Der Henker. Johannes Sachslehner
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Название: Der Henker

Автор: Johannes Sachslehner

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783990401729

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СКАЧАТЬ id="ulink_5dac5294-fb3e-5456-b4f2-0b6e96a9fa64">HOFFNUNG

       ERINNERUNG

      Über sechs Jahrzehnte trennen uns inzwischen von den grauenvollen Verbrechen der Nazimörder. So wie ihre Opfer haben auch die Täter vielfach ihr Gesicht verloren, Zehntausende von Massenmördern sind in der Anonymität einer sich immer weiter entfernenden Vergangenheit versunken. Vieles aus diesen Zeiten des Terrors und des Schreckens kann nicht mehr erzählt werden, da es vergessen ist, so ganz und gar vergessen, dass es scheint, als ob es nie gewesen wäre.

      Indem sich dieses Buch auf die Suche nach den Spuren eines der österreichischen Täter und seiner zahllosen Opfer begeben hat, möchte es unsere Sinne für die Wahrnehmung der Nazi-Verbrechen schärfen. Es plädiert für eine Wahrnehmung, die über gedankenlose Feststellungen und Lippenbekenntnisse, über das folgenlose Repetieren von Zahlen und Fakten hinausgeht. Die trauerlose, schweigende Gleichgültigkeit, mit der Millionen von Menschen der Kriegsgeneration dem Judenmord, dem Mord an den Roma und Sinti oder an den Homosexuellen und Behinderten zusahen, darf nicht die unsere sein! Es genügt nicht zu wissen, dass sechs Millionen Juden feige ermordet worden sind – dieses Wissen muss auch in unser Herz einziehen, die Verbrechen der Nazis müssen uns Vermächtnis und klarer Auftrag sein, der schmerzende Stachel, der uns antreibt: nicht nachzulassen im Kampf gegen die faschistische Ideologie, gegen Rassismus und Gewalt. Nur wenn das furchtbare Geschehen von damals unauslöschlich Teil unseres Bewusstseins ist, werden wir auch entsprechend reagieren können, wenn sich das Pendel wieder gefährlich in die Richtung faschistischer Herrschaftspraxis bewegen sollte. Wer sich scheut hinzublicken und nur „seine Ruhe“ haben will, darf nicht überrascht sein, wenn schon morgen das Tabu des Tötens außer Kraft gesetzt wird und die Mörder morgen wieder unter uns sind!

      Frieden und Demokratie, die Eckpunkte unseres Wohlstands, sind nur zu bewahren, wenn wir für sie bereit sind zu kämpfen. Die Erinnerung an die Schrecken des Holocaust wird uns Quelle der Kraft sein. Zwar stimmt es, dass dieses Erinnern „nichts sühnt“, wie es der Soziologe Wolfgang Sofsky formuliert hat, und es den Opfern nicht hilft. Inmitten von Ignoranz und Passivität, von Dummheit und Genusssucht unserer „Spaßgesellschaft“ ist sie aber zumindest ein Hoffnungsschimmer: auf ein Bewusstsein von Geschichte, das die Vergangenheit ernst nimmt. Immer wieder liest man in den Aufzeichnungen von Überlebenden des Holocaust, dass sie es nicht glauben konnten, dass derartige Exzesse von Gewalt von Angehörigen einer modernen Gesellschaft überhaupt begangen werden konnten. Man vertraute bis zum letzten Schritt an den Rand des Massengrabes darauf, dass diese „unvorstellbaren“ Verbrechen unmöglich seien – und wurde eines Besseren belehrt! In den Todeslagern und Tötungsfabriken der Nazis zeigte sich: Auch wer Goethe liest und Richard-Wagner-Opern hört und von Kant schwärmt und von Schopenhauer, ist vor dem Blutrausch des Mordens nicht gefeit – der Holocaust führte das Gerede von der deutschen „Kulturnation“ ebenso ad absurdum wie jenes vom „Kulturland“ Österreich. Ja, die Schreie der Gemarterten und der Sterbenden sind nicht mehr hörbar, ihre Hilflosigkeit und Verlassenheit, ihre Verzweiflung und ihre Todesangst nicht mehr spürbar, wir, die Nachgeborenen, können nicht mehr helfen, nichts, nichts kann rückgängig gemacht werden. Wir können allenfalls die Opfer für die Untaten unserer Großväter und Großmütter, unserer Väter und Mütter um großmütige Verzeihung bitten. Wir können aber zuhören, wenn Überlebende erzählen, wir können unser Gewissen erforschen und zumindest die richtigen Schlüsse ziehen. Aus der Erinnerung wächst eine wichtige Erkenntnis: Die Archive des NS-Grauens eröffnen uns Dimensionen des Menschseins, die wir nicht wahrhaben wollen und die dennoch Wirklichkeit sind. An die Stelle des „Willens zum Nichtwissen“ (Wolfgang Sofsky) muss daher der Willen zum Wissen treten – nicht als lästige Pflicht und sinnentleertes Ritual der allseits geforderten political correctness, sondern als Selbstschutz. Wenn wir überleben wollen, müssen wir handeln!

      Der Wiener SS-Killer Amon Leopold Göth, von dem dieses Buch erzählt, handelte nicht aus Befehlsnotstand. Er war kein „Täter wider Willen“. Göth war sein eigener Herr und scherte sich wenig um Vorgesetzte, ja, er hasste all die „Schreibtischhengste“ in ihren Büros. Das Töten war allein seine Initiative, er tat es aus Lust und nicht aus Zwang. Er benötigte keinen Befehl, sondern nützte skrupellos den „Freiraum“, den ihm die Todeswelt der Lager bot. Göth, der Lagerkommandant, zelebrierte seine uneingeschränkte Macht über rechtlose Häftlinge bis zum Exzess. In einer barbarischen Welt, in der Menschenwürde nichts mehr zählte, genoss er es, alle Grenzen des Menschlichen zu überschreiten. Es war der wollüstig-teuflische Reiz des Töten-Dürfens, dem er nicht widerstehen konnte, dieser letzte „Kick“, den er empfand, wenn er in die Augen der Todgeweihten blickte. Und er war kreativ, wenn es darum ging, dieses Morden „mit Stil“ zu inszenieren. Ihm, dem erfinderischen Regisseur des Todes, wurde das Lager zur Bühne, auf der Tag für Tag in immer neuen Varianten dasselbe blutige Schauspiel gegeben wurde: der Mord an den Juden. Gekonnt setzte er die entsprechenden Signale für seine „Mitspieler“: das Tragen einer bestimmten Mütze und/​oder von weißen Handschuhen, Schlagermusik, Walzer und große Oper – das Töten wurde so gleichsam zum „Event“, es hatte tatsächlich Unterhaltungswert und machte ihm und seiner SS-Entourage nicht wenig „Spaß“. Es war ein „Sport“ für „harte“ Männer. All das wussten die Häftlinge auch bald richtig zu deuten und zu fürchten. Ein eigener Lagercode für die Zahl der Opfer wurde kreiert: 4 : 0 hieß es lakonisch am Lagertor, wenn Häftlinge abends von ihrem Arbeitseinsatz zurückkamen – vier Tote, für Göth das „Ergebnis“ des Tages.

      Der Verlegersohn aus Wien verlor dabei niemals die „wirtschaftliche“ Seite des Judenmordes aus den Augen: jene attraktiven Gewinnaussichten, die ihn bereits träumen ließen von einem Luxusleben als Bankhaus-, Druckerei- und Landgutbesitzer. Göth sah die einmalige Chance gekommen, sich für die Zeit „danach“ als „Unternehmer“ großen Stils etablieren zu können – man musste es nur geschickt anfangen. Doch da ließen ihn seine Kumpane schlussendlich im Stich …

      Göths Geschichte ist die exemplarische Geschichte eines jungen Österreichers, der vom idealistisch gesinnten braunen „Revolutionär“ zum gewissenlosen Akteur des Massenmordes wurde. Eindringlich führt sie uns vor Augen, was an Bestialität und Menschenverachtung möglich ist, wenn nur die Bedingungen dafür geschaffen werden. Es ist daher eine Geschichte, die uns alle angeht.

       Johannes Sachslehner

      März 2008

      Kosename Mony

      Es ist der 11. Dezember 1908. Unter den Menschen, die an diesem trüben Wintertag in Wien geboren werden, sind manche, denen ein außergewöhnliches Schicksal vorgezeichnet ist. Da ist etwa ein Mädchen, die Jüdin Ruth Weiss. 1933 wird sie nach Shanghai emigrieren; später wird die Lehrerin und freie Journalistin Augenzeugin der chinesischen Revolution und der Aufbaujahre der Volksrepublik China, sie stirbt 2006 im Alter von 97 Jahren. Und da ist ein Junge, Amon Leopold Göth. Er wird 1946 am Galgen sterben, sein Leichnam verbrannt, die Asche verstreut. Die Erinnerung an ihn wird jedoch für immer bleiben.

      Er tritt ins Leben im Haus Nummer 5 in der Morizgasse in der Vorstadt Gumpendorf. Hier liegt an diesem 11. Dezember 1908 die 31-jährige Bertha Göth in den Geburtswehen, ihr zur Seite steht die Hebamme Maria Altmann, die aus der nahen Stumpergasse herbeigerufen worden ist und das Vertrauen der Gebärenden besitzt. Als der ersehnte Sohn das Licht der Welt erblickt, ist die Freude groß.

      Eine Woche später, am 18. Dezember 1908, bringen Amon Franz und Bertha Göth ihr Kind in die Pfarrkirche Gumpendorf zur Taufe; Taufpate ist Onkel Amon Göth, wohnhaft in der Oberen Augartenstraße 50, als Beruf hat er im Pfarramt „Geschäftsleiter“ angegeben.

      Die Eltern sind sich einig: Ihr Sohn wird jenen ungewöhnlichen Vornamen tragen, der in der Familie zur Tradition geworden ist: Amon. СКАЧАТЬ