolkenpedale und passiere Stationen meines Lebens.
Wo werde ich mein Wolkenfahrrad abstellen? Und wo wird meine Fahrt enden?
Ich sehe den Wolken zu und stelle fest, sie malen mein Leben an den Himmel …
Einen Augenblick nur
will ich ruhn
nichts wollen
nichts tun
Einen Augenblick nur
will ich bei mir sein
Ich sehe den Wolken zu
wie sie gemächlich
am Himmel ziehn
auf ihrer luftigen Reise
vom Woher zum Wohin
Für einen Augenblick
nehmen sie mich mit
und ich vergesse
mich zu sorgen
Lebensspur
Er hatte alles falsch gemacht. Er hatte sein Leben vertan. Seit Tagen ließ ihn dieser Gedanke nicht zur Ruhe kommen.
Schwerfällig erhob er sich aus dem Sessel und ging in die Küche. Am Haken neben dem Kühlschrank hing noch ihre Schürze. Seine Hand zitterte, als er den Stoff streichelte. Wie ein Schlag traf ihn die Trauer und er schluchzte laut auf. Weinend vergrub er sein Gesicht in der Schürze.
Jeden Abend hatte sie die Schürze getragen. Jeden Abend, wenn sie gekocht hatte. Er sah ihre knotigen Hände, wie sie die Bänder der Schürze auf dem Rücken lösten. Schnelle, geübte Griffe, auch im Alter noch. Wenn sie die Schürze abgelegt hatte, war das Essen fertig gewesen. Dann hatte er die Zeitung zur Seite gelegt und sich aus seinem Sessel im Wohnzimmer erhoben. In dem Augenblick, in dem er sich an den Tisch gesetzt hatte, war sie mit der Schüssel in den Händen in das Esszimmer getreten. So war es gewesen, zweiundvierzig Jahre lang. Es kam ihm vor wie ein immerwährender Moment.
Er wischte mit der Schürze sein nasses Gesicht ab, hängte sie sorgsam an den Haken und schlurfte zurück ins Wohnzimmer. Als er sich in den Sessel fallen ließ, ächzte er, die Hüfte schmerzte. Seine Frau hätte noch nicht sterben sollen, sie war selten krank gewesen, hatte nie geklagt. All die Jahre hatten sie Angst um sein Herz gehabt, sinnlose, vergeudete Angst. Drei Infarkte hatte er hinter sich, der erste hatte ihn aus einer Gerichtsverhandlung gerissen. Danach hatte er die schwierigen Fälle seinem Nachfolger überlassen und war abends früher nach Hause gekommen. Seitdem wusste er, dass sie die Schürze ablegte, sobald sie mit dem Kochen fertig war.
Müde wischte er sich über die Augen. Seitdem sie tot war, schlief er schlecht. Sie hatte morgens neben ihm gelegen, auf dem Rücken, die Arme an den Seiten, den Kopf zur Decke gerichtet, den Unterkiefer heruntergeklappt. Das eine Auge war halb geöffnet gewesen. Er hatte sofort gewusst, dass sie tot war. Ihre Atemzüge hatten ihn sein halbes Leben lang begleitet, zweiundvierzig Jahre, Nacht für Nacht.
Das Schlimmste war die Stille. Sie saß in jeder Ecke, verfolgte ihn und kroch ihm bis in die Knochen. Verfluchte, verdammte Stille. Umständlich holte er ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich.
Sein Blick fiel dabei auf die Anrichte, auf der seine Frau die Familienfotos abgestellt hatte. Die Kinder meldeten sich nicht mehr. Nach der Beerdigung waren sie sofort gefahren. Wie auf der Flucht, vor ihm und seiner Einsamkeit. Sollte er sie anrufen? Und dann? Was sollte er ihnen sagen? Er hatte es ein paarmal versucht, aber das war nur Quälerei gewesen.
Was erzählte man Menschen, die noch mitten im Leben standen? Er hatte die Ungeduld in ihren Stimmen gehört und gewusst, er stahl ihnen nur die Zeit.
Damals war er genauso gewesen, als er noch die Kanzlei gehabt hatte. Alles war wichtig gewesen, jeder noch so kleine Fall. Warum hätte er sich um seine Familie kümmern sollen? Das hatte seine Frau getan. Damals hatte er geglaubt, es würde immer so sein, sie würde immer da sein, die Kinder sowieso. Bitter dachte er an die Jahre in der Kanzlei zurück. Er hatte geglaubt, er würde stolz auf diese Jahre sein. Auf das, was er geschaffen hatte. An die größten Fälle erinnerte er sich noch, die anderen waren ihm längst entfallen.
Er war erstaunt gewesen, dass so viele Menschen zur Beerdigung gekommen waren. Die meisten kannte er nur vom Sehen. Früher war er froh gewesen, dass sie sich beschäftigte und ihn in Ruhe ließ. Damit hatte sie auch nicht aufgehört, als er nur noch zu Hause gewesen war. Es war nicht richtig gewesen, dass er sich aufgeregt hatte, wenn sie telefonierte oder wegging. Er wusste es, aber er hatte es nicht ändern können.
Nun saß er hier und flennte wie ein alter Mann. Was sollte das? Er war ein alter Mann. Alt, verschlissen, einsam, zu nichts zu gebrauchen.
Mit seinem Ärmel wischte er sich über die nassen Augen. Warum war sie gegangen? Sie hätte etwas sagen können. Oder hatte sie es nicht mehr mit ihm ausgehalten? In den ersten Tagen war er wütend auf sie gewesen, weil sie ihn allein gelassen hatte. Er hatte überhaupt nicht gewusst, was er tun sollte – die Küche, die Wäsche, das Haus, das war immer ihres gewesen. Nicht СКАЧАТЬ