Die Fischerkinder. Im Auge des Sturms. Melissa C. Feurer
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Название: Die Fischerkinder. Im Auge des Sturms

Автор: Melissa C. Feurer

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная классика

Серия:

isbn: 9783961400911

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СКАЧАТЬ war, wenn sie einander ansahen, im Arm hielten oder nur stumm nebeneinandersaßen. Mira hatte nie zwei Menschen gesehen, deren Leben, ja deren ganze Wesen so untrennbar miteinander verwoben waren. Was würde mit Urs geschehen, wenn Biene nicht zurückkäme?

      „Du wirst nicht in die Stadt gehen, oder?“, fragte sie leise.

      Urs drehte ihr flüchtig den Kopf zu, dann starrte er wieder aus dem Heckfenster.

      „Nicht vor dem Morgen jedenfalls“, setzte Mira hinzu. „Du bist Biene keine Hilfe, wenn sie dich während der Ausgangssperre draußen erwischen.“

      „Hier bin ich ihr auch keine Hilfe“, knurrte Urs.

      „Wenn sie bis Sonnenaufgang nicht zurück ist …“ Mira schluckte. Urs würde nicht bis Sonnenaufgang warten. Und wie könnten sie es von ihm erwarten? Er liebte Biene, er konnte sie einfach nicht verlieren. „Lass uns noch eine Weile warten“, flüsterte Mira. „Dann können wir …“

      „Still!“ Urs hob die Hand, und als Mira verstummte, hörte sie es auch. Hastige Schritte draußen auf dem Schrottplatz.

      „Warte“, raunte Chas. „Es könnten auch Wachen sein.“

      Aber Urs hatte sich bereits durch das Heckfenster geschoben und begann, den Fluchttunnel emporzuklettern. Seine übliche Vorsicht und Selbstbeherrschung waren wie weggewischt.

      Mira schloss ihre Hand um Chas’ Finger und lauschte. „Urs!“, ertönte endlich eine Stimme. Eindeutig die von Biene. Aber Mira wollte kein Stein vom Herzen fallen. Zu deutlich schwang die Angst in Bienes atemlosen Ruf mit.

      „Ihr müsst euch das ansehen! Ihr müsst … Mira!“

      Mira stürzte zum Heckfenster. Erst als sie schon halb draußen im Tunnel war, fiel ihr Chas wieder ein. Sie wandte sich zu ihm um. „Warte hier. Ich sehe nach, was los ist, und komme wieder.“

      Sie wusste, dass es das einzig Sinnvolle war, aber es fühlte sich dennoch falsch an, Chas zurückzulassen. Dass er nichts erwiderte, machte es nicht besser.

      Trotzdem kletterte Mira, so schnell sie nur konnte, aus ihrem Versteck.

      Draußen war es heller. Mondlicht beschien den Autofriedhof, die Berge unnützer Metallteile und den freien Platz, auf dem Urs und Biene in inniger Umarmung standen.

      Als Mira neben ihnen den Schrotthaufen hinabstolperte, löste Biene sich von Urs. „Ihr müsst mitkommen. Ihr glaubt nicht, was in der Stadt vor sich geht!“

      „Aber die Ausgangssperre …“

      „Glaubt mir, heute kümmert das keinen.“ Mira fiel auf, dass Bienes Gesicht ganz rot war. Das kurze Haar stand wild von ihrem Kopf ab. Sie stellte einen offenbar gut gefüllten Rucksack am Fuß des Schrotthaufens ab und nahm Urs bei der Hand. Er ließ sich ohne zu zögern von ihr mitziehen.

      Mira brauchte ein wenig länger, aber sie folgte den beiden. In leichtem Trab näherten sie sich der Stadt und sprachen dabei nicht. Deshalb hörte Mira die Stimmen auch schon von Weitem. Dem Geräuschpegel nach zu urteilen, musste halb Cem auf den Beinen sein.

      Die ersten Häuser, die in ihre Sichtweite kamen, bestätigten diesen Eindruck. Menschen standen in offenen Türen oder lehnten sich aus den dunklen Fenstern. Strom hatten die privaten Haushalte um diese Zeit längst nicht mehr, aber manche Leute hatten Taschenlampen oder sogar Kerzen bei sich, die dem weißen Licht des Mondes ein wenig nachhalfen und neugierige, aufgeregte und erschrockene Gesichter erhellten. Man reckte die Hälse, sah die Straße hinab und unterhielt sich dabei aufgeregt.

      Die drei Neuankömmlinge beachtete niemand. Völlig unbehelligt folgten Urs und Mira Biene weiter die Straße hinab, wo das Aufgebot an nächtlichen Schaulustigen noch zunahm. Stellenweise hatte sich eine richtige Menschenmasse gebildet.

      Dicht gedrängt standen sie in den Straßen. Erwachsene und Kinder, Mittellose und offensichtlich Bessersituierte, besorgt Tuschelnde und sich schaulustig Reckende. Die ganze Szene war von rötlichem Schein erhellt, der direkt aus dem Herzen der Menschenmenge zu dringen schien. Er ließ die Schatten der Versammelten tanzen und flackern. Jemand musste dort ein Feuer entzündet haben.

      Mira musste sich strecken, weil die Leute hier so dicht standen, dass sie nur die Rücken einiger Frauen direkt vor sich sehen konnte. Eindeutig, Flammen. Mannshoch loderten sie bereits. In Miras Bauch zog sich etwas schmerzhaft zusammen. Warum machte niemand Anstalten, das Feuer zu löschen? Wussten die Menschen nicht, wie rasch solch ein Brand sich ausbreiten konnte? Die Armenviertel von Leonardsburg waren innerhalb einer einzigen schrecklichen Feuernacht nahezu dem Erdboden gleichgemacht worden.

      „Nein!“

      Mira fuhr herum, um dem Ursprung des gellenden Schreis nachzugehen. Aus einem Haus zu ihrer Rechten schleppten zwei Wachmänner eine Kiste. Eine Frau mit langem, grauem Haar machte es ihnen fast unmöglich, indem sie sich an ebendiese Holzkiste klammerte.

      Ein junger Mann wiederum hielt die Frau am Arm zurück. „Mutter, bitte“, flehte er. „Lass sie ihre Arbeit machen. Sie werden dich sonst verhaften. Ich bitte dich!“

      Aber die alte Frau dachte gar nicht daran. Was immer sich in der Kiste befand, es schien von enormem Wert für sie zu sein. Mit einer Kraft, die man ihren dünnen Armen kaum zugetraut hätte, zerrte sie daran. „Nehmen Sie sie mir nicht weg. Nicht ins Feuer, bitte, nicht ins Feuer!“

      Die Umstehenden traten hastig einige Schritte zurück, als die Wachmänner die Kiste samt der Frau durch die Tür nach draußen zerrten. Aus dem Augenwinkel sah Mira, wie Urs zuckte, aber Biene legte ihm die Hand auf den Arm, und er blieb widerwillig, wo er war.

      „Nicht verbrennen!“, flehte die Frau und zog mit aller Kraft an der hölzernen Kiste − ohne auch nur den geringsten Erfolg. Im Feuerschein blitzte es silbern auf, als einer der Wachmänner eine Schusswaffe zog.

      „Mutter!“ Der Mann packte die Frau an beiden Schultern, um sie aus der Schusslinie zu ziehen, doch der Wachmann schien gar nicht vorzuhaben, auf sie zu schießen. Stattdessen rammte er den metallenen Kolben der Waffe so unvermittelt in ihre Rippen, dass die Frau von den Füßen gerissen wurde. Ihr Sohn stürzte sofort an ihre Seite. Mira wäre vielleicht auch zu ihr geeilt oder hätte sich zumindest vergewissert, ob die Frau wieder auf die Beine kam. Doch in diesem Moment traten die Menschen zur Seite, um den Wachleuten Platz zu machen, und Mira erhaschte einen Blick auf das Feuer.

      Es mussten Hunderte sein, vielleicht Tausende. Manche waren aufgeklappt und offenbarten ein letztes Mal ihre dicht beschriebenen Seiten, die oft gelesenen, geliebten Worte, die mancher im Schein einer Taschenlampe in sich aufgesogen hatte, sie vor sich hingemurmelt, auswendig gelernt haben mochte. Andere waren verschlossen, doch auch die ledernen, leinenen, glänzenden Umschläge konnten das kostbare Gut aus dünnem, leicht entflammbarem Papier nicht schützen. Die Glut fraß sich in dicke Wälzer, verschlang dünne Heftchen und kroch über kunstvolle Titelbilder. Nichts blieb verschont.

      Am Rande der Flammen drehten die beiden Wachmänner die Kiste um, und drei weitere Dutzend Bücher ergossen sich in das Inferno.

      Mira schob sich an den Menschen vorbei, drängte sich so nahe an das Feuer, dass sie die Hitze auf ihrem Gesicht spürte. Die gleiche Hitze, die nur einen knappen Meter von ihr Millionen von kostbaren gedruckten Worten und Sätzen vernichtete. Unfähig, sich der glühenden Hitzequelle weiter zu nähern, ging sie in die Hocke und starrte in die Flammen. Die Luft flirrte vor Hitze und ließ Miras Blickfeld verschwimmen, aber dennoch glaubte sie, einen vertrauten Titel unter den frisch СКАЧАТЬ