Название: Thor
Автор: Martin Arnold
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783944180168
isbn:
Titelseite Journey into Mystery # 83,1962, © by Marvel
Fritz Lang, Die Nibelungen (Filmplakat), 1924 © by UFA
Titelseite von Donald Duck and The Golden Helmet, Carl Barks, 1952 © by Walt Disney
The Vikings (Filmplakat), 1958, © by MGM
Superman von Joe Shuster, © by Marvel
Titelseite von Thor – Wolves of the North, © by Marvel
Thor-Büste basierend auf die Comic-Figur, © Bowen Designs
Einleitung
Die Darstellungen des altnordischen Gottes Thor sind vielfältig: er wird beschrieben als ein Himmelsgott, als Donnergott, als ein Gott der Meere und der Winde, als Fruchtbarkeitsgott, Kriegsgott und als das letzte Bollwerk gegen das ungeheuerliche Böse. In ihm kommt das Wesen Dänemarks, Schwedens und Deutschlands zum Ausdruck, und – als ein Comic-Superheld – auch jenes der Vereinigten Staaten. Mit dem Etikett der Gegnerschaft zu Christus behaftet, wurde er als Satan, Gegner Roms und des römischen Katholizismus bezeichnet – letzterem zufolge aber auch als Vorkämpfer des protestantischen Europa. Thor wurde als allmächtiger Gott wahrgenommen, ebenso aber hat man ihn auch verachtet, weil er feige sei; er wurde als Inbegriff des Guten vergöttert, aber auch für seine „Grobheit“ und „Rüpelhaftigkeit“ getadelt; man feierte ihn als „Beschützer des Vaterlandes“, empfahl ihn als freundlichsten und gutmütigsten aller Götter, suchte ihn auf, um Techniken zur Nutzbarmachung der kosmischen Energie zu entwickeln, und rief ihn als „Großen Mächtigen Thor“ an. Eine charakteristische, stets erkennbare Eigenschaft Thors, auch wenn er von christlichen Missionaren vor über 1000 Jahren gefürchtet wurde, ist die Hingabe, mit der er die Menschheit vor dem Bösen zu beschützen, wie auch immer dieses Böse definiert sein mag.
Von allen altnordischen Göttern ist Thor der Einzige mit dieser besonderen Mission, und er ist auch der Einzige, der viele seiner gefährlichen mythologischen Abenteuer in menschlicher Gesellschaft erlebt. Man kann ihn daher auch als einen „Gott des Volkes“ bezeichnen. Dennoch bestand Uneinigkeit im Hinblick auf die Ziele, denen Thor dient, sowie auf die Feinde, gegen die seine Kräfte gerichtet sein sollen. Diesbezüglich kann gesagt werden, dass er in den letzten 1000 Jahren – und besonders deutlich in den letzten 250 Jahren – in Anspruch genommen wurde, um verschiedenste nationale und regionale Angelegenheiten zu fördern. Kein anderer Gott der altnordischen Mythologie, nicht einmal Thors Vater Odin, hat eine derart kontroverse und prominente Geschichte.
Die vorliegende Studie beginnt mit einer Erkundung der Erscheinungen Thors in den frühesten bekannten Quellen, hauptsächlich in jenen, die im mittelalterlichen Island in der Lieder-Edda und der Prosa-Edda erhalten geblieben sind. Dann wird den Fragen nachgegangen, warum und wie eine so vielschichtige Mythologie überhaupt entstehen konnte und wie es kommt, dass sich dem Thor ähnliche Gottheiten auch in den antiken Mythen des Mittelmeerraumes, Persiens und Indiens finden. Diese Gemeinsamkeiten mythologischer Systeme gehen über bloßen Zufall hinaus und führen uns in Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung zum – wahrscheinlich – ursprünglichen Donnergott zurück. Doch es war der altnordische Thor, der hammerschwingende Verbündete des einfachen Volkes, den die Krieger und Seefahrer der Wikinger verehrten, dessen Erinnerung in den isländischen Sagas und der skandinavischen Geschichte durch das Mittelalter hindurch erhalten geblieben ist, und es war derselbe Thor, der zur Zielscheibe rücksichtsloser Könige wurde, die ihren Einfluss im christlichen Europa auszudehnen suchten. Es waren die Kultstätten Thors, in welchen blutige Menschenopfer dargebracht wurden, die jene Könige und ihre Missionare danach trachten ließen, sämtliche Spuren des Gottes auszutilgen, zumeist mit Feuer, Schwert und Enteignung jener, die sich weigerten, die neue Ordnung anzunehmen.
Mit dem Niedergang des Heidentums und der Verbreitung des Christentums fanden die skandinavischen Länder schnell zu einer neuen kulturellen Identität in Europa, doch das außergewöhnliche Erbe der heidnischen Vergangenheit lebte im Brauchtum fort; skandinavische Monarchen zahlten stattliche Summen für die Erforschung der Frühgeschichte ihrer Länder und leiteten aus dieser das Recht ab, über ihre Nachbarn zu regieren. Auf diese Weise blieben altnordische Mythen und Legenden erhalten. Als im späten 18. Jahrhundert ein neuer Geist der Romantik über Europa heraufzudämmern begann, brach plötzlich das gesammelte Wissen jener Vergangenheit aus der düsteren Enge der Schreibstuben der Hofhistoriker hervor an das Licht der Öffentlichkeit und wurde so zu einer wichtigen Inspirationsquelle für Patrioten, Poeten und Bühnendichter. Gerade Thor kam wie kein anderer dem Bedürfnis vieler entgegen, nationale Traditionen neu anzueignen und fremde Einflüsse abzuschütteln. Wohin genau dies den Gott geführt hat, ist Thema des letzten Teils dieser Untersuchung. Es ist die Erzählung von Gier, Eifersucht, Kriegslust, Vorurteilen und schlussendlich vom Weltkrieg. Ebenso ist es die Erzählung von Thor, der aus einem rein skandinavischen Kontext heraus südwärts in die Niederungen nationalsozialistischer Ideologen im Deutschland Adolf Hitlers gezogen wurde.
Der Makel, mit welchem die altnordische Mythologie seit ihrem Missbrauch durch die Nationalsozialisten behaftet ist, konnte bis heute nicht vollständig eliminiert werden, ebenso wie der damit verbundene Argwohn gegenüber dem elitären Denken der Gelehrten.
Die Gegenbewegung, die sich in den USA im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts als Reaktion auf diese elitäre Kultur ausgebildet hat, war die Massenkultur. Einst dreidimensional zur Schau gestellter Vorkämpfer der „Herrenrasse“, finden wir Thor in den Vereinigten Staaten auf zwei Dimensionen zu The Mighty Thor, einem Superhelden in Nöten, reduziert. Thors Geschichte vom Mythos zum Marvel Comic handelt von der Entwicklung des modernen Europa und dem Aufkommen der Ideologie des Massenkonsums. Sie ist eine Geschichte mythologischer Größenverhältnisse.
DIE EDDAS
Unser Verständnis der altnordischen Mythologie wäre ohne das Traditionsbewusstsein des herausragenden Isländers Snorri Sturluson sehr beschränkt. 1178 oder 1179 wurde er in eine der mächtigsten Familien Islands hineingeboren, deren Abstammungslinie wir bis zu den Norwegern, die ihr Heimatland aufgrund ihrer Ablehnung des Königtums verließen und Island seit den 870er Jahren besiedelten, verfolgen können. Snorris Lebenslauf steht sinnbildlich für die Komplexität und die Widersprüche seiner Zeit. Zweimal in das höchste Amt des Landes, das des Rechtsprechers im Althing (dem isländischen Parlament) gewählt und am norwegischen Königshof hochgeehrt, verhalfen ihm seine politischen Ambitionen zu gewaltigen Besitztümern und größerem Wohlstand als den meisten anderen seiner Landsmänner. Dieselben Ambitionen brachten ihm aber auch den Tod durch die Hände von Schergen des von 1217 bis 1263 regierenden norwegischen Königs Hakon Hakonarson, dessen Interessen in Island zu vertreten, Snorri geschworen hatte. Snorri hatte Hakon nicht nur enttäuscht, sondern war aus dessen Sicht treubrüchig und schließlich aufsässig gegen seinen König geworden. So kam es, in der Nacht des 22. September 1241, dass ein Trupp von 70 bewaffneten Männern im Auftrag des Königs, darunter zwei seiner früheren Schwiegersöhne, Snorris großes Anwesen in Reykholt stürmte. Fünf der Angreifer verfolgten ihren wehrlosen Stammesfürsten bis in sein Versteck im Keller und schlugen ihn dort tot. Es heißt, seine letzten Worte seien „Eigi skal höggva!“ („Erschlagt mich doch nicht!“)1 gewesen.
Snorri Sturluson
Wie Snorris grausames Ende zeigt, СКАЧАТЬ