Название: Inferno Ostpreußen
Автор: Fisch Bernhard
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783943583779
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Sehen wir uns die Wegstrecke um den Niedersee herum auf der Karte an. Er durchritt auf seinem Pferd die Dörfer Jaschkowen, Wiartel, Vorder- und Hinter-Lippa, Przyroscheln (in diesem Abschnitt mag der Buchenwald liegen), dann Curwien, Nieden, Rudzanny und Kowallik, um dann geradewegs durch die Heide nach seinem Dienstort zu traben. Das ist eine Tagesstrecke von über 40 km, eine sehr große Leistung für ein Polizeipferd. Außerdem entbehrt der lange Weg einer inneren Logik. Wenn wir annehmen, dass das Mädchen in Przyroschl gelebt hat, dann hätte der Polizist über Wiartel hin und zurück nur 16 km zurückzulegen gehabt. Wiechert gibt keinen Grund für diesen riesigen Umweg an.
Gehen wir also vom Niedersee aus, dann hat Wiechert entweder einen anderen See im Auge gehabt oder er lässt uns über Korsankes Motive im Stich, was angesichts des tiefen psychologischen Eindringens Wiecherts in seine Helden äußerst unwahrscheinlich ist. Es kommt ein zweiter Einwand hinzu, den wir aber nicht beweisen können. Hier wird ja die Amtshandlung eines Polizisten beschrieben. Jeder Beamte hatte einen bestimmten genau umrissenen Bezirk, in dem er dienstlich tätig sein durfte. Mir erscheint es unwahrscheinlich, dass Korsankes Territorium nach Süden über den See hinausreichte. Es dürften in den dortigen größeren Dörfern ebenfalls Gendarmerieposten bestanden haben.
Ergebnis 4: Wiecherts Sowirog lag nicht am Niedersee.
Umschau 5: Die Schlacht bei Tannenberg
Nach dem Erscheinen der ersten Kosaken und dem Brand der Kirche „zogen nun ohne Aufhören Truppen durch ihr Dorf, solange, bis im Nordwesten das Gebrüll der Kanonen sich zu einer einzigen Donnerstimme erhob, die Tag und Nacht nicht schweigen wollte. Da begann der Strom zu stocken, der nach vorwärts floss … Danach begann der Strom sich zu stauen und rückwärts zu fluten“.78 Die Weichenden legten im Dorf Feuer und es entstand eine „Feuermauer, die zu beiden Seiten der Straße stand, und in deren Schein der Rest des geschlagenen Heeres in den Wäldern verschwand“.79
Augenscheinlich wird hier der Durchmarsch bedeutender Truppenmassen der russischen Armee beschrieben. Wiechert schildert sowohl die angreifenden wie auch die zurückgehenden Einheiten. Massen von derartigen Umfang, Wiechert sagt: ein Strom, ohne Aufhören, pflegten sich aber nicht auf Seitenwegen zu bewegen. Sowirog liegt innerhalb des hufeisenförmigen Niedersees, es war also in Richtung auf die russische Grenze völlig geschützt. Wollte der Gegner den Ort erreichen, dann musste er von der Hauptstraße, auf der er sich bewegte, ein bedeutendes Stück zur Seite und gar nach rückwärts abweichen. Fliehende Gegner befanden sich dagegen dort wie in einem Sack ohne schnellen Ausgang. Während des ersten Weltkrieges führten nur zwei bedeutendere Straßen von den südlich gelegenen russischen Festungen Ostrołęka und Łomża nach Ostpreußen hinein. Die eine über Myszyniec – Friedrichshof – Puppen nach Sensburg, die andere über Kolno nach Johannisburg. Sie umgingen also das große Waldgebiet der Heide. Zusätzlich sperrt noch der Niedersee. Die Straße Johannisburg – Turoscheln endet dort, verläuft außerdem quer zur Marschrichtung und hat auf russischer Seite keinen direkten Anschluss zu den Bereitstellungsräumen der Russen. Außerdem, auf polnischer Seite, im Rechteck zwischen Grenze und den beiden Festungen, verlaufen die unbefestigten Landwege eher in Ost-West-Richtung, als auf die Grenze zu.
Es gibt also keinen vernünftigen Grund, warum die russische Armeeführung einen solchen „Strom“ unbedingt um den See herum in das völlig unbedeutende Sowirog führen sollte, der dann weiter durch die trockene, sandige und heiße Heide geführt hätte. Wäre man von hier aus auf den schnurgeraden Schneisen weiter nach Norden marschiert, wäre man in den Halbinseln vor dem Spirding gefangen gewesen. Man hätte also vorher nach Rudzanny oder Johannisburg abbiegen müssen. Soviel logistischen Unsinn wollen wir der russischen Generalität nun doch nicht zutrauen. Genauso wenig hat ein vernünftiger Grund für die Auswahl des Fluchtweges durch die Heide bestanden.
Ergebnis 5: Die Beschreibung des Truppendurchzugs lässt sich mit den realen Gegebenheiten von Sowirog nicht verbinden. (Ein noch sicherer Beweis aus dem Jahre 2009: Hier die Bewegung der russischen Einheiten, die dem Dorfe am nächsten kamen. Während der Schlacht bei Tannenberg im August 1914 stieß das russische VI. Armeekorps über Ortelsburg bis nördlich Bischofsburg vor. Es retirierte über Ortelsburg und Friedrichshof nach Polen. Im September 1914 griff die russische 1. Armee in der Schlacht an den Masurischen Seen noch einmal an. Deren 1. Division attackierte von Osten Johannisburg, wurde abgewiesen und zog sich nach Südosten zurück.80 Das heißt, dass größere Einheiten der Russen überhaupt nicht durch Sowirog durchgekommen sein können. Sie marschierten in Entfernungen zwischen zwanzig und vierzig Kilometern am Dorf vorbei.)
Umschau 6: Die Lösung
Der erwachsene Jons erzählt in der Familie seines Königsberger Professors von seinem Heimatort. Die Dame des Hauses wendet sich an ihn. „, Ein sonderbarer Heiliger sind Sie‘, sagte sie seufzend … ‚Ich denke mir, dass Ihr Eulenwinkel gar nicht mehr in Deutschland liegt …‘ ‚Doch!‘ betonte Jons ruhig. ‚Unter 22 Grad östlicher Länge und 53 1/2 Grad nördlicher Breite.‘“81
Nun wissen wir es ganz genau. Jedoch: Der also definierte Punkt liegt 20 km südöstlich von Johannisburg, während unser Sowirog südwestlich liegt. Überdies befindet er sich südlich der alten Grenze zwischen Deutschland und Polen, um noch exakter zu sagen: Er liegt im damaligen Russisch-Polen, nämlich in der Nähe der Dörfer Danowo und Filipki Duźe, unweit der Höhe 160, ein ganzes Stück von der Johannisburger Heide entfernt. In der Nähe gibt es kaum Wald, keinen See. Das einzige Gewässer ist der Wincenta-Bach, etwas weiter nördlich. Er bildet hier ein Stück der jahrhundertlang unveränderten Grenze zwischen Preußen/Polen, bzw. zwischen Deutschem Reich/Russland.
Da stehen wir nun und sehen uns an. Hat uns der Autor an der Nase herumgeführt? Uns und die Professorengattin? Vielleicht schließt uns der dem Gespräch folgende rätselhafte Trinkspruch des Professors die Tür zum Verständnis auf? „Der Professor seufzte nicht, wie Jons es sich angewöhnt hatte, aber er blickte eine ganze Weile auf die Tür, durch die seine Frau verschwunden war. Dann holte er aus einem Nebenraum eine Flasche und goss den roten, schweren Wein in zwei Gläser. Er hielt sein Glas lange in der Hand, ließ das Licht der Lampe sich darin spiegeln und stieß es dann leise an das andere. ‚Auf Ihr Dorf, Jons Ehrenreich!‘ sagte er feierlich. ‚Das unter dem Mondgebirge liegt.‘“82
Das wird es sein, das Sowirog unter dem Mond, fern von dieser Welt, nirgendwo und uns Masuren doch so nahe. Unter die Sterne setzt es der Autor, Symbol für das bevorstehende Verschwinden alles Masurischen? Schwindel also? Mitnichten! Wiechert tat nur das Gleiche, was zum Handwerk des Schriftstellers gehört. Was auch ein Goethe machte, als er seine Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ nannte, die Dichtung stellte er voran. Mindert das den literarischen wie den heimatkundlichen Wert des Werkes? Ich denke - Nein! Das ist eben ein guter Roman. Er verführt uns so sehr, dass wir die Erfindung gar nicht erkennen. Im Gegenteil, die gut gemachte Fiktion lässt uns glauben, dass wir die volle Realität erleben.
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