Название: MORTIFERA
Автор: Markus Saxer
Издательство: Автор
Жанр: Короткие любовные романы
isbn: 9783954885954
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Er beugte sich über sie und schaute sie an. Sie schlug die Augen auf und es schien, als würde die anbrechende Morgenröte darin glimmen. Sacht berührten seine Lippen die ihren – sie waren kalt. Blitzartig umschlang sie ihn mit Armen und Beinen, krallte sich fest wie eine Ertrinkende. Schlagartig wurde ihm klar: Er war ihre Beute und nicht ihr Meister. Trotz oder gerade wegen dieses vollständigen Ausgeliefertseins, packte ihn eine widernatürliche, tierische Begierde. Wild vollzog er mit ihr den Liebesakt – gierig und sehnsüchtig. Auf dem Höhepunkt der Wollust erstickte er seinen Lustschrei keuchend in ihrem Haarschwall. Dann versuchte er, sich von ihr zu lösen, aber sie gab ihn nicht frei. Gesättigt und ernüchtert wollte er sein Fleisch von ihrem Fleisch reißen, aber sie hielt ihn im Schraubstock ihrer Glieder fest. Er hielt still in der Hoffnung, sie würde ihn freilassen. Sie hielt jedoch noch fester, verdrehte lauernd die Augen und öffnete ein wenig die Lippen. Wieder erklang dieses Stöhnen, das sie zwischen den Zähnen hervorpresste.
Bestürzt hatte er das Gefühl, mit ihr in die Tiefe zu stürzen, mit ihr sterben zu müssen. Ein glühender Schmerz durchzuckte ihn, als sie ihm schlagartig die Zähne in die Schulter bohrte. Sich aufbäumend hörte er sich selbst schreien, während er seine Hand auf die blutende Wunde drückte. Sobald ihr Körper unter ihm erschlaffte, sprang er mit einem Satz vom Bett auf, obwohl der Schmerz in seiner Schulter wütete. Bebend, aber fasziniert, sah er im Zwielicht des heranreifenden Tages ihren schmalen, zarten Körper wie tot auf dem Bett liegen. Ein dünner Blutfaden rann ihr vom Mundwinkel. Nie zuvor hatte er etwas Grausigeres und zugleich Schöneres gesehen.
In diesem Moment wurde die Schlafzimmertür aufgerissen.
Er wirbelte herum, doch da war niemand. Vor ihm klaffte nur schwarz der leere Türrahmen. Unschlüssig überlegte er, ob die Tür nicht vielleicht die ganze Zeit über offen gestanden hatte, und seine überreizten Nerven ihm einen Streich spielten. Er wandte sich wieder der Schläferin zu, doch an ihrer Stelle lag nun sein Körper: Die Gliedmaßen gebrochen, überall blutend, als hätte man ihm die Haut heruntergerissen. Von diesem Anblick zutiefst verstört, fing er an, wie ein in die Enge getriebenes Tier zu schnaufen, stürzte ins Bad und kühlte sein Gesicht mit kaltem Wasser. Tropfnass blickte er in den Spiegel, direkt in sein neues Ebenbild: ein schmales, totenbleiches Gesicht mit dunklen Augen, die ihn wahnsinnig anstarrten. Der Anblick schnürte ihm die Kehle zu. Einerseits lag sein Körper tot und verstümmelt im Schlafzimmer, andererseits war er auf gespenstische Weise noch am Leben.
Aber er war jetzt sie, war das Opfer des teuflischen Spiels, das sie mit ihm trieb!
Langsam öffnete sich sein Mund, er wollte schreien, brachte aber keinen Laut hervor. Er blickte wie aus dem Helm eines Tiefseetauchers, dem man gerade den Luftschlauch durchgeschnitten hatte. Eine Träne quoll ihm aus dem Auge und tropfte auf den Grat seines Wangenknochens. In dem Moment wurde er Zeuge eines erschreckenden Phänomens: Er sah im Spiegel, wie sie auch innerlich von ihm Besitz ergriff, schaute zu, wie er sich gegen seinen Willen mit dem Handrücken den grotesken Blutfaden aus dem Mundwinkel wischte und danach seine blassen Brüste in den Händen wog. Mit Abscheu bemerkte er, wie das schöne Antlitz einen sinnlichen Zug bekam.
Wie ferngesteuert holte er seine Digitalkamera und knipste sich vor dem Spiegel. Vom Blitz geblendet rieb er sich die Augen, legte den Fotoapparat auf den Wäschekorb und ließ mechanisch ein heißes Bad einlaufen. Vielleicht musste er tun, was sie wollte, vielleicht war er nur noch ihre Marionette. Er setzte sich in das dampfende Nass, flocht die Finger um die Knie und merkte, dass sie ihn einlullen wollte. Sein Wille wurde schwächer, aufgesaugt von ihrem Willen, der langsam in ihm wuchs. Der vollständige Verlust seiner eigenen Identität war nur noch eine Frage der Zeit.
Doch noch regte sich Widerstand in ihm. Aus dem Augenwinkel sah er das Rasiermesser auf der Badematte links von sich. Was, wenn er … Sofort spürte er, wie sie sich wütend in ihm aufbäumte, wie sie ihm Schläge versetzte, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Er bündelte all seine schwindende Energie, sein letztes Häufchen eigenen Willen. Es gelang ihm, seine innere Feindin ein paar Sekunden lang niederzuringen, das Rasiermesser zu ergreifen und sich damit die Pulsadern aufzuschneiden. Sie kreischte und tobte in ihm wie eine verrückte Gefangene, die wütend an den Gitterstäben ihres zu engen Käfigs rüttelt. Mit schmerzverzerrtem Gesicht wartete er ab, bis ihre Kräfte nachließen und verebbten. Diesen Kampf hatte er für sich entschieden. Sein letzter Kampf …
Zitternd betrachtete er seine blutüberströmten Unterarme. Völlig erschöpft schloss er die Lider, stöhnte, lehnte sich zurück und wartete auf die Agonie. Unaufhörlich floss der Lebenssaft aus seinen Adern. Er röchelte, sein Bewusstsein schwand, dabei sank er immer tiefer in die Wanne, um schließlich ganz unterzutauchen. Sein schwarzes Haar fächerte sich im Wasser auf, die Haarspitzen trieben gleichzeitig mit einigen Luftblasen aufwärts. Seine Lider öffneten sich. Noch ein letztes Aufbäumen, dann war er ertrunken.
Weiß schimmerte sein Gesicht auf dem Grund der Badewanne durch das rötliche Wasser hindurch. Zwei dunkle Augen mit starrem Blick.
BEGEGNUNG IN DER KATHEDRALE
Draußen tobte ein Schneesturm und die sakrale Stätte, in der ich mich zum Schutz niedergelassen hatte, war für mich wie das ruhige Auge eines Zyklons. Um diese Tageszeit war die dreischiffige Kathedrale von Saint Belem menschenleer. Die Kirchenorgel strahlte in den ganzen Raum und brachte die kalte Luft zum Vibrieren, während die Steinwände den Weihrauch von Jahrhunderten ausdünsteten.
Mit einem Knarren öffnete sich plötzlich hinter mir das Südportal. Ich spürte den eisigen Luftzug im Nacken und hörte Schritte. Man kann sich meine Überraschung vorstellen, dass sich gleich darauf ein älterer Herr direkt neben mich auf die Bank setzte, wo es doch mehr als genügend freie Plätze gab. Er zog seinen Hut vor mir, und ich nickte ihm zu. Beide lauschten wir in der Folge andächtig der majestätischen Musik, während ich den Mann aus dem Augenwinkel beobachtete. Er schien das spitzbogige, mit Maßwerk verzierte Buntglasfenster in der linken Wandfläche zu betrachten. Es zeigte, wie ich nun bemerkte, den Sündenfall von Adam und Eva.
Mein Name ist Peter Gent, ich handle mit Antiquitäten und bin seit vier Jahren verwitwet. Meine Frau Ruth starb bei einem Autounfall. Als ich sie damals im pathologischen Institut identifizieren musste, schien ihr Leichnam von einem flirrenden Glanz umgeben. Ich griff nach ihrer Hand, dabei verrutschte das Leintuch und gab den Blick frei auf ihren zerfetzten Oberkörper.
Dieser Anblick, der mir rasch das Bewusstsein nahm, verfolgt mich bis zum heutigen Tag. Mit Ruth war auch ein großer Teil von mir gestorben, und im Nebel der Depression bin ich noch immer unfähig, ein neues Lebenskapitel aufzuschlagen.
Die Musik war verstummt. Der Fremde wandte sich mir zu und fragte: »Kommen Sie oft hierher und beten?«
»Nein, ich bete nie. Allein der Schneesturm trieb mich hierher«, sagte ich.
»Warum beten Sie nie?«
»Weil mir der alte Knabe da oben ohnehin nicht antworten würde.«
»Wie recht Sie haben«, sagte er gemessen lächelnd und deutete auf den Sündenfall. »Haben Sie schon darauf geachtet? Kein Mensch weiß heutzutage mehr, dass dieses Werk von Gérard Garouste stammt. Unfähige Kunsthistoriker ordneten es einer falschen Epoche zu.«
Darauf wusste ich nichts zu erwidern.
Er blickte mich durchdringend an und ich sah in seine wachen, listigen Augen, über denen buschige Brauen thronten. Sein Gesicht erschien mir kraftvoll. Er war in Ehren ergraut und wirkte sehr gepflegt, vielleicht an der Grenze zur Dekadenz. Ich schätzte ihn um die fünfundsechzig. Auf mich machte er den Eindruck eines erfolgreichen Geschäftsmanns. Der schwere, holzige Geruch seines Aftershaves stieg mir in die Nase und machte mich fast ein wenig trunken. Ich legte den Kopf СКАЧАТЬ