Inferno Ostpreußen. Fisch Bernhard
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Inferno Ostpreußen - Fisch Bernhard страница 8

Название: Inferno Ostpreußen

Автор: Fisch Bernhard

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783943583779

isbn:

СКАЧАТЬ

      seufztʼ ich – denn singt ein Sklave wohl?

      Da kam Apoll, der Gott:

      Die Fessel weg! mein Erdenblick

      ward hoch – Er gab mir Kant!“54

      Im Alter von zwanzig Jahren wurde Herder als Lehrer an der Domschule in Riga angestellt, in den russischen Ostseeprovinzen, die damals noch über eine gewisse Unabhängigkeit vom russischen Zarismus verfügten. Dort blieb er vier Jahre lang, von 1765 bis 1769. Riga war damals eine aristokratisch-bürgerliche Stadtrepublik unter ständischer Selbstverwaltung. Die deutsche Oberschicht war stark national geprägt, nahm aber auch Einflüsse aus Russland auf. Herder gewann in der Stadt Einsichten in „bürgerliche und Staatsverhältnisse“ (Caroline Herder); es entwickelten sich vor allem seine Menschenkenntnis und patriotische Gesinnung. Er nahm Anteil am gesellschaftlichen Leben der Stadt und versuchte durch Dichtungen, Reden und Predigten Einfluss auszuüben.55

      Später wird er seine hier gewonnene Freundschaft zu dem Rigaer Buchhändler und Verleger Johann Friedrich Hartknoch (1740 – 1789) nutzen, um alle ihm wichtig erscheinenden Schriften über Russland und andere slawische Länder systematisch zu sammeln.

      Ulf Lehmann betont sehr stark die Rolle Rigas bei der Herausbildung des „slawischen Weltbildes“ Herders. Das erscheint übertrieben. Das ist nicht zuletzt der mechanischen Gegenüberstellung von Mohrungen und Riga geschuldet, ohne den Königsberger Aufenthalt zu berücksichtigen. Herder kam in das Baltikum bereits mit nachdrücklichen und umfassenden Eindrücken aus mehreren slawischen Völkern. Der Aufenthalt in Riga hat das Gesamtbild lediglich abgerundet.56

       Exkurs: Straßburg

      Herder hat aber nicht nur dem Osten Europas weitreichende Anregungen gegeben. Von ihm ging der entscheidende Impuls aus, der zu den Höhen der deutschen Literatur führte, die wir die „Klassik“ nennen. Nach vierjährigem Aufenthalt in Riga begab sich Herder auf eine westeuropäische Reise, zunächst nach Paris und dann nach Straßburg. Hier lernte er 1770 den damals noch unbekannten Jura-Studenten Johann Wolfgang Goethe kennen und eröffnete dem Frankfurter eine neue Welt. In der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen französischen Literatur und ihrem Einfluss auf Deutschland machte Herder den Einundzwanzigjährigen mit Shakespeare bekannt. Über diese Gespräche hat Goethe später berichtet: „Ich verschlang das alles, und je heftiger ich im Empfangen, desto freigebiger war er im Geben, und wir brachten die interessantesten Stunden zusammen zu … Was die Fülle dieser wenigen Wochen betrifft, die wir zusammen lebten, kann ich wohl sagen, … daß ich dadurch in die glückliche Lage geriet, alles, was ich bisher gedacht, gelernt, mir zugeeignet hatte … zu erweitern.“57 Diese Impulse nahm Goethe auf, setzte sie in eigenes Schaffen um und wirkte, wie er sagte, „ansteckend für meine Freunde“.58

      Shakespeare kam zu Goethe eben nicht über die Studienjahre in Frankfurt am Main oder Leipzig, sondern über Königsberg im äußersten Nordosten des deutschen Sprachgebiets. Weimar wurde zum Zentrum der deutschen Klassik. Das 1000 Kilometer entfernte Königsberg war in dem Kreis nur eine Randerscheinung, fern am Bernstein-Meer. Trotzdem hatte sich gerade hier die Schaltstelle gebildet, aus welcher der Anstoß zu einer ganzen literarischen Bewegung gekommen ist.

       (Um den Heimatort von Wiecherts Jeromin-Kindern)

      Es geht hier um das masurische Dorf Sowirog, das die Nationalsozialisten 1934 in Loteswalde umgetauft haben. Die 160-Seelen-Gemeinde lag inmitten der weiten Kiefernforste der Johannisburger Heide, am Nordufer des unter Reisenden beliebten Niedersees. Der unweit davon geborene Försterssohn, Pädagoge und Schriftsteller Ernst Wiechert soll hier die Bühne errichtet haben, auf der er die „Jeromin-Kinder“, eine masurische Bauernfamilie, agieren ließ. Jedenfalls wurde das in den neunziger Jahren mehrfach auf Seminaren verbreitet, welche die Ostsee-Akademie von Lübeck-Travemünde in Masuren veranstaltet hat.

      Bevor wir jedoch über Wiechert sprechen, wollen wir uns dem Altmärker Heinrich Schliemann zuwenden, der im 19. Jahrhundert antike Siedlungen ausgegraben hat. Er war überzeugt, das seien die Reste der berühmten Stadt Troja aus dem Epos des Homer. Uns interessiert vor allem seine Methode: Nämlich, den Dichter beim Wort zu nehmen, dessen Hinweise auf die geographischen Verhältnisse zu studieren und sie mit der Realität zu vergleichen. So fand er jene alte Siedlung.

      Verfahren wir genauso bei der Suche nach jenem kleinen masurischen Dorf. Wir stellen darum die Frage: Ist das einst real existierende, heute von der Karte verschwundene Sowirog mit dem Lebensort der Jerominkinder identisch? Was sagt uns der Dichter darüber und wie sieht seine Wirklichkeit aus. Das Verfahren hat den Vorteil, dass wir uns im Verlaufe der Untersuchung zugleich an dem Wort des Autors, an seiner sprachlichen Meisterschaft freuen können.

      Schauen wir uns also in dem Text um. Sechsmal müssen wir das tun, sechs Umschauen biete ich dem Leser an.

       Umschau 1: Das Straßennetz

      Beginnen wir mit einer Szene schon fast am Ende des Buches. Da fahren vier Männer in brauner Uniform im Auto durch Ostpreußen. „Sie müssen langsam fahren, ehe sie die große Chaussee erreichen, weil die Straße voller Sand und Löcher ist. Und da sie langsam fahren, fällt ihnen ein alter, schiefer Wegweiser auf, der seine Arme in den Wald strecken will, aber der so schief ist, dass er gen Himmel zu weisen scheint. Darüber machen sie nun ihre Scherze, und erst als sie den Namen lesen, der mit unbeholfenen Buchstaben auf das graue Holz geschrieben ist, ist es mit dem Scherz zu Ende. ‚Aha!‘ sagt der Mann am Steuer und tritt scharf auf den Bremshebel. ‚Nach Sowirog‘ steht auf dem Wegweiser …“60

      Noch ein Bild: Eine Frau „stand noch ein paar Minuten unter den alten Kiefern am Waldrand und blickte auf die braunen Rohrdächer, auf den Balken des Brunnens und den See, der sich rötlich glänzend in die Wälder zog. – Ein verlorenes Dorf, mit einer staubigen Straße, die sich in Wald und Öde verlief.“61

      Oder auch: „Eine sandige Straße zieht zwischen ihren verlassenen Gartenzäunen entlang. Sie kommt aus den weiten Wäldern und verschwindet wieder zwischen ihnen.“62

      Auch das: „Der Totschläger wollte einen Umweg um Sowirog machen, weil er das Dorf hasste, mehr als andere Dörfer. Aber da es nur eine Straße gab, so hätte er den Umweg durch die Wälder machen müssen, und der Wagen liebte keine Wälder.“63

      Und der Pfarrer kommt zu den Bauern aus dem fernen Kirchdorf64 – Was ist eine masurische Ferne? Sind das 3 Kilometer? 5? 10? Setzen wir fünf an und lassen wir das Kirchdorf an der Hauptstraße liegen.

      Ergebnis 1: Augenscheinlich spielen die Straßen eine große Rolle bei Wiechert. Sie charakterisieren die waldeseinsame Lage des Dorfes. Sowirog liegt fern von der Chaussee, einsam inmitten von Wäldern, ein einziger Waldweg führt dorthin, der Wald lässt keine Umgehungsmöglichkeiten zu und zur Chaussee sind es angenommene fünf Kilometer. Dichterwort und Realität sind identisch.

       Umschau 2: Die Hauptstraße

      Auf einer Überblickskarte 1 : 300 000 aus dem I. Weltkrieg sind in dem Gebiet drei Chausseen verzeichnet: 1. Johannisburg – Rudzanny – Peitschendorf – Sensburg, 2. Ortelsburg – Schwentainen; die Verbindung von hier nach Rudzanny über Puppen verläuft als „gebesserter Weg“, das ist gewissermaßen ein Straße 3. Ordnung, sie hat als Bedeckung höchstens eine gewalzte Kiesschicht. Die dritte Chaussee zieht sich von Johannisburg, am Südostufer des Niedersees entlang, nach Turoschl. Will man von ihr aus nach Sowirog, dann muss man in Wiartel abbiegen, um auf das Nordwestufer des Sees zu kommen, СКАЧАТЬ