Katzmann und das schweigende Dorf. Jan Eik
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Название: Katzmann und das schweigende Dorf

Автор: Jan Eik

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783955520526

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СКАЧАТЬ hoffte Konrad, dass es nicht den alten Heinrich Geisler oder dessen Frau Ernestine getroffen hatte, beide hoch in den Siebzigern, wenn nicht älter, und ihm vertraut wie nahe Verwandte.

      Deshalb fühlte er sich erleichtert, als er in Hainichs stattlichem Vierseitenhof als Erstem just dem alten Heinrich Geisler in die Arme lief, in einen weiten schwarzen Anzug gehüllt und mit einer zutiefst bekümmerten Miene. «Gunnrahd», rief der Alte wie ein Ertrinkender, der einen Balken erspäht, «dass du gekommen bist!»

      Also doch die unermüdliche und nahezu stumme Ernestine, die wahre Seele der Familie Geisler! Konrad schüttelte die knochige Hand des Alten und sprach ihm sein Beileid aus. Beinahe hätte er ihn umarmt, doch erschien ihm das unschicklich. Zu derlei Vertraulichkeiten neigten die Wulkersbacher nicht.

      Heinrich Geisler nickte kummervoll mit seinem weißen Haupt, und die gelblichen Spitzen seines Kaiser-Wilhelm-Schnauzers zitterten dabei. «Woher weißt du es überhaupt? Hat es sich bis Dresden rumgesprochen?»

      Konrad wollte ihm nicht erläutern, dass er ja nicht einmal sicher war, um wen es sich bei dem oder der Dahingeschiedenen überhaupt handelte, und dass er rein zufällig hier aufgetaucht war. Er fragte nur diplomatisch: «Wie ist es denn dazu gekommen?»

      Aus wässrigen Augen sah ihn der Alte fest an. «Ein Mord!», sagte er voll tiefer Trauer und Abscheu und stieß seinen Knotenstock erregt auf das Hofpflaster. «Ein ruchloser, blutiger Mord! Genau wie seinerzeit …»

      Konrad erinnerte sich dunkel an eine Mordgeschichte, die mit dem Rauber zusammenhing. «Wie ist es denn passiert?», wollte er wissen. Direkt nach dem Namen des Opfers wollte er nicht fragen, dazu war es zu spät. Oma Ernestine konnte es kaum sein.

      Heinrich Geisler, trotz seines Alters noch immer eine stattliche Erscheinung, hob die knochigen Schultern. «Hinterrücks erstochen. Im Rauba», stieß er dumpf hervor. Wiederum zitterten die Enden seines mächtigen Schnurrbartes. «Gehr nur rein», sagte er. «Die werden sich alle freuen, dich zu sehen.»

      Damit hinkte er in Richtung Abort davon, nicht ohne die Mahnung zu hinterlassen: «Bind den Hund hier draußen an!» Was Konrad zu Harrys Leidwesen umgehend tat. In solchen Dingen war man im Dorf empfindlich. Ein Hund gehörte nicht in eine Trauergemeinde.

      Während des Gesprächs mit dem alten Geisler hatte sich niemand genähert, jetzt begrüßten die Männer im Hof Konrad. In seiner ledernen Motorradkluft kam er sich reichlich deplaciert vor, doch das half nun nichts. Er musste hinein in Hainichs Heuboden, der vor langen Zeiten einmal der Tanz- und Festsaal des Dorfes gewesen war. Den hatten sie also extra ausgeräumt für die Trauerfeier oder vielmehr für den Leichenschmaus zu Ehren des Ermordeten. Er wusste noch immer nicht, um wen es sich handelte.

      Im Eingang begegnete ihm Robert Börner, einer der engsten Gefährten seiner Kindheits- und Jugendtage in Wulkersbach. Beinahe erschrocken erkannte er Konrad. «Mensch, Feierhänd, desderwegen schickt dich extra deine Zeidung her?», fragte er erstaunt.

      Wie alle im Ort sprach Robert den kehligen, schwer verständlichen Dialekt der Gegend, der stärker als das gewöhnliche Sächsisch die Konsonanten aufweichte und die Vokale verfälschte. Eine Form des Osterländisch-Vorvogtländisch-Erzgebirgischen mochte das sein. Jedes Dorf redete in einer anderen Variante. Die meisten davon verstand Konrad ganz gut. Er hieß hier eben Gunnrahd und unter den alten Freunden Feierhänd.

      Er zog Robert zur Seite. «Unsinn!», sagte er. «Ich bin eigentlich ganz zufällig hier und weiß nicht mal, was wirklich passiert ist. Erzähl mal!»

      Robert sah sich um, als fürchte er, jemand könne ihn dabei beobachten, ein Geheimnis zu verraten. «Der Ferdinand», murmelte er, «ist draußen am Rauber erstochen worden. Hat euer Blatt das nicht gemeldet?»

      «Kann sein …» Lokale Schreckensmeldungen - und deren gab es genug in diesen schlimmen Zeiten - las Konrad nicht sonderlich aufmerksam, solange sie nicht die Umgebung von Dresden betrafen. Der Name Wulkersbach aber wäre ihm aufgefallen. Das Dorf war so etwas wie eine zweite Heimat. Er war ein schwächliches Kind gewesen, mit dem die Mutter sich der gesunden Landluft und der frischen Milch wegen auf dem Hof ihrer entfernten Cousine Anni und deren Mann Ferdinand einquartierte, in der Hoffnung, Konrads beängstigende Erstickungsanfälle wirksam zu kurieren. Mit den Jungen im Dorf, die den Großstädter anfangs bis zu Tränen der Wut hänselten, hatte ihn nach erstaunlich kurzer Zeit eine feste Kameradschaft verbunden, die er seiner gründlichen Kenntnis der grünen Bände eines gewissen Karl May verdankte. Im Dorf las man außer der Bibel kaum ein Buch, doch die Abenteuer des angeblichen Weltenbummlers aus dem nahen Hohenstein-Ernstthal, der noch dazu im benachbarten Waldenburg studiert hatte, waren auch bis zu den Wulkersbacher Jung-Apatschen gedrungen.

      Großmütig hatten sie Konrad als kränkliches Bleichgesicht mitspielen lassen, das sie am Marterpfahl zu quälen gedachten. Bald jedoch hatte dieses städtische Greenhorn ihnen tausenderlei Fehler in ihren dürftigen Stammesriten nachgewiesen und sie anschließend mit nie gelesenen Abenteuern aus Leben und Werk Old Shatterhands vertraut gemacht. Der zu jener Zeit in den Zeitungen heftig geschmähte und von seinen Verehrern noch verbissener verteidigte Kara ben Nemsi hatte damals noch gelebt. Seitdem hatte Konrad jede Zeile von und über den großen Märchenerzähler von Radebeul gelesen und gesammelt und damit vor den staunenden Apatschen geglänzt.

      Einstimmig war er in den Wulkersbacher Stamm aufgenommen worden, dessen Jagdgründe im bachdurchflossenen Grenzwald kaum ein Erwachsener je gestört und in dem der strohblonde Rainer bis zu seinem frühen Tod unangefochten die alte Schmetterhand gespielt hatte. Siegfried Geisler, der dunkellockige Sohn von Ferdinand und Anni, die Konrad der Einfachheit halber Tante Anni nannte, hatte ebenso unangefochten den Winnetou dargestellt. Der lang aufgeschossene Robert Börner, Spross der zweitreichsten Bauernfamilie im Ort, war Old Surehand gewesen, und der Rest der zumeist kindlichen Dorfjugend hatte das Fußvolk dargestellt. Für Konrad war nach einigem Hin und Her nur Old Firehand aus Winnetou Band 4 geblieben, womit er sich großmütig abgefunden hatte.

      Leider war den Bauernlümmeln selten genug Zeit zum Indianerkampf geblieben, und den Gesindekindern erst recht nicht. Immerhin hatte sich ein harter Kern von vier, fünf Jungen gehalten, die Blutsbrüderschaft miteinander geschlossen und feierlich geschworen hatten, sich gegenseitig ein Leben lang beizustehen. An jenem Tag, mindestens zwei Jahre nach Rainers Tod, war Robert der Ehrentitel Old Shatterhand zuerkannt worden, worauf Konrad zu Old Surehand aufsteigen sollte, es jedoch vorgezogen hatte, Old Firehand zu bleiben. Jochen Hainich, nur ein Jahr jünger als Konrad, war der neue Surehand geworden. Der Franke-Alfred hieß natürlich Hobble-Frank, wenn auch nicht Heliogabalus Morpheus mit Vornamen wie sein Urbild, und der untersetzte Gerstner-Ludwig war Sam Hawkens - wenn ich nicht irre, hi-hi-hi.

      Das alles ging Konrad durch den Sinn, während er in seiner Lederkluft ein wenig verloren vor Hainichs Heuboden stand, auf dem die Apatschen einst herumgetobt hatten und in dem das Dorf nun Ferdinand Geisler die allerletzte Ehre erwies.

      Für einen Augenblick verfluchte Konrad die Idee seines zufälligen Besuchs. So viele seines Jahrgangs waren an der Marne und sonst wo in Europa gefallen - in seiner engeren Umgebung war der Tod eher ein seltenes Ereignis geblieben. Jetzt seinem Freund Siegfried und seiner lieben Tante Anni entgegenzutreten und ihnen sein Beileid auszusprechen war eine höchst unangenehme Vorstellung. Ganz zu schweigen von Siegfrieds Schwester Lydia, mit der ihn ein besonderes Verhältnis verband. Vielmehr verbunden hatte. Sie war hoffentlich längst über die Enttäuschung hinweg, die er ihr - wie mancher anderen, wenn auch nicht in Wulkersbach - bereitet hatte.

      Doch das half nun nichts, er musste hinein in den hohen Saal mit der gewaltigen U-förmigen Tafel, an der die Familie Geisler saß, dem Torflügel gegenüber, in dem Konrad einen Moment verharrte. Heinrich Geislers freien Platz hätte man leicht für den von Ferdinand halten können. Die Geislers ohne Ferdinand - das war eine befremdliche Vorstellung. Konrad wurde СКАЧАТЬ