Название: El Raval
Автор: José R. Brunó
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783960082033
isbn:
Pep erkannte das Opfer sofort, obwohl der Leichnam sehr stark mit Blut verschmiert war.
»Das ist Melisa Agramontes«, bemerkte er kurz.
Laura Velasquez schaute ihn erstaunt an, ohne ein Wort zu sagen.
Die Blutspuren, die sich an der Wand im vorderen Bereich des Hausflurs befanden, waren zweifelsfrei von der Toten. Auf dem Boden im Eingangsbereich des Hauses lagen drei Zigarettenstummel der Marke Lola, die sorgfältig eingetütet und mitgenommen wurden.
Außerdem entdeckte Pep in der großen Blutlache im vorderen Bereich noch einige Fußspuren. Diese Spuren waren entweder vom Täter oder irgendeine Person war hier herumgetrampelt. Eine chaotische Situation. Pep bemerkte Leute, die sich Zugang verschafft hatten und die er nie zuvor gesehen hatte.
Laura Velasquez war die einzige, die die Lage im Griff zu haben schien. Pep kannte die Forensikerin als eine besonnene Kollegin, aber das sollte sich augenblicklich ändern.
»Wenn du nicht gleich dafür sorgst, Pep, dass die Leute verschwinden, die hier nichts zu suchen haben, schmeiße ich sie alle eigenhändig hinaus. Dies ist ein Tatort und kein Rummelplatz.«
Pep war so erschrocken, dass er umgehend tat, wie ihm geheißen wurde. Inzwischen schien Laura sich wieder beruhigt zu haben und wandte sich erneut ihrer Arbeit zu. Akribisch machte sie Fotos von den Fußspuren, die möglicherweise vom Täter stammen konnten.
Die Wände des Hausflurs waren bis zur Höhe von einem Meter fünfzig in einer hässlichen braunen Farbe gestrichen, an der auch schon der Zahn der Zeit genagt hatte. Die braune Farbe war an vielen Stellen bereits abgeplatzt und man konnte erkennen, dass die Wände einmal blau gewesen sein mussten. Laura hatte einige Stellen dieser Wand abgeklebt und suchte verzweifelt nach Fingerabdrücken.
Die Leiche war inzwischen abtransportiert und in die Gerichtsmedizin gebracht worden. Laura hatte ihre Arbeit getan und packte ihre Utensilien zusammen.
»So, jetzt gehen wir erst einmal frühstücken«, sagte Pep und schaute die beiden am Tatort verbliebenen fragend an. »Und, was ist mit euch?«
Die Einladung sollte in erster Linie Laura gelten, die dem unerfahrenen Pep vor wenigen Augenblicken ein paar Worte gesagt hatte, die ihm sicherlich nicht gefallen konnten. Pep war anfangs etwas in seiner Eitelkeit gekränkt, aber er musste schnell erkennen, dass ihr Wutausbruch seine Berechtigung gehabt hatte. Er war der Verantwortliche am Tatort und hätte dafür Sorge tragen müssen, dass die Spurensicherung zunächst ihre Arbeit machen konnte. Eigentlich hatte er gelernt, dass niemand den Tatort zu betreten hatte, bevor die ›Spusi‹ nicht die vermeintlichen Spuren gesichert hatte. Das alles hatte Pep in seiner Aufregung außer Acht gelassen.
»Ich muss in die Forensik zurück, auf mich wartet noch ein Haufen Arbeit«, sagte Laura und entfernte sich.
Zurück blieben die beiden noch unerfahrenen Polizisten, die sich betont selbstbewusst gegeben hatten, wobei zumindest die aschfahle Farbe im Gesicht von Xavi etwas anderes andeutete.
Pep hatte sich dabei ertappt, dass er den Freund eine Weile am Tatort beobachtet hatte. Er war einmal mehr von der Gelassenheit seines Partners Javier Fernandez überrascht. Xavi versuchte, sich besonders cool zu geben, aber Pep kannte ihn besser: Das würde nicht spurlos an einem jungen Polizisten vorübergehen, der sich dafür entschieden hatte, im Dreck zu wühlen, obwohl er es gar nicht nötig hatte.
Pep musste an Xavis Vater denken, der durchaus in der Lage gewesen wäre, für seinen Sohn etwas Besseres zu finden. Javier Fernandez war intelligent genug, zu wissen, dass man mit ›Vitamina‹, wie man es nannte, alles machen konnte. Aber er wollte wohl sein eigenes Ding machen und außerdem schien er es zu mögen, mit Pep zusammenarbeiten zu dürfen. Für ihn war die Freundschaft zu seinem Kollegen Pep viel wichtiger als die Privilegien seines Vaters.
Die beiden entschieden sich für die Cafeteria Metro, die sich an den Ramblas del Raval befand.
*
Dem jungen Pep war eigentlich nicht nach Kaffee zumute, er spürte Traurigkeit und ein tiefes Mitgefühl für die Opfer. Seit seiner frühesten Jugend hatte er ein Faible für die Damen aus dem Milieu. Die Prostituierten hatten seine Kindheit geprägt.
Er hatte erkannt, dass man sich am besten bei den sogenannten Putas, den Huren, etwas Taschengeld verdienen konnte. Sie verdienten schnelles Geld und genauso schnell gaben sie es auch wieder aus. Zweidrittel der in El Raval lebenden Damen prostituierten sich und lebten vom Sextourismus der siebziger Jahre. Pep war im zarten pubertären Alter von dreizehn Jahren und dem weiblichen Geschlecht durchaus zugetan.
Alle Huren im Barrio Chino kannten den kleinen Pepito, den Sohn der Maria, der bereits im frühesten Kindesalter seiner Mutter im Geschäft helfen musste. Andere Kinder seines Alters begannen, die Touristen zu beklauen, die Frontscheiben der Autos zu reinigen oder zu betteln. Pep hatte sich für eine andere Variante entschieden. Er mochte die Damen aus dem Milieu und alle Huren waren geradezu vernarrt in den kleinen Zigeunerjungen.
Am liebsten waren ihm die Botengänge für Pilar. Sie war eine hübsche junge Hure mit langen schwarzen Haaren und üppigen Kurven. Sie war aus Andalusien, was man unschwer an ihrem Dialekt erkennen konnte.
Um etwas größer zu wirken, trug sie immer Schuhe mit hohen Absätzen und ein kurzes Röckchen über ihren wohlgeformten Beinen. Bei Pilar bekam er mal fünfundzwanzig, mal fünfzig Pesetas, wenn er für sie ein paar Besorgungen machte. Das war nicht wenig, eine Coca Cola, die er sich hin und wieder gönnte, kostete acht Pesetas.
Pilar wohnte in der Carrer Sant Martí, wo sie auch ihre Liebesdienste im ersten Obergeschoss anbot.
Er hatte sich schon einige Male heimlich gewünscht, einmal mit ihr die Stiege in den ersten Stock hinaufgehen zu dürfen. Klar waren fünfundzwanzig Pesetas viel Geld, aber hätte er nicht gerne mal auf das Geld verzichtet, wenn sie ihn einmal in die körperliche Liebe einweisen würde?
Diese Frage hatte Pep immer wieder verworfen. Er wusste, dass es diese Beziehungen‹ in ein paar Jahren nicht mehr geben würde. Erst einmal brauchte er Geld, um seine Bedürfnisse zu stillen und seiner Mutter nicht auf der Tasche liegen zu müssen und zum anderen hatte er sich im Laufe der Jahre einen beachtlichen ›Kundenstamm‹ aufgebaut, den er nicht verlieren wollte.
Zunächst begnügte sich der junge Pep mit ein paar Küsschen oder Umarmungen von Pilar und den Damen, für die er täglich Besorgungen machte.
Pep erinnerte sich an Maria Jesus aus der Carrer Sant Pau, seine ›Lieblingskundin‹. Sie war etwa fünfunddreißig Jahre alt und hatte riesige Brüste. Maria Jesus war Mallorquinerin und ihr langes blondes Haar gefiel nicht nur ihm, sondern auch ihren Kunden. Im Barrio war sie auch bei allen anderen sehr beliebt. In dieser Zeit machte man hier keine Unterschiede. Es gab keine Standesdünkel und Hure zu sein war nichts Anrüchiges. Die Menschen, die hier lebten, waren die Außenseiter der Gesellschaft und dementsprechend war der Zusammenhalt unter den Bewohnern dieses Viertels. Hier zählte nur der Mensch. Jeder hatte mit sich selbst genug zu tun und man respektierte sich. Die Begrüßung zwischen der etwas korpulenten Hure und ihm war immer sehr herzlich: die in Spanien üblichen Küsschen auf die Wange und noch eine Umarmung. Sie pflegte ihn immer an ihre großen Brüste zu drücken. Das allein war schon einen Besuch bei ihr wert. Darüber hinaus gab es bei Maria Jesus, sofern die Geschäfte gut liefen, immer hundert Pesetas. Sie schickte den kleinen Pepito permanent in den nahegelegenen Mercat de la Boqueria, um Lebensmittel, frisches Obst, Gemüse und andere Dinge zu kaufen.
СКАЧАТЬ